„Durchsetzung unserer Forderungen wird kein Spaziergang“
ZF-Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich verteidigt IG-Metall-Forderungen nach sechs Prozent mehr Lohn und einer 28-Stunden-Woche
RAVENSBURG - Er ist der wichtigste Arbeitnehmervertreter beim drittgrößten Automobilzulieferer der Welt: Als Gesamtbetriebsratschef des Friedrichshafener Traditionsunternehmens ZF gehört Achim Dietrich zur Verhandlungsdelegation der IG Metall in der ersten Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie. Der 49-Jährige antwortet auf Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger, der Dietrichs Gewerkschaft in der „Schwäbischen Zeitung“unterstellt hatte, Geld fürs Nichtstun zu fordern. Benjamin Wagener hat den ZF-Gewerkschafter gefragt, wie die Vorwürfe der Arbeitgeber bei der IG Metall ankommen und was die Arbeitnehmer wirklich wollen. Die Tatsache, dass die Arbeitgeber vor einer neuen Tarifrunde klagen, ist nicht neu. Sie befürchten, dass sich die Lohnforderungen und die Änderungen bei der Arbeitszeit insgesamt auf eine monetäre Lohnforderung von zwölf Prozent summieren. Stimmt das? Der geforderte Anspruch der Beschäftigten, ihre Arbeitszeiten ihrem Leben anpassen zu können ist zunächst einmal finanziell neutral – wer weniger arbeitet, bekommt auch weniger Entgelt. Damit gesundheitlich besonders belastete Beschäftigtengruppen und Menschen, in herausfordernden Lebenssituationen, sich dies auch leisten können, fordern wir zudem einen Entgeltzuschuss für diese Gruppen, wenn sie ihre Arbeitszeit entsprechend reduzieren. Wir reden hier wohlgemerkt über einen Zuschuss, nicht über einen vollen Entgeltausgleich. Wer dabei in Summe auf zwölf Prozent kommt, benötigt Nachhilfeunterricht. Dass die Arbeitgeber so tun, als würde dieser Entgeltzuschuss sie finanziell ruinieren, ist an den Haaren herbeigezogen. Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Lohn. Wie begründen Sie diese Forderung? Bei unserer Forderung, nach sechs Prozent mehr Geld, stützen wir uns auf die guten Wirtschaftsdaten. Die Wirtschaftsforschungsinstitute gehen für 2017 und 2018 von einem stabilen Wachstum aus. Zuletzt haben die Forscher, in ihrem Herbstgutachten, ihre Prognose für das kommende Jahr noch weiter angehoben. Sie erwarten einen Anstieg des Brut- toinlandsprodukts von zwei Prozent. Haupttreiber des Wachstums ist, wie schon in den vergangenen Jahren, der private Konsum – als Folge der gestiegenen Kaufkraft, zu der die Tariferhöhungen der IG Metall maßgeblich beigetragen haben. Auch die Metall- und Elektroindustrie ist in guter Verfassung. Auslastung und Rendite haben Rekordniveau erreicht, so auch bei ZF. Laut einer Befragung des Ifo-Instituts rechnen die Unternehmen damit, dass die Produktion weiter steigen wird. Zur Zurückhaltung gibt es angesichts dieser Prognosen keinen Grund. Im Gegenteil: Die hervorragenden Wirtschaftsdaten sind eine gute Grundlage, um ordentliche Entgeltsteigerungen für die Beschäftigten zu fordern und durchzusetzen. Der Verband des baden-württembergischen Maschinenbaus setzt dieser Lohnforderung folgende Rechnung entgegen: Die vergangenen vier Tarifrunden haben zu einem Lohnanstieg von 20 Prozent geführt, bei einer Preissteigerung von nur acht Prozent. Der Produktivitätszuwachs lag bei einem Prozent.Das rechtfertigt keinen Lohnzuwachs von sechs Prozent. Wie beurteilen Sie das? Die erfolgreiche Tarifpolitik der IG Metall hat tatsächlich zu einem vorzeigbaren Lohnzuwachs geführt. Der aktuelle Treiber für die gute Konjunktur ist die Kaufkraft. Und trotz Lohnerhöhungen machen die Unternehmen hohe Gewinne. Von Überforderung kann also keine Rede sein. Einen Zusammenhang zwischen Lohnsteigerung und Produktivitätsfortschritt kann man auch folgendermaßen herstellen: Fair bezahlte Beschäftigte sind zufriedenere Beschäftigte und diese sind die Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Wir sind in einer volkswirtschaftlich enorm erfolgreichen Phase, die meisten Unternehmen in unserer Branche laufen wie geschnitten Brot. Das merken wir auch bei ZF. Rekordgewinne und volle Auftragsbücher sind gute Argumente, für unseren gerechten Anteil am Erfolg – gerade bei ZF, einem Unternehmen, dessen Belegschaft auf Entgelterhöhungen verzichtet und gleichzeitig viel geleistet hat, ist es jetzt höchste Zeit, für eine Trendwende. Eine immer wieder von den Arbeitgebern beschworene Gefahr ist die der Produktionsverlagerungen. Bei Lohnerhöhungen werden Werke im Inland weniger wettbewerbsfähig und werden ins Ausland verlagert. Besteht diese Gefahr wirklich? ZF ist heute schon sehr international aufgestellt. Und bei jeder Lokalisierungsentscheidung wird, auch schon in der Vergangenheit, geprüft, an welchem Standort entwickelt oder produziert wird. Lohnkostenvorteile spielen für die Arbeitgeber natürlich eine Rolle. Der Standort Deutschland hat aber sehr viele Vorteile, die den Lohnunterschied oft wettmachen – Qualität, Qualifikation, Produktivität und vieles mehr. Das zweite große Thema dieser Tarifauseinandersetzung ist das Thema Arbeitszeit. Sie fordern das Recht jedes Arbeitnehmers auf eine 28-Stunden-Woche verbunden mit dem Recht nach einer bestimmten Zeit auf Vollzeit zurückkehren zu können, für bestimmte Gruppen (Arbeitnehmer in belastenden Schichten, Arbeitnehmer mit Kindern oder zu pflegenden Angehörigen) soll es einen teilweisen Lohnausgleich geben. Warum ist das wichtig? Flexibilität darf keine Einbahnstraße sein. Die Beschäftigten wollen vor dem Hintergrund dieser Veränderungen mehr Planbarkeit und mehr Selbstbestimmung über ihre Arbeitszeit und damit mehr Freiheit bei der Gestaltung des eigenen Lebens. 