Nachtflug
Richard Freitag gewinnt auch den Skisprung-Weltcup in Titisee-Neustadt vor Andreas Wellinger
Skispringer Richard Freitag (Foto: Imago) hat beim Weltcup in Titisee-Neustadt im Schwarzwald seinen zweiten Saisonsieg gefeiert: Der Sachse gewann das Flutlichtspringen am Sonntagabend bei schwierigen Windbedingungen vor seinem Teamkameraden Andreas Wellinger.
TITISEE-NEUSTADT - Manchmal hat so ein Skisprunglehrer ja prophetische Gaben. Gerade war die Qualifikation für den Weltcup in TitiseeNeustadt dem sich allzu schnell drehenden, böigen Wind zum Opfer gefallen, da sagte Werner Schuster am Freitag diesen Satz: „Die Schanze hier ist eigentlich ganz gut zu fliegen – aber der Veranstalter war bis jetzt nicht vom Glück verfolgt.“Der Schlechtwetter-Blick zurück verbunden mit der Einschätzung, dass der größte Naturbakken Europas seinen 2017/18er-Sportlern durchaus liegen sollte: Der Rahmen für das Wochenende im Schwarzwald war gesteckt vom Bundestrainer. Trefflich gesteckt: Das Einzelspringen am Sonntag wurde – durch tatkräftiges Anpacken auf dem Aufsprunghügel der Hochfirstschanze und dreimaliges Verschieben auf letztlich 17 Uhr – dem Neuschnee, dem Regen und erneut Phasen fiesen Winds quasi abgerungen; die Organisatoren zwangen ihr Glück. Sieger nach nur einem Durchgang: Richard Freitag mit 128,4 Punkten (145 Meter) vor Andreas Wellinger (126,0 Punkte; 139,5 Meter) und dem Norweger Daniel Andre Tande (122,5 Punkte; 135,5 Meter).
Ein neuerlicher Doppelerfolg (nach Nizhny Tagil vergangenen Sonntag) als Beleg einer so lange nicht erlebten deutschen Lufthoheit – er hatte sich angedeutet. Schon am Samstag, einem Skisprungtag wie aus einer idealen (Winterwetter-) Welt, hatten der GesamtweltcupFührende Freitag und sein erster Verfolger Wellinger die Schuster’sche Expertise untermauert. Die beiden zeigten, beim dritten Platz des deutschen Quartetts im Teamwettbewerb hinter Norwegen und Polen, ihre derzeit bemerkenswert hohe, bemerkenswert stabile Qualität. Andreas Wellinger bewältigte die nachgeholte Qualifikation mit 132,5 Metern, fürs Team legte der 22-jährige Chiemgauer 139,5 und 141 Meter nach. Später landete in der Addition beider Versuche keiner. Auch Richard Freitag nicht. Der Neu-Allgäuer aus Sachsen allerdings (zunächst Qualifikationsdritter mit 136,5 Metern) steigerte seine 134,5 Meter aus Teamdurchgang eins auf 143,5 Meter in Durchgang zwei. Tagesbestweite! Sie sicherte dem Deutschen Skiverband den Podestrang vor Slowenien und Österreich, sie hinterließ den 26-Jährigen selbst ein wenig ratlos: „Keine Ahnung, warum es jetzt so läuft. Ich glaube, das sind ganz kleine Funken, die einem da den Weg ebnen.“Einen Weg, den Werner Schuster mit Freude begleitet: „Ich genieß’ es im Moment, zuzuschauen – und ich schau’ ihm auch gern noch länger so zu.“
Gelegenheit dazu hatte der Bundestrainer gleich am Sonntag wieder. Lange hatte es so ausgesehen, als müsse zum dritten Mal nach 2003 und 2016 ein Weltcup-Springen in Titisee-Neustadt abgesagt werden, ehe um 17.04 Uhr Constantin Schmid in die Anlaufspur ging. Der gerade 18-Jährige vom WSV Oberaudorf hatte schon in der Qualifikation mit 133,5 Metern überrascht. Jetzt trug er die Startnummer 1, störte sich nicht an dem mehrmaligen Auf-den-Balken, Runter-vom-Balken und flog, als er endlich fliegen durfte, auf 133 Meter. Bei feinen Bedingungen (15,4 Windpunkte wurden ihm abgezogen), die allerdings auch erst einmal genutzt sein wollen. Bis zur Startnummer 37 hielt seine Führung, am Ende wurden es die erhofften Weltcup-Zähler, es wurde sogar Platz acht. Das mag auch dem wechselhaften Spiel der Lüfte geschuldet gewesen sein (Karl Geiger etwa hatte bei seinen 119,5 Metern extremen Rückenwind, kompensiert mit 21,4 Bonuspunkten), Constantin Schmid freute sich trotzdem. Zurecht: „Das hätt' ich nie geglaubt!“ „Auch mal Blödsinn machen“Ob Andreas Wellinger und Richard Freitag geglaubt haben, dass ein langer, nervzehrender Wettkampftag so enden würde? Ein Grinsen des Jüngeren. Nervzehrend? Geschaut habe man halt, „dass der Körper in Bewegung bleibt“. Ansonsten: „Zwischendrin den Kopf abschalten, auch mal Blödsinn machen.“Als der Kopf wieder angeschaltet war, war’s vorbei mit dem Blödsinn: 139,5 Meter Andreas Wellinger, 145 Meter (bei identischem Wind übrigens) Richard Freitag. Da konnte die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis nicht ausbleiben. Andreas Wellinger: „Wir haben im Sommer gut trainiert. Wir können entspannt drauflosspringen.“Manchmal ist Kompliziertes simpel.
Manchmal hat so ein Skisprunglehrer ja prophetische Gaben. Der Druck war Thema am Sonntagabend, der nun wachsen wird vor der Vierschanzentournee (vom 29. Dezember - 6. Januar). Skisprungdeutschlands Erwartungshaltung steigt. Weiß Werner Schuster. „Da gibt's“, sagte er, „noch mehr als eine Handvoll absolute Topspringer, und dann sind noch zwei Wochen Zeit.“Stimmt wohl, stört aber niemand, sollte der Bundestrainer auch mit einem zweiten Satz aus dem Hochschwarzwald Bundesprophet sein: „Im Moment – wenn die Jungs gesund bleiben – spricht nichts dagegen, dass wir auf diesem Niveau weiterspringen können.“