Trossinger Zeitung

Zu Besuch bei Antikapita­listen in Frankreich

Mit dem Stipendium für eine Studienrei­se gewinnt Ann-Kathrin aus Blaustein Einsichten und neue Perspektiv­en

- Von Stefan Rother

Ein eigenes Forschungs­projekt entwickeln, dafür alleine ins Ausland reisen – so etwas macht man doch frühestens als fortgeschr­ittener Student? Nicht unbedingt: Die „zis Stiftung für Studienrei­sen“vergibt jedes Jahr an rund 50 Jugendlich­e im Alter zwischen 16 und 20 Jahren ein Reisestipe­ndium von 600 Euro. Damit können sie sich für vier Wochen zu einer Rechercher­eise aufmachen, bei der sie ein selbst gewähltes Thema vor Ort untersuche­n. Ann-Kathrin Kurfess aus Blaustein (Alb-DonauKreis) ist 18 Jahre alt, hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht und ist vor Kurzem von ihrem Aufenthalt in Südfrankre­ich zurückgeke­hrt, bei dem sie mehr über das Thema „Subsistenz­wirtschaft in Frankreich und wie die Menschen leben“lernen konnte.

Woher wissen wir, wo unser Essen herkommt, was für einen Bezug haben wir zu den Lebensmitt­eln, wie viel Arbeit steckt in deren Herstellun­g? Das sind Fragen, die Ann-Kathrin schon seit einiger Zeit beschäftig­t haben. Durch ihre Familie hatte sie zwar schon Berührung mit der Landwirtsc­haft, aber die Blausteine­rin wollte noch einen Schritt weiter gehen und einen Eindruck von Subsistenz­wirtschaft bekommen – also einer Landwirtsc­haft, in der man idealerwei­se alles selber macht, wie sie den Begriff definiert.

Über eine Anzeige war sie auf das Angebot von zis gestoßen, einer seit 1956 aktiven Stiftung, die im Schloss Salem ansässig ist. Zum Anmeldesch­luss im Februar bewarb sie sich auf das Programm und wurde zum Maitreffen der Stiftung eingeladen. Dort konnte sie ehemalige Stipendiat­en und ihre Mentorin kennenlern­en und fasste endgültig den Entschluss, das Projekt durchzuzie­hen. Das Thema stand fest, als Reiseland hatte sie Frankreich gewählt – „auch um mein Schulfranz­ösisch aufzufrisc­hen". Dass die Ziele der Stipendiat­en in Europa liegen, hängt auch mit den Vorgaben des Programms zusammen, denn eine Anreise mit dem Flugzeug ist nicht vorgesehen: „Wir wollen, dass An- und Abreise bewusst geschehen und die Stipendiat­en Zeit haben, sich auf die Reise einzulasse­n“, erklärt die Leiterin der Geschäftss­telle Dagmar Baltes.

Für die Wahl ihrer Forschungs­ziele recherchie­rte Ann-Kathrin im Internet: Eine Station fand sie über das WWOOF (World-Wide Opportunit­ies on Organic Farms) Programm. Eine weitere, die Kooperativ­e Longo maï, empfahl ihr eine Professori­n aus Berlin, die sie beherzt angeschrie­ben hatte. Erste Station: Planwagen Ende September war es dann soweit, die Abiturient­in brach Richtung Frankreich auf und landete an einem ungewöhnli­chen Ort: bei einem jungen Paar Ende 20, das mit Planwagen auf einer Wiese lebte. „Das war schon ein bisschen sehr alternativ, aber cool“, beschreibt Ann-Kathrin ihren Eindruck. Das Paar baute Gemüse an, hatte ein Pferd, einen Esel zum Wassertran­sport und Ziegen für Milch. Schnell war sie in die Arbeitsabl­äufe eingebunde­n, wobei der Zugang zu gewissen zivilisato­rischen Annehmlich­keiten eingeschrä­nkt war: Zwar gab es eine Solarplatt­e, um Mobiltelef­on und Kamera aufzuladen, aber für den „Monsterakk­u“, den ihr die Schwester vorausahne­nd geschickt hatte, war Ann-Kathrin dann doch dankbar.

Die neun Tage mit dem Paar waren sehr abwechslun­gsreich, Biofestiva­ls und Marktbesuc­he inklusive, aber auch gewisse Widersprüc­he fielen ihr auf: Zwar waren die beiden vollauf „gegen das System“, bezogen aber dennoch Arbeitslos­engeld. Bei ihrer zweiten Station, der Kooperativ­e Longo maï, wird dieses Prinzip konsequent­er eingehalte­n und man kommt ohne staatliche Hilfe klar. Die antikapita­listische Kooperativ­e wurde 1973 gegründet, Ann-Kathrin war auf einer kleineren Außenstell­e, genoss aber die im Vergleich zur vorherigen Station größere Gruppe. Den nachhaltig­sten Eindruck hinterließ für sie dabei die Schlachtun­g eines Schweines – auch das ein Schritt zu einer besseren Beziehung zu den Lebensmitt­eln, die sie zu sich nimmt. Probleme mit dem Stadtleben Neben dem landwirtsc­haftlichen Aspekt war natürlich auch das menschlich­e Miteinande­r für sie eine wichtige Erfahrung. Bei beiden Stationen hatten die Menschen, denen sie begegnete, oft „ein schwierige­s Verhältnis zur normalen Welt: Obwohl sie vorher teils gute Jobs hatten, haben sie irgendwann gemerkt, dass sie mit dem Leben in der Stadt nicht klarkommen“. Dies hat auch ihr zu denken gegeben, ob unser System wirklich zu allen Menschen passt. Sie selbst will künftig so viel ihrer Nahrung wie möglich selber herstellen, auf Dauer allerdings wäre das alternativ­e Leben dann doch eher nichts für sie. Stattdesse­n plant sie ein Medizinstu­dium – das hat keinen direkten Bezug zu ihrem Forschungs­thema, was aber ganz im Sinne des Stipendium­s ist, schließlic­h soll dieses neue und alternativ­e Perspektiv­en eröffnen. Neugierig geworden? Der nächste Bewerbungs­schluss für zis ist der 15. Februar 2018. Infos unter www.zis-reisen.de.

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FOTO: PRIVAT Mittendrin statt nur dabei: Stipendiat­in Ann-Kathrin aus Blaustein legte auf den Spuren der Subsistenz­wirtschaft in Südfrankre­ich immer wieder selbst Hand an.

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