82 Prozent würden gerne vorübergehend kürzer arbeiten. 89 Prozent wünschen sich, dass sie ihre Arbeitszeit kurzfristig an ihre Bedürfnisse anpassen können - etwa für die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen oder zur beruflichen Weiterbildung. Kurz gesagt: Sie wol- len Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Es ist Unsinn, zu behaupten, es gehe uns darum, Menschen fürs „Nichtstun, zu bezahlen“. Es geht um Zuschüsse, damit bestimmte Beschäftigte, bei denen eine Verkürzung aus bestimmten Gründen erforderlich ist, die notwendige Verkürzung überhaupt leisten können. Gleichzeitig fordern wir einen generellen Anspruch für alle, diesen aber ohne Lohnausgleich. Wir haben die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung ernst genommen und wollen diese, aus meiner Sicht, sehr berechtigten Interessen nach einem individuellen Anspruch auf eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden für bis zu 24 Monate durchsetzen. Die Arbeitgeber sperren sich dagegen, weil sie sagen, dass das feste Rückkehrrecht nicht organisierbar und das Ganze nicht nötig sei, weil die Unternehmen ihren Arbeitnehmern bei entsprechenden Wünschen sowieso entgegen kämen. Wie sehen Sie das? Fakt ist: Auf die neuen technologischen und wirtschaftlichen Anforderungen haben die Unternehmen umfassend reagiert. Die Arbeitszeiten sind immer flexibler geworden - jedoch vor allem nach Markterfordernissen und allein im Interesse der Arbeitgeber. 65 Prozent der Beschäftigten machen Überstunden, viele arbeiten samstags, ein Viertel sogar sonntags. Gut ein Drittel arbeitet Schicht. Diese Anforderungen müssen die Familien organisieren. Die Wünsche der Arbeitnehmer sollen aber nur berücksichtigt werden, falls es für den Arbeitgeber keinen größeren Organisationsaufwand bedeutet. So auch bei ZF. Einen Anspruch darauf gibt es aber nicht. Die Rückkehr auf Vollzeit ist zudem ein Problem. Viele Menschen erleben, dass nicht sie bestimmen, wann sie Zeit für Familie, Freunde oder Erholung haben, sondern der Markt. Und das wollen wir ändern. Die Menschen haben den Anspruch, individuell zu entscheiden, wie sie leben und arbeiten möchten. Schon jetzt suchen Unternehmen – vor allem hier im Süden – händeringend nach Arbeitskräften. Besteht die Gefahr, dass eine 28-Stunden-Woche nach den oben skizzierten Vorstellungen den Fachkräftemangel verschärft? Nach unseren Erkenntnissen aus Bewerbergesprächen eher nicht. Mit Angeboten zu individueller Arbeitszeit, mobilem Arbeiten, Teilzeit, Sabbaticals und Zeitkonten ist ZF weiterhin attraktiv für Bewerber. Muss für eine Änderung der Arbeitszeit der Manteltarifvertrag neu verhandelt werden? Besteht deshalb die Gefahr, dass wenn der Manteltarifvertrag neu verhandelt wird, sich die Arbeitgeber die 28-Stunden-Woche in anderen Feldern hart bezahlen lassen werden? Ganz klar Nein! Wir haben den Tarifvertrag zum Entgelt gekündigt, eine Kündigung des Manteltarifvertrags steht noch aus. Wenn man einzelne Inhalte von Verträgen ändern will, dann muss man diese aber natürlich zunächst kündigen. Unsere Forderungen zum Entgelt und zur Arbeitszeit sind ein Paket, zu dem wir ein Ergebnis erzielen werden. Sollten die Arbeitgeber versuchen, eine Verschlechterung von Tarifregelungen anzugehen, können sie mit erheblichem Widerstand rechnen. Denn da verstehen die Beschäftigten keinen Spaß. Wie hart wird die Auseinandersetzung werden? Wo und wie wird gestreikt werden? Wie ist die Stimmung bei den organisierten Mitgliedern bei Ihnen? Damit aus der Zahnpastatube oben etwas raus kommt, muss man unten drücken. Die Durchsetzung unserer Forderungen wird kein Spaziergang. Die IG Metall ist aber gewappnet und auch bei den IG Metall-Vertrauensleuten der ZF laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Wie und Wann etwas passiert, liegt vor allem an der Haltung der Arbeitgeber. Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Zum 31. Dezember endet die Friedenspflicht, danach kann es zu Warnstreiks kommen. Ich sage aber auch: Die IG Metall geht mit dem Mittel von Arbeitsniederlegungen sehr sorgsam um und deshalb suchen wir jetzt erstmal eine Lösung am Verhandlungstisch. Die Stimmung bei den IG Metall-Mitgliedern ist sehr gut und die Erwartungshaltung groß. Ich bin mir sicher, dass sich alle ZF-Beschäftigten hinter unsere Forderungen stellen werden. Dies zeigen auch die aktuellen Neueintritte in die IG Metall.