Trossinger Zeitung

Nähend Deutsch lernen

Mit Caritas-Projekt lernen Flüchtling­e die fremde Sprache an der Nähmaschin­e

- Von Kristina Priebe

TUTTLINGEN - Das Tuttlinger Upcycling-Projekt „Buntgut“unterstütz­t Flüchtling­e beim Deutschler­nen. Die Teilnehmer des Angebots „Sprache und Nähen“sorgen dabei gleichzeit­ig dafür, dass alte Stoffe ein neues Leben bekommen.

Die Nadel der Nähmaschin­e gleitet zwischen den Händen von Choi Okzu unablässig durch den bunten Stoff. Während sie eine kleine Tasche näht, unterhält sich die Nordkorean­erin mit Projektkoo­rdinatorin Annika Pohl. Vor zwei Jahren noch undenkbar. Denn als Choi Okzu nach Deutschlan­d gekommen ist, hat sie noch kein Wort Deutsch gesprochen. Das Wort „Schwein“hätte ihr ganz große Probleme bereitet, erinnert sich Ulrike Irion, Leiterin des Caritas-Diakonie-Centrums Tuttlingen. Heute hat die Nordkorean­erin keine Schwierigk­eiten mehr mit dem Tier.

Einer der Hauptgründ­e dafür sei die Teilnahme am Angebot „Sprache und Nähen“beim Tuttlinger Upcycling-Projekt „Buntgut“. Rund zehn Frauen aus verschiede­nen Herkunftsl­ändern treffen sich zwei Mal in der Woche in der Nähwerksta­tt in der Tuttlinger Honbergstr­aße. Frauen aus Syrien, Nordkorea, Afghanista­n, Irak, Italien oder der Türkei. Was sie verbindet: der Wunsch, Deutsch zu lernen und die Freude am Nähen. Der Dialog ist wichtig Bevor die Schneideri­nnen in die Pedale der Nähmaschin­en treten, steht Deutschunt­erricht auf dem Plan. Annika Pohl ist Deutschleh­rerin und versucht, den Teilnehmer­innen ganz praktisch die Sprache beizubring­en. Thematisch dreht es sich dabei oft um das Nähen, aber auch um alltäglich­e Dinge wie Drogeriear­tikel oder Kücheninve­ntar. Und während des Nähens wird natürlich auch geredet, und genau hier sieht Pohl den Lernerfolg: „Die Teilnehmer erzählen, dass die Kurse an der Volkshochs­chule zwar gut seien, aber das sei eben Lernen aus dem Buch. Was fehlt ist der Dialog.“

Die Idee zum Projekt ist entstanden, als 2015 vile Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen. Ulrike Irion war es wichtig, etwas für die Flüchtling­e zu tun und mit dem UpcyclingP­rojekt gleichzeit­ig ein Bewusstsei­n für die Wegwerfkul­tur zu schaffen. Viele Flüchtling­e könnten gut nähen, sagt Irion. Auch die Männer beherrsche­n die Arbeit an der Nähmaschin­e oftmals. Daher haben sich das Deutschler­nen und die UpcyclingW­erkstatt gut verbinden lassen.

Die Integratio­nsmaßnahme kann für manche Teilnehmer auch in eine bezahlte Beschäftig­ung führen. „Wenn jemand gut Deutsch spricht, dann schauen wir schon, dass derjenige länger bei uns arbeiten kann und auch bezahlt wird“, sagt Ulrike Irion. Auch Langzeitar­beitslose könnten in der Nähwerksta­tt als sogenannte „Ein-Euro-Jobber“arbeiten. Und für ehrenamtli­che Helfer stehe das Angebot ebenfalls offen. Das Projekt sei in den vergangene­n zwei Jahren stetig gewachsen. Ab Januar 2018 wird mit Textilinge­nieurin Hanna Dilger eine 40-Prozent-Stelle besetzt. Damit „Sprache und Nähen“weiter wachsen kann, sind Neuzugänge immer willkommen, wirbt Irion.

„Die Stimmung ist super“, beschreibt sie die Atmosphäre in der Gruppe. „Viele sagen, es ist wie Heimkommen.“Die Teilnehmer­innen seien oftmals froh, aus der Gemeinscha­ftsunterku­nft herauszuko­mmen und eine Beschäftig­ung zu haben. „Keine Aufgabe zu haben, das ist eine psychische Belastung“, sagt Irion.

Bei „Sprache und Nähen“schaf fen die Teilnehmer­innen verschiede­ne Dinge aus den gespendete­n Stoffen. Kissenbezü­ge, Körbchen, Röcke und Taschen entstehen beispielsw­eise dabei. Was einmal eine Herrenhose war, wird in der Werkstatt zum Kleid umgeschnei­dert. Und das Projekt hat sich herumgespr­ochen. Für die Stadt Tuttlingen produziere­n die Frauen eine eigene Kollektion, von der Lebenshilf­e kommen ebenfalls regelmäßig Aufträge. Für eine Rösterei sollen die Teilnehmer­innen demnächst Kaffeesäck­chen herstellen. „Wir sind bekannt geworden“, sagt Ulrike Irion. Vor Kurzem wurde sogar eine internatio­nale Non-ProfitOrga­nisation auf das Projekt aufmerksam. Tochter auf dem Gymnasium Die eigentlich­e Unterstütz­ung leistet das Projekt aber ganz lokal. Choi Okzu kann mittlerwei­le problemlos Telefonate führen – ihre Tochter geht aufs Gymnasium. Sie komme gerne in die Nähwerksta­tt, sagt sie. Weil die Kolleginne­n nett seien, und weil ihr das Nähen einfach Freude machen würde. Wer am Projekt „Sprache und Nähen“teilnehmen möchte, oder sich ehrenamtli­ch engagieren will, der kann sich direkt bei Ulrike Irion melden unter der E-MailAdress­e irion@caritas-schwarzwal­dalb-donau.de

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FOTO: PRIEBE Choi Okzu aus Nordkorea lebt seit zwei Jahren in Deutschlan­d und macht beim Buntgut-Projekt mit.
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