Anerkennung der Realitäten
Scheinbar unaufhaltsam schreitet Großbritannien fort auf dem Weg in den Brexit. Der Austritt aus der EU, dem Binnenmarkt und der Zollunion wird das Land ärmer machen und weltweiten Einfluss kosten. Er gefährdet den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs und bedroht die delikate politische Balance auf der irischen Insel. Er schadet den Nachbarn und langjährigen Verbündeten auf dem Kontinent sowohl wirtschaftlich wie politisch. Die EU selbst wird schwächer, wenn ihr die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, ausgestattet mit Atomwaffen und dem Veto im UNSicherheitsrat, den Rücken kehrt – von den zukünftig fehlenden erheblichen Nettobeiträgen in die Brüsseler Kasse ganz zu schweigen.
Vor diesem Hintergrund gibt es bei der Einigung zwischen London und Brüssel einen Wermutstropfen: Die von Unentwegten weiterhin erhoffte Abkehr vom Brexit wird immer unwahrscheinlicher. Diese Realität haben die Partner anerkannt und sind der Insel entgegengekommen. Schadensbegrenzung lautet das Gebot der Stunde.
Tatsächlich ist das Papier vom Freitag ein typisch europäischer Kompromiss. Bei den Rechten der EU-Bürger auf der Insel, für die noch auf Jahre hinaus der Europäische Gerichtshof zuständig bleibt, sowie bei den finanziellen Verpflichtungen hat London nachgegeben. Anstatt auf die Brüsseler Rechnung zu pfeifen, wie einst von Außenminister Boris Johnson suggeriert, werden die Briten zum Abschied noch einmal 40 bis 50 Milliarden Euro in die Gemeinschaftskasse legen.
Hingegen bedarf die Frage der inneririschen Grenze weiterhin der Klärung. Eine Lösung der Angelegenheit war realistisch betrachtet ohnehin erst im Rahmen der bevorstehenden Handelsgespräche möglich. Die Grenze stellt das größte Problem dar und könnte für die Verhandlungen zum Sprengstoff werden. Oder vielleicht doch zum Klebstoff? Gelingt die Einigung für Irland, wird sich der Rest ergeben. Auf jeden Fall bleibt das gemeinsame Ziel einer möglichst engen, freundschaftlichen Zusammenarbeit gewahrt. Mehr war an diesem Freitag im Advent nicht zu erwarten.