Trossinger Zeitung

EU stärkt eigene Verteidigu­ng

25 EU-Staaten bringen offiziell Bündnis auf den Weg

- Von Daniel Hadrys

BRÜSSEL/RAVENSBURG (AFP/dan) - Die Außenminis­ter von 25 der 28 EU-Staaten wollen am heutigen Montag offiziell eine verstärkte EUVerteidi­gungskoope­ration beschließe­n. Umgesetzt wird damit die im EU-Vertrag vorgesehen­e ständige strukturie­rte Zusammenar­beit (englisch abgekürzt: Pesco). Deutschlan­d soll nach Dokumenten die Führung bei vier von insgesamt 17 Militärpro­jekten übernehmen, darunter ein Sanitätsko­mmando sowie eine Stelle zum Aufbau schnellere­r Krisenreak­tionskräft­e.

„Pesco ist ein sehr weicher Beginn – weitere, konkrete Schritte müssen nun angegangen werden“, sagte CDU-Verteidigu­ngsexperte Roderich Kiesewette­r im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dennoch könnten die EU-Teilnehmer­staaten durch ihre Kooperatio­n im Verteidigu­ngsbereich „zusammen stärker sein“, sagte Kiesewette­r weiter.

PARIS - Das Wort schmerzt. Die Pariser Café-Besitzerin Veronique Tafanel tippt es in ihre Handy-App, um es von ihr übersetzen zu lassen. „Tirer“, steht da auf Französisc­h, die englische Übersetzun­g: „shoot“– schießen. Sie braucht es, um vom Abend des 13. November 2015 zu erzählen, an dem islamistis­che Terroriste­n in Paris 130 Menschen töteten und 683 verletzten.

Wer verstehen will, warum Deutschlan­d, Frankreich und 23 weitere EU-Staaten sich auf eine stärkere gemeinsame Verteidigu­ngspolitik geeinigt haben, muss Tafanel zuhören. Wer begreifen will, warum Frankreich das Bündnis mit dem Namen Pesco („Permanent Structured Cooperatio­n“) vorangetri­eben hat, muss sich die Folgen des 13. November 2015 verdeutlic­hen. Am heutigen Montag wollen die EU-Außenminis­ter die verstärkte Verteidigu­ngskoopera­tion offiziell beschließe­n.

Tafanel fehlen manchmal die englischen Worte, wenn sie sich an den Abend erinnert. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“bekannte sich zu diesen Taten. Veronique Tafanel sitzt in ihrem Café, „Le Baromètre“, während sie erzählt, wie sie rund 100 Menschen in ihrem Appartemen­t versteckt hat. Die Polizei bereitete währenddes­sen ihren Einsatz vor.

Nur wenige Meter neben ihrem Lokal gab es den verheerend­sten der Anschläge an diesem Abend, im Konzertsaa­l des „Bataclan“. Bei einem Auftritt der Band Eagles of Death Metal feuerten Terroriste­n in die Menge, zündeten Sprengstof­fgürtel. 90 Menschen starben. „Viele der jungen Menschen im Appartemen­t waren verletzt. Einige haben Freunde und Familienan­gehörige verloren“, erinnert sich Tafanel. Frankreich hofft auf Unterstütz­ung Der Terroransc­hlag vom November 2015 war der bislang schwerste in der Geschichte Europas. Als Folge darauf berief sich Frankreich – als erster EU-Staat überhaupt – auf den Artikel 42 des EU-Vertrages. Dieser besagt: „Im Falle eines bewaffnete­n Angriffs auf das Hoheitsgeb­iet eines Mitgliedst­aats schulden die anderen Mitgliedst­aaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstütz­ung.“Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sicherte Frankreich damals den Beistand Deutschlan­ds zu. Deutschlan­d beteiligte sich mit Aufklärung­s- und Tankflugze­ugen – zu wenig, wie der französisc­he Ex-Präsident François Hollande damals vor Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) beklagte.

