Zu Besuch bei Antikapitalisten in Frankreich
Mit dem Stipendium für eine Studienreise gewinnt Ann-Kathrin aus Blaustein Einsichten und neue Perspektiven
Ein eigenes Forschungsprojekt entwickeln, dafür alleine ins Ausland reisen – so etwas macht man doch frühestens als fortgeschrittener Student? Nicht unbedingt: Die „zis Stiftung für Studienreisen“vergibt jedes Jahr an rund 50 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 20 Jahren ein Reisestipendium von 600 Euro. Damit können sie sich für vier Wochen zu einer Recherchereise aufmachen, bei der sie ein selbst gewähltes Thema vor Ort untersuchen. Ann-Kathrin Kurfess aus Blaustein (Alb-DonauKreis) ist 18 Jahre alt, hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht und ist vor Kurzem von ihrem Aufenthalt in Südfrankreich zurückgekehrt, bei dem sie mehr über das Thema „Subsistenzwirtschaft in Frankreich und wie die Menschen leben“lernen konnte.
Woher wissen wir, wo unser Essen herkommt, was für einen Bezug haben wir zu den Lebensmitteln, wie viel Arbeit steckt in deren Herstellung? Das sind Fragen, die Ann-Kathrin schon seit einiger Zeit beschäftigt haben. Durch ihre Familie hatte sie zwar schon Berührung mit der Landwirtschaft, aber die Blausteinerin wollte noch einen Schritt weiter gehen und einen Eindruck von Subsistenzwirtschaft bekommen – also einer Landwirtschaft, in der man idealerweise alles selber macht, wie sie den Begriff definiert.
Über eine Anzeige war sie auf das Angebot von zis gestoßen, einer seit 1956 aktiven Stiftung, die im Schloss Salem ansässig ist. Zum Anmeldeschluss im Februar bewarb sie sich auf das Programm und wurde zum Maitreffen der Stiftung eingeladen. Dort konnte sie ehemalige Stipendiaten und ihre Mentorin kennenlernen und fasste endgültig den Entschluss, das Projekt durchzuziehen. Das Thema stand fest, als Reiseland hatte sie Frankreich gewählt – „auch um mein Schulfranzösisch aufzufrischen". Dass die Ziele der Stipendiaten in Europa liegen, hängt auch mit den Vorgaben des Programms zusammen, denn eine Anreise mit dem Flugzeug ist nicht vorgesehen: „Wir wollen, dass An- und Abreise bewusst geschehen und die Stipendiaten Zeit haben, sich auf die Reise einzulassen“, erklärt die Leiterin der Geschäftsstelle Dagmar Baltes.
Für die Wahl ihrer Forschungsziele recherchierte Ann-Kathrin im Internet: Eine Station fand sie über das WWOOF (World-Wide Opportunities on Organic Farms) Programm. Eine weitere, die Kooperative Longo maï, empfahl ihr eine Professorin aus Berlin, die sie beherzt angeschrieben hatte. Erste Station: Planwagen Ende September war es dann soweit, die Abiturientin brach Richtung Frankreich auf und landete an einem ungewöhnlichen Ort: bei einem jungen Paar Ende 20, das mit Planwagen auf einer Wiese lebte. „Das war schon ein bisschen sehr alternativ, aber cool“, beschreibt Ann-Kathrin ihren Eindruck. Das Paar baute Gemüse an, hatte ein Pferd, einen Esel zum Wassertransport und Ziegen für Milch. Schnell war sie in die Arbeitsabläufe eingebunden, wobei der Zugang zu gewissen zivilisatorischen Annehmlichkeiten eingeschränkt war: Zwar gab es eine Solarplatte, um Mobiltelefon und Kamera aufzuladen, aber für den „Monsterakku“, den ihr die Schwester vorausahnend geschickt hatte, war Ann-Kathrin dann doch dankbar.
Die neun Tage mit dem Paar waren sehr abwechslungsreich, Biofestivals und Marktbesuche inklusive, aber auch gewisse Widersprüche fielen ihr auf: Zwar waren die beiden vollauf „gegen das System“, bezogen aber dennoch Arbeitslosengeld. Bei ihrer zweiten Station, der Kooperative Longo maï, wird dieses Prinzip konsequenter eingehalten und man kommt ohne staatliche Hilfe klar. Die antikapitalistische Kooperative wurde 1973 gegründet, Ann-Kathrin war auf einer kleineren Außenstelle, genoss aber die im Vergleich zur vorherigen Station größere Gruppe. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ für sie dabei die Schlachtung eines Schweines – auch das ein Schritt zu einer besseren Beziehung zu den Lebensmitteln, die sie zu sich nimmt. Probleme mit dem Stadtleben Neben dem landwirtschaftlichen Aspekt war natürlich auch das menschliche Miteinander für sie eine wichtige Erfahrung. Bei beiden Stationen hatten die Menschen, denen sie begegnete, oft „ein schwieriges Verhältnis zur normalen Welt: Obwohl sie vorher teils gute Jobs hatten, haben sie irgendwann gemerkt, dass sie mit dem Leben in der Stadt nicht klarkommen“. Dies hat auch ihr zu denken gegeben, ob unser System wirklich zu allen Menschen passt. Sie selbst will künftig so viel ihrer Nahrung wie möglich selber herstellen, auf Dauer allerdings wäre das alternative Leben dann doch eher nichts für sie. Stattdessen plant sie ein Medizinstudium – das hat keinen direkten Bezug zu ihrem Forschungsthema, was aber ganz im Sinne des Stipendiums ist, schließlich soll dieses neue und alternative Perspektiven eröffnen. Neugierig geworden? Der nächste Bewerbungsschluss für zis ist der 15. Februar 2018. Infos unter www.zis-reisen.de.