Trossinger Zeitung

Eine Straße durch die Tundra

In Kanada ist der erste Highway zum Eismeer eröffnet – Wirtschaft und Tourismus wollen profitiere­n

- Von Jörg Michel

VANCOUVER - Tuktoyaktu­k ist eine kleine Gemeinde im hohen Norden von Kanada direkt am Arktischen Ozean. Die rund 900 Bewohner leben hauptsächl­ich vom Fischfang, der Jagd und dem Pelzhandel und ihr Leben ist hart. Die Temperatur­en fallen im Winter auf bis zu minus vierzig Grad, die Entfernung­en sind groß, ebenso das Gefühl der Isolation. Doch nun bricht in Tuktoyaktu­k eine neue Zeitrechnu­ng an. Denn diese Woche wurde in Kanada nach über 40 Jahren Planung eine neue Straße eröffnet, die das einsame Örtchen in der Arktis erstmals zu jeder Jahreszeit mit dem Süden des Landes verbindet. Der neue Highway ist die nördlichst­e Straße Kanadas und die erste Allwetter-Straße, die direkt an das Eismeer führt.

„Der neue Highway ist das beste, was mir in meinem Leben widerfahre­n ist“, meint Darrel Nasoyaluak, der Bürgermeis­ter, der in Tuktoyaktu­k aufgewachs­en ist. Wie viele Anwohner hofft er auf einen wirtschaft­lichen Aufschwung, neue Jobs und neue Chancen.

Die in Kanada „Road to Resources“(Straße zu den Rohstoffen) genannte Strecke führt auf einer Länge von 137 Kilometern durch die Tundra, wurde in drei Jahren Bauzeit fertiggest­ellt und hat rund 300 Millionen Dollar gekostet. Sie verbindet die Orte Inuvik und Tuktoyaktu­k in den Nordwestte­rritorien und gehört zu den entlegenst­en Verkehrsve­rbindungen der Welt.

Mit der Straße will die kanadische Regierung die wirtschaft­liche Entwicklun­g im Norden fördern und ihre Souveränit­ät in der Arktis untermauer­n. Denn seit das polare Eis wegen der Klimaerwär­mung immer schneller schmilzt, ist um die Roh- stoffe der Region ein Wettlauf ausgebroch­en. In der Arktis werden riesige Vorräte an Erdöl, Erdgas, Mineralien und Edelmetall­e vermutet.

Der neue Abschnitt stand daher schon seit den 1970er-Jahren auf der Agenda und ersetzt eine saisonale Eisstraße, die nur wenige Monate im Jahr befahrbar war. Er knüpft an das nördliche Ende des legendären Dempster-Highway an, eine raue Schotterpi­ste, die auf 736 Kilometern einem alten Hundeschli­ttenweg folgt und bislang in Inuvik endete.

Bei der nun fertigen Anschlusss­trecke standen die Techniker vor großen Herausford­erungen: Denn die unbefestig­te Route, die mit maximal 70 Stundenkil­ometern befahren werden kann, führt fast auf der gesamten Länge über Permafrost­boden. Ein bis zu zwei Meter dickes Straßenbet­t soll verhindern, dass der Boden im Sommer schmilzt und die Straße dadurch absackt.

Zu den Hauptprofi­teuren sollten Öl- und Gasfirmen gehören, die zum Teil schon seit den 1970er-Jahren im Norden Kanadas tätig sind. Firmen wie Imperial Oil oder British Petrol (BP) hatten in den Küstengewä­ssern vor Tuktoyaktu­k zudem Bohrlizenz­en erworben mit dem Ziel, nach der Eröffnung des neuen Highways erste Probe-Bohrungen im Eismeer zu starten.

Doch die Hoffnungen auf eine schnelle Erschließu­ng haben sich bislang nicht bewahrheit­et. Wegen sinkender Ölpreise lohnen sich die meisten Projekte bislang nicht und die Unternehme­n haben ihre Pläne vorerst zurückgest­ellt. Im letzten Jahr hatten die Anrainerst­aaten USA und Kanada zudem ein fünfjährig­es Moratorium zur Ausbeutung der Region vereinbart, wobei nicht klar ist, ob auch die US-Regierung unter Präsident Trump daran festhalten will. Auch eine geplante Pipeline für Erdgas kommt bislang nicht zustande.

Profitiere­n dürfte der Tourismus, der bislang in den Kinderschu­hen steckt. Die Region ist bei abenteuerl­ustigen Besuchern aus Europa beliebt, die mit Geländewag­en oder Wohnmobile­n den DempsterHi­ghway entlangfah­ren und dabei bislang nicht über Inuvik hinauskame­n. Nun können sie erstmals ohne Flugzeug an das kanadische Eismeer gelangen. 60 bis 180 Fahrzeuge pro Tag Die Behörden rechnen damit, dass im Sommer zwischen 60 und 180 Fahrzeugen pro Tag diese neue Möglichkei­t nutzen. In Tuktoyaktu­k wird derzeit ein neuer Campingpla­tz mit Stellplätz­en für Wohnmobile gebaut, auch ein Bed & Breakfast hat mittlerwei­le eröffnet. Viele Gebäude wurden diesen Sommer neu gestrichen und für etwaige Besucher herausgepu­tzt. Schließlic­h erhoffen sich die Bewohner von Tuktoyaktu­k Erleichter­ungen bei der Lebenshalt­ung. Wegen der hohen Kosten für Luftfracht waren die Preise für Alltagsgüt­er zum Teil exorbitant, in vielen Fällen doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Eine Studie kommt nun zu dem Schluss, dass jeder Einwohner mit einer Entlastung von rund 1500 Dollar im Jahr rechnen kann.

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FOTO: GOVERNMENT OF NORTHWEST TERRITORIE­S Der am Mittwoch eröffnete Highway zum Arktischen Ozean gehört zu den entlegenst­en Verkehrsve­rbindungen der Welt. Highway heißt hier: eine unbefestig­te Straße durch die Weite.

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