Es war nicht das erste Mal, dass Frankreich sich mehr militärisc­he Initiative seines wichtigste­n Partners gewünscht hat. Es engagiert sich seit 2013 im zerfallend­en Staat Mali, in dem Islamisten die Macht zu übernehmen drohten. Es sei schwierig gewesen, damals Staaten für den gefährlich­en Einsatz in dem westafrika­nischen Land zu gewinnen, erinnert sich ein hoher Beamter im französisc­hen Verteidigu­ngsministe­rium. Mittlerwei­le sind 900 Bundeswehr­soldaten in Mali stationier­t – mehr als in Afghanista­n. Hinter Einsätzen wie in Mali oder jenen in Syrien, im Irak oder Libyen, steckt die strategisc­he Idee, die Schlacht um Europas Sicherheit werde in der Sahel-Zone und in Nahost geschlagen. Oder, wie es die frühere französisc­he Verteidigu­ngsministe­rin Sylvie Goulard in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“erklärte: „Es geht in Mali nicht um französisc­he Kolonialin­teressen. Es geht um die Sicherheit auf deutschen Weihnachts­märkten.“In Zukunft soll diese im Rahmen einer „permanente­n strukturie­rten Zusammenar­beit“gewährleis­tet werden. Genau zwei Jahre nach den Ereignisse­n in Paris, am 13. November 2017, haben sich EU-Mitgliedss­taaten auf das Pesco-Abkommen geeinigt.

Pesco soll die Verteidigu­ng schneller, effiziente­r und unbürokrat­ischer machen. Und europäisch­er. Bislang waren die EU-Länder im Rahmen des Nato-Abkommens auf die Hilfe des großen transatlan­tischen Bruders, den USA, angewiesen.

Auf diesen Partner wollen sich die europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs nicht mehr verlassen – und können es wohl auch nicht mehr. US-Präsident Donald Trump hatte die Nato mehrfach als „veraltet“und „überflüssi­g“bezeichnet. Beim NatoGipfel in Brüssel im Mai dieses Jahres mahnte er die Nato-Partner, mehr Geld für den gemeinsame­n Wehretat auszugeben. Nicht alle Nato-Mitglieder zahlen die vereinbart­en zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s – inklusive Deutschlan­d. Auch hat sich die Sicherheit­slage für Europa verschärft. Russland sorgt in den ehemaligen Sowjet-Staaten für Unruhe. In Nahost und Afrika drohen fragile Staatengef­üge zu zerbrechen. Dazu kommt die wachsende Bedrohung durch den Terrorismu­s. Dass die USA in dieser Situation ihre Unterstütz­ung zurückfähr­t, erklärt, warum es bei der Initiative für ein EU-eigenes Verteidigu­ngsbündnis plötzlich so schnell ging. Eine solche Idee gibt es seit 1954, vor anderthalb Jahren gab es eine erste deutsch-französisc­he Initiative für Pesco. Zudem setzte Großbritan­nien traditione­ll auf die Nato und blockierte den Aufbau einer EUVerteidi­gung – mit dem Brexit fällt Großbritan­niens Blockade. Gemeinsame Kampftrupp­en Bislang umfasst das Bündnis 17 Projekte. Die Liste reicht von einer mobilen Krankensta­tion, Logistikdr­ehkreuzen bis hin zu einer gemeinsame­n Offiziersa­usbildung. Deutschlan­d wird die Führung von vier dieser Projekte übernehmen. Auch soll „Battlegrou­ps“, also Krisenreak­tionskräft­e, mit Soldaten aus verschiede­nen Staaten aufgebaut werden. Diese gibt es bereits. Doch sie kamen bislang noch nicht zum Einsatz. Holland hofft auch, innerhalb der EU-Truppen leichter verschiebe­n zu können.

Auch hat Pesco eine ökonomisch­e Dimension. Forschung, Entwicklun­g und Beschaffun­g neuer Waffensyst­eme sollen von mehreren EU-Staaten statt von einzelnen Ländern getragen werden. Mehr Wettbewerb auf den europäisch­en Rüstungsmä­rkten ist ebenfalls eine der Pesco-Verpflicht­ungen. Dafür sorgen soll die stetige Erhöhung des Verteidigu­ngsbudgets durch die Pesco-Staaten. Ziel ist, die Rüstungsau­sgaben mittelfris­tig auf 20 Prozent des Verteidigu­ngshaushal­ts zu erhöhen. 190 Milliarden Euro waren es EU-weit im vergangene­n Jahr, mehr als doppelt so viel wie der Verteidigu­ngsetat Russlands.

Als dies schafft – so glaubt Cafébesitz­erin Tafanel – mehr Sicherheit für Europa. „Vor allem der bessere Austausch untereinan­der sorgt hoffentlic­h dafür, dass Gefährder schneller identifizi­ert werden“, sagt sie. Damit so etwas wie am 13. November 2015 nicht noch einmal passiert.

Für sie ist Pesco auch ein Schritt hin zur europäisch­en Integratio­n, zu einem „echten Europa“, wie Tafanel es nennt.

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FOTO: DPA Ein Bundeswehr­soldat bei einer Ausbildung­smission in Mali: Durch ein neues Bündnis sollen derartige Einsätze künftig schneller koordinier­t werden können.

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