Nähend Deutsch lernen
Mit Caritas-Projekt lernen Flüchtlinge die fremde Sprache an der Nähmaschine
TUTTLINGEN - Das Tuttlinger Upcycling-Projekt „Buntgut“unterstützt Flüchtlinge beim Deutschlernen. Die Teilnehmer des Angebots „Sprache und Nähen“sorgen dabei gleichzeitig dafür, dass alte Stoffe ein neues Leben bekommen.
Die Nadel der Nähmaschine gleitet zwischen den Händen von Choi Okzu unablässig durch den bunten Stoff. Während sie eine kleine Tasche näht, unterhält sich die Nordkoreanerin mit Projektkoordinatorin Annika Pohl. Vor zwei Jahren noch undenkbar. Denn als Choi Okzu nach Deutschland gekommen ist, hat sie noch kein Wort Deutsch gesprochen. Das Wort „Schwein“hätte ihr ganz große Probleme bereitet, erinnert sich Ulrike Irion, Leiterin des Caritas-Diakonie-Centrums Tuttlingen. Heute hat die Nordkoreanerin keine Schwierigkeiten mehr mit dem Tier.
Einer der Hauptgründe dafür sei die Teilnahme am Angebot „Sprache und Nähen“beim Tuttlinger Upcycling-Projekt „Buntgut“. Rund zehn Frauen aus verschiedenen Herkunftsländern treffen sich zwei Mal in der Woche in der Nähwerkstatt in der Tuttlinger Honbergstraße. Frauen aus Syrien, Nordkorea, Afghanistan, Irak, Italien oder der Türkei. Was sie verbindet: der Wunsch, Deutsch zu lernen und die Freude am Nähen. Der Dialog ist wichtig Bevor die Schneiderinnen in die Pedale der Nähmaschinen treten, steht Deutschunterricht auf dem Plan. Annika Pohl ist Deutschlehrerin und versucht, den Teilnehmerinnen ganz praktisch die Sprache beizubringen. Thematisch dreht es sich dabei oft um das Nähen, aber auch um alltägliche Dinge wie Drogerieartikel oder Kücheninventar. Und während des Nähens wird natürlich auch geredet, und genau hier sieht Pohl den Lernerfolg: „Die Teilnehmer erzählen, dass die Kurse an der Volkshochschule zwar gut seien, aber das sei eben Lernen aus dem Buch. Was fehlt ist der Dialog.“
Die Idee zum Projekt ist entstanden, als 2015 vile Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Ulrike Irion war es wichtig, etwas für die Flüchtlinge zu tun und mit dem UpcyclingProjekt gleichzeitig ein Bewusstsein für die Wegwerfkultur zu schaffen. Viele Flüchtlinge könnten gut nähen, sagt Irion. Auch die Männer beherrschen die Arbeit an der Nähmaschine oftmals. Daher haben sich das Deutschlernen und die UpcyclingWerkstatt gut verbinden lassen.
Die Integrationsmaßnahme kann für manche Teilnehmer auch in eine bezahlte Beschäftigung führen. „Wenn jemand gut Deutsch spricht, dann schauen wir schon, dass derjenige länger bei uns arbeiten kann und auch bezahlt wird“, sagt Ulrike Irion. Auch Langzeitarbeitslose könnten in der Nähwerkstatt als sogenannte „Ein-Euro-Jobber“arbeiten. Und für ehrenamtliche Helfer stehe das Angebot ebenfalls offen. Das Projekt sei in den vergangenen zwei Jahren stetig gewachsen. Ab Januar 2018 wird mit Textilingenieurin Hanna Dilger eine 40-Prozent-Stelle besetzt. Damit „Sprache und Nähen“weiter wachsen kann, sind Neuzugänge immer willkommen, wirbt Irion.
„Die Stimmung ist super“, beschreibt sie die Atmosphäre in der Gruppe. „Viele sagen, es ist wie Heimkommen.“Die Teilnehmerinnen seien oftmals froh, aus der Gemeinschaftsunterkunft herauszukommen und eine Beschäftigung zu haben. „Keine Aufgabe zu haben, das ist eine psychische Belastung“, sagt Irion.
Bei „Sprache und Nähen“schaf fen die Teilnehmerinnen verschiedene Dinge aus den gespendeten Stoffen. Kissenbezüge, Körbchen, Röcke und Taschen entstehen beispielsweise dabei. Was einmal eine Herrenhose war, wird in der Werkstatt zum Kleid umgeschneidert. Und das Projekt hat sich herumgesprochen. Für die Stadt Tuttlingen produzieren die Frauen eine eigene Kollektion, von der Lebenshilfe kommen ebenfalls regelmäßig Aufträge. Für eine Rösterei sollen die Teilnehmerinnen demnächst Kaffeesäckchen herstellen. „Wir sind bekannt geworden“, sagt Ulrike Irion. Vor Kurzem wurde sogar eine internationale Non-ProfitOrganisation auf das Projekt aufmerksam. Tochter auf dem Gymnasium Die eigentliche Unterstützung leistet das Projekt aber ganz lokal. Choi Okzu kann mittlerweile problemlos Telefonate führen – ihre Tochter geht aufs Gymnasium. Sie komme gerne in die Nähwerkstatt, sagt sie. Weil die Kolleginnen nett seien, und weil ihr das Nähen einfach Freude machen würde. Wer am Projekt „Sprache und Nähen“teilnehmen möchte, oder sich ehrenamtlich engagieren will, der kann sich direkt bei Ulrike Irion melden unter der E-MailAdresse irion@caritas-schwarzwaldalb-donau.de