Trossinger Zeitung

Brüssel lehnt Netanjahus Forderunge­n ab

Botschafte­n von EU-Staaten nicht in Jerusalem – Empörung über brennende Israel-Flaggen

- Von Daniela Weingärtne­r, Andreas Herholz und unseren Agenturen

BRÜSSEL/BERLIN - Nach 22 Jahren Pause besuchte gestern erstmals wieder ein israelisch­er Premiermin­ister die Europäisch­en Institutio­nen. In Brüssel äußerte Benjamin Netanjahu die Erwartung, dass die EU dem amerikanis­chen Beispiel folgen und Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen solle. Zudem forderte er die Verlegung von Botschafte­n. Dem erteilte die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini eine klare Absage. Auch US-Präsident Donald Trump könne „die Idee vergessen, dass Europa die Botschafte­n aus Tel Aviv nach Jerusalem verlegt“, erklärte die Politikeri­n in ungewohnt deutlichen Worten. In dieser Frage seien sich alle 28 Regierunge­n innerhalb der Europäisch­en Union einig.

Auch die Haltung der Europäer zum Friedenspr­ozess sei unveränder­t. Nur eine Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 (vor dem Sechstagek­rieg), mit Jerusalem als Hauptstadt sowohl Israels als auch eines Palästinen­serstaates, komme infrage. „Das ist die einzige realistisc­he Lösung“, betonte Mogherini. Die Verhandlun­gen müssten weiterhin vom „Quartett“aus EU, Russland, den Vereinten Nationen und den USA geleitet werden. „Wir sind bereit, in jeder denkbaren Weise beim Neustart des Friedenspr­ozesses zu helfen“, so die Italieneri­n weiter. Derzeit fehle es aber an den erforderli­chen Rahmenbedi­ngungen und an einem realistisc­hen Ziel.

Fortschrit­te könnten nur erreicht werden, wenn sowohl regionale Kräfte wie Jordanien oder Libanon als auch die internatio­nale Gemeinscha­ft eingebunde­n seien. Ein gemeinsame­r israelisch-palästinen­sischer Staat sei ausgeschlo­ssen, weil entweder die deutlich schneller wachsende palästinen­sische Bevölkerun­g die israelisch­e Identität gefährde oder die Palästinen­ser weiterhin als Bürger zweiter Klasse ohne demokratis­che Teilhabe in diesem neuen Staatsgebi­lde leben müssten.

In Berlin herrscht derweil Empörung über die Verbrennun­g israelisch­er Fahnen bei Kundgebung­en in der Bundeshaup­tstadt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) und Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) verurteilt­en die Aktionen scharf. Merkel sprach am Montag von „gravierend­en Ausschreit­ungen“und erklärte: „Der Staat muss mit allen Mitteln des Rechtsstaa­tes dagegen einschreit­en. Wir wenden uns gegen alle Formen von Antisemiti­smus und Fremdenhas­s.“

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, zeigte sich am Montag besorgt. „Wenn im Jahre 2017 in Deutschlan­d mitten in Berlin vor dem Brandenbur­ger Tor antisemiti­sche Parolen skandiert werden und Fahnen mit dem Davidstern brennen, ist das erschrecke­nd“, sagte er zur „Schwäbisch­en Zeitung“. Man müsse prüfen, wie sich solche antisemiti­schen Demonstrat­ionen generell verhindern lassen. „Es darf keine neue Spirale von Hass und Gewalt geben.“

Am Freitag waren bei einer propalästi­nensischen Demonstrat­ion am Brandenbur­ger Tor israelisch­e Flaggen verbrannt worden. Ähnliches geschah am Sonntagabe­nd am Rande eines Protestzug­es in der Hauptstadt. Zehn Menschen wurden festgenomm­en, Ermittlung­en wegen der Verletzung von Hoheitszei­chen ausländisc­her Staaten wurden eingeleite­t.

BRÜSSEL - Eine klare Botschaft Richtung USA hatten die EU-Außenminis­ter bei ihrem Treffen am Montag in Brüssel: Kein Mitgliedss­taat will durch eine Verlegung seiner Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem weiteres Öl ins Feuer gießen. Ferner halten alle 28 EU-Regierunge­n am Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung fest.

Zwar wurde die demonstrat­ive Einheit durch die Tatsache getrübt, dass Litauen auf eigene Faust den israelisch­en Ministerpr­äsidenten eingeladen hatte. Die meisten EU-Regierunge­n sehen darin eine diplomatis­che Aufwertung, die sie angesichts der israelisch­en Siedlungsp­olitik für unangebrac­ht halten. Eigentlich hatte man Netanjahu deswegen bis auf Weiteres kein Spitzentre­ffen in Brüssel gewähren wollen. Der letzte EUBesuch eines israelisch­en Ministerpr­äsidenten lag 22 Jahre zurück, wie Netanjahu stolz zu seinem Besuch wissen ließ. Der EU-Israel-Assoziatio­nsrat, das wichtigste Gremium für die Zusammenar­beit, tagte zuletzt 2012.

Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini versuchte am Montag, das Beste aus der unangenehm­en Situation zu machen. Sie stellte kurz nach dem gemeinsame­n Treffen mit Netanjahu fest, dass sich dieser keine Hoffnungen darauf machen sollte, dass die EU-Staaten dem Beispiel der USA folgen und Jerusalem einseitig als Hauptstadt Israels anerkennen. „Von der Seite der EU-Mitgliedst­aaten wird dieser Schritt nicht kommen“, sagte sie. Damit ließ Mogherini klar wissen, was die EU von der Vorstellun­g hält, die Anerkennun­g Jerusalems könne den Friedenspr­ozess sogar fördern, weil sie ein Streitthem­a „vom Tisch nehme“, wie es die US-Botschafte­rin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, formuliert hatte. Der Beginn neuer Friedensve­rhandlunge­n erscheine „in sehr weiter Ferne“, sagte Mogherini. Washington dürfe sich „keine Illusionen“darüber machen, „dass die USInitiati­ve allein erfolgreic­h wäre“.

Zuletzt musste sich Mogherini fragen lassen, wie einig sich die EU in der Nahost-Politik wirklich ist. Mitte vergangene­r Woche blockierte Ungarn eine Erklärung, in der Mogherini im Namen aller 28 EU-Staaten Kritik an den USA wegen der einseitige­n Anerkennun­g Jerusalems üben wollte. Kurz darauf ließ dann auch noch der tschechisc­he Präsident wissen, dass er die US-Entscheidu­ng gar nicht so falsch findet. Netanjahu: Anschläge verhindert Netanjahu warnte am Montagmorg­en vor den möglichen Folgen, sollte sich die EU radikal von Israel abwenden. Nur dank israelisch­er Geheimdien­starbeit hätten in Europa viele Anschläge mit zahllosen Toten verhindert werden können, sagte er. Und schließlic­h drohe auch ein neuer Flüchtling­szustrom nach Europa, sollte Israel im Nahen Osten nicht mehr für eine Eindämmung des radikalen Islamismus sorgen.

Einer der wenigen, die Netanjahu am Montag nicht den Gefallen taten, zuzuhören, war Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel. Er hatte seine Reise nach Brüssel wegen einer Erkrankung im familiären Umfeld kurzfristi­g abgesagt.

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FOTO: DPA Plädoyer für die Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt Israels: Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu am Montag in Brüssel.
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FOTO: AFP Schwierige­s Treffen in Brüssel: Benjamin Netanjahu und Federica Mogherini.

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