Brüssel lehnt Netanjahus Forderungen ab
Botschaften von EU-Staaten nicht in Jerusalem – Empörung über brennende Israel-Flaggen
BRÜSSEL/BERLIN - Nach 22 Jahren Pause besuchte gestern erstmals wieder ein israelischer Premierminister die Europäischen Institutionen. In Brüssel äußerte Benjamin Netanjahu die Erwartung, dass die EU dem amerikanischen Beispiel folgen und Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen solle. Zudem forderte er die Verlegung von Botschaften. Dem erteilte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini eine klare Absage. Auch US-Präsident Donald Trump könne „die Idee vergessen, dass Europa die Botschaften aus Tel Aviv nach Jerusalem verlegt“, erklärte die Politikerin in ungewohnt deutlichen Worten. In dieser Frage seien sich alle 28 Regierungen innerhalb der Europäischen Union einig.
Auch die Haltung der Europäer zum Friedensprozess sei unverändert. Nur eine Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 (vor dem Sechstagekrieg), mit Jerusalem als Hauptstadt sowohl Israels als auch eines Palästinenserstaates, komme infrage. „Das ist die einzige realistische Lösung“, betonte Mogherini. Die Verhandlungen müssten weiterhin vom „Quartett“aus EU, Russland, den Vereinten Nationen und den USA geleitet werden. „Wir sind bereit, in jeder denkbaren Weise beim Neustart des Friedensprozesses zu helfen“, so die Italienerin weiter. Derzeit fehle es aber an den erforderlichen Rahmenbedingungen und an einem realistischen Ziel.
Fortschritte könnten nur erreicht werden, wenn sowohl regionale Kräfte wie Jordanien oder Libanon als auch die internationale Gemeinschaft eingebunden seien. Ein gemeinsamer israelisch-palästinensischer Staat sei ausgeschlossen, weil entweder die deutlich schneller wachsende palästinensische Bevölkerung die israelische Identität gefährde oder die Palästinenser weiterhin als Bürger zweiter Klasse ohne demokratische Teilhabe in diesem neuen Staatsgebilde leben müssten.
In Berlin herrscht derweil Empörung über die Verbrennung israelischer Fahnen bei Kundgebungen in der Bundeshauptstadt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) verurteilten die Aktionen scharf. Merkel sprach am Montag von „gravierenden Ausschreitungen“und erklärte: „Der Staat muss mit allen Mitteln des Rechtsstaates dagegen einschreiten. Wir wenden uns gegen alle Formen von Antisemitismus und Fremdenhass.“
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zeigte sich am Montag besorgt. „Wenn im Jahre 2017 in Deutschland mitten in Berlin vor dem Brandenburger Tor antisemitische Parolen skandiert werden und Fahnen mit dem Davidstern brennen, ist das erschreckend“, sagte er zur „Schwäbischen Zeitung“. Man müsse prüfen, wie sich solche antisemitischen Demonstrationen generell verhindern lassen. „Es darf keine neue Spirale von Hass und Gewalt geben.“
Am Freitag waren bei einer propalästinensischen Demonstration am Brandenburger Tor israelische Flaggen verbrannt worden. Ähnliches geschah am Sonntagabend am Rande eines Protestzuges in der Hauptstadt. Zehn Menschen wurden festgenommen, Ermittlungen wegen der Verletzung von Hoheitszeichen ausländischer Staaten wurden eingeleitet.
BRÜSSEL - Eine klare Botschaft Richtung USA hatten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen am Montag in Brüssel: Kein Mitgliedsstaat will durch eine Verlegung seiner Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem weiteres Öl ins Feuer gießen. Ferner halten alle 28 EU-Regierungen am Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung fest.
Zwar wurde die demonstrative Einheit durch die Tatsache getrübt, dass Litauen auf eigene Faust den israelischen Ministerpräsidenten eingeladen hatte. Die meisten EU-Regierungen sehen darin eine diplomatische Aufwertung, die sie angesichts der israelischen Siedlungspolitik für unangebracht halten. Eigentlich hatte man Netanjahu deswegen bis auf Weiteres kein Spitzentreffen in Brüssel gewähren wollen. Der letzte EUBesuch eines israelischen Ministerpräsidenten lag 22 Jahre zurück, wie Netanjahu stolz zu seinem Besuch wissen ließ. Der EU-Israel-Assoziationsrat, das wichtigste Gremium für die Zusammenarbeit, tagte zuletzt 2012.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini versuchte am Montag, das Beste aus der unangenehmen Situation zu machen. Sie stellte kurz nach dem gemeinsamen Treffen mit Netanjahu fest, dass sich dieser keine Hoffnungen darauf machen sollte, dass die EU-Staaten dem Beispiel der USA folgen und Jerusalem einseitig als Hauptstadt Israels anerkennen. „Von der Seite der EU-Mitgliedstaaten wird dieser Schritt nicht kommen“, sagte sie. Damit ließ Mogherini klar wissen, was die EU von der Vorstellung hält, die Anerkennung Jerusalems könne den Friedensprozess sogar fördern, weil sie ein Streitthema „vom Tisch nehme“, wie es die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, formuliert hatte. Der Beginn neuer Friedensverhandlungen erscheine „in sehr weiter Ferne“, sagte Mogherini. Washington dürfe sich „keine Illusionen“darüber machen, „dass die USInitiative allein erfolgreich wäre“.
Zuletzt musste sich Mogherini fragen lassen, wie einig sich die EU in der Nahost-Politik wirklich ist. Mitte vergangener Woche blockierte Ungarn eine Erklärung, in der Mogherini im Namen aller 28 EU-Staaten Kritik an den USA wegen der einseitigen Anerkennung Jerusalems üben wollte. Kurz darauf ließ dann auch noch der tschechische Präsident wissen, dass er die US-Entscheidung gar nicht so falsch findet. Netanjahu: Anschläge verhindert Netanjahu warnte am Montagmorgen vor den möglichen Folgen, sollte sich die EU radikal von Israel abwenden. Nur dank israelischer Geheimdienstarbeit hätten in Europa viele Anschläge mit zahllosen Toten verhindert werden können, sagte er. Und schließlich drohe auch ein neuer Flüchtlingszustrom nach Europa, sollte Israel im Nahen Osten nicht mehr für eine Eindämmung des radikalen Islamismus sorgen.
Einer der wenigen, die Netanjahu am Montag nicht den Gefallen taten, zuzuhören, war Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Er hatte seine Reise nach Brüssel wegen einer Erkrankung im familiären Umfeld kurzfristig abgesagt.