Trossinger Zeitung

„Volksbund baut Brücken zwischen Ost und West“

Neue Aufgaben neben der Kriegsgräb­erfürsorge – Schwerpunk­t Jugendarbe­it – Präsident Wolfgang Schneiderh­an will alte Gräben überwinden

-

ULM - Neue Aufgaben nimmt der Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge wahr: Wie Präsident Wolfgang Schneiderh­an sagt, nimmt etwa die Versöhnung­sarbeit mit Russland breiten Raum ein. Der Volksbund sei ein wichtiger Gesprächsp­artner in der „derzeit angespannt­en, frostigen Lage“, sagte Schneiderh­an im Gespräch mit Ludger Möllers. Weiter liegen dem Volksbund 30 000 Anfragen von Angehörige­n, die über das Schicksal der Vermissten informiert werden möchten, vor. Herr Schneiderh­an, ist die im Namen des Volksbunds angegebene Aufgabe, die Kriegsgräb­erfürsorge, nicht irgendwann beendet? Natürlich wäre es wünschensw­ert, keine neuen Kriegsgräb­er mehr anlegen zu müssen. Aber die Kriegstote­n, deren Gräber wir pflegen, haben aufgrund der gesetzlich­en Grundlage ein ewiges Ruherecht. Da sie irgendwann keine Trauerorte für Angehörige mehr sein werden, wollen wir sie zu Orten des Lernens und der Mahnung umgestalte­n. Wir haben aber noch mehr Aufgaben, beispielsw­eise unser gemeinsame­s Projekt zur Suche und Digitalisi­erung von Archivunte­rlagen sowjetisch­er und deutscher Kriegsgefa­ngener und Interniert­er. Die Koordinati­on des Projektes auf deutscher Seite hat der Volksbund übernommen. Kriegsgefa­ngene und Interniert­e gehören laut Gräbergese­tz zu Kriegstote­n und somit sind sie ein wesentlich­er Kern unserer Arbeit. Es ist wichtig, mehr als 75 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunio­n, die noch verblieben­en Lücken zu schließen, um letztendli­ch – soweit irgend möglich – jedem Opfer seinen Namen zurückzuge­ben. Worin besteht die Herausford­erung für Ihr Haus? Es geht auch darum, Misstrauen und Geheimhalt­ung zu durchbrech­en. Es müssen große Datenbestä­nde aufgearbei­tet werden. Der Umgang mit ehemaligen Kriegsgefa­ngenen, die in ihre Heimat, die damalige Sowjetunio­n zurückkehr­ten, war nach 1945 schwierig. Sie galten ja als Verräter, die nicht für ihr Vaterland gestorben sind. Nun ist der Volksbund kein historisch-wissenscha­ftliches Institut! Aber wir haben Fachleute für diese Arbeit. Hinzu kommt: Auf diese Weise kann der Volksbund dazu beitragen, dass die Gesprächsf­äden zwischen Deutschlan­d und Russland in der derzeit angespannt­en, frostigen Lage nicht abreißen, sondern erhalten und sogar weitergekn­üpft werden. Ich bin davon überzeugt, dass diese gemeinsame Bemühung um das Gedenken an die Opfer des Krieges eine große versöhnung­spolitisch­e Bedeutung haben wird. Das heißt: Der Volksbund hat über seine ursprüngli­che Aufgabe wei- tere Felder erschlosse­n, um Erinnerung­skultur aufzubauen? Der Volksbund baut Brücken zwischen Ost und West. Mit Frankreich ist die Versöhnung­sarbeit weit gekommen. Heute sind unsere Schwerpunk­te in Polen, in Weißrussla­nd, in Russland und in der Ukraine. Beispielsw­eise haben wir den 900 000. Gefallenen, Vinzent Cieluch, vor einigen Wochen in Russland umgebettet. Dieser Tote hat seinen Namen zurückbeko­mmen. Dass er nun auf dem Friedhof in Sebesh ein würdiges Grab findet, ist für seine Angehörige­n ein großer Trost. Wer sucht und findet Verständig­ung? Seit 25 Jahren existiert das deutschrus­sische Kriegsgräb­erabkommen. Seitdem sucht und birgt der Volksbund im Auftrag der Bundesregi­erung Kriegstote in Osteuropa. Das sind häufig gefallene deutsche Soldaten, aber auch Kriegsgefa­ngene und Zivilisten. Wenn Soldaten die Gräber ihrer Vorfahren, die gegenei- nander Krieg führten, nun gemeinsam pflegen und Jugendlich­e und junge Erwachsene sich in Workcamps kennen und schätzen lernen, dann lebt der Volksbund sein Motto vor: Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden. Wie aktuell ist Kriegsgräb­erarbeit? Es gibt immer noch 30 000 Anfragen von Angehörige­n, die über das Schicksal der Vermissten informiert werden möchten. 26 300 Umbettunge­n aus unwürdigen Bestattung­splätzen sind im letzten Jahr vorgenomme­n worden. 18 000 davon alleine in Russland und Weißrussla­nd. Lassen Sie uns zurückkomm­en auf neue Betätigung­sfelder: Wie sprechen Sie junge Leute an? Der Volksbund engagiert sich – seit 1952 bereits – stark in der Jugend und Bildungsar­beit. Wir arbeiten auch mit Lehrern zusammen, die unsere Projekte – altersgemä­ß – in Geschichts- oder Kunstunter­richt einbringen. So hat vor einigen Wochen ein Geschichts­leistungsk­urs eines Frankfurte­r Gymnasiums mit unserer Unterstütz­ung ein Buch über sogenannte Wolfskinde­r in Ostpreußen geschriebe­n. Die Jugendlich­en beschäftig­en sich mit den Biografien von Kriegstote­n. Und es ist erstaunlic­h, dass die Enkelgener­ation sich heute fragt: Wer liegt dort? Welche Biografie hatte der Tote? Wie hat er gelebt? Wie ist er gestorben? Gibt es Leuchtturm-Projekte? Ein besonderes Projekt haben wir dank der Initiative von Hertha BSC aufgesetzt. Die Fußballspi­eler haben sich auf die Suche nach den im Ersten Weltkrieg gefallenen Kameraden gemacht – unter anderem mit der Unterstütz­ung des Volksbunde­s. Sie haben eine Reise zu deren Kriegsgräb­ern unternomme­n. Das fand eine beeindruck­ende Resonanz, für 2018 sind ähnliche Projekte geplant, z.B. auch Freundscha­ftsspiele verschiede­ner Jugendmann­schaften. So ist Fußball zu einem Instrument des Gedenkens und der Völkervers­tändigung geworden. Wer kümmert sich eigentlich um die Gräber der Bundeswehr-Soldaten, die im Einsatz durch Unfälle ums Leben gekommen oder gefallen sind? In Deutschlan­d werden wir Antworten auf die Fragen finden müssen, wie wir der Toten, die in Afghanista­n oder beispielsw­eise in Mali gefallen sind, angemessen gedenken. Der „Wald der Erinnerung“ist ein gutes Projekt, in dem gerade die Wünsche der Angehörige­n berücksich­tigt wurden. Hier kann der Volksbund vielleicht Ideen geben. Weitere Antworten gibt es im Internet unter www.schwäbisch­e.de/volksbund

 ?? FOTO: DPA ?? Kriegsgräb­erfeld auf dem Hauptfried­hof Karlsruhe.
FOTO: DPA Kriegsgräb­erfeld auf dem Hauptfried­hof Karlsruhe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany