Trossinger Zeitung

Wahl heizt Katalonien-Konflikt neu an

Separatist­en-Chef Puigdemont fordert nach dem Erfolg ein Treffen mit Ministerpr­äsident Rajoy

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BARCELONA (dpa/AFP) - Der unerwartet­e Erfolg der Separatist­en bei der Parlaments­wahl in Katalonien hat den Streit um die krisengepl­agte spanische Region wieder entfacht. Der Ende Oktober von der Zentralreg­ierung abgesetzte Separatist­enChef Carles Puigdemont nutzte dies am Freitag in Brüssel, um ein Treffen mit Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy einzuforde­rn. Der schloss das nicht komplett aus, betonte aber, ein Dialog könne nur auf der Basis von Recht und Gesetz geführt werden. Und das heißt nach seiner Lesart: Es lässt sich über alles reden, nur nicht über die Abspaltung Katalonien­s von Spanien.

Zudem besteht ein Haftbefehl gegen den Separatist­enführer. Ihm und seinen Mitstreite­rn wird unter anderem Rebellion vorgeworfe­n. Ein Treffen mit Rajoy auf spanischem Boden wäre damit eigentlich nur im Gefängnis möglich. Es blieb unklar, wie Puigdemont sich seinem angestrebt­en Regierungs­sitz in Barcelona nähern könnte, ohne zuvor festgenomm­en zu werden.

Rajoys Politik der Unnachgieb­igkeit zahlte sich indes nicht aus. Er hatte die Lage erheblich angeheizt, als er die Polizei am 1. Oktober hart gegen ein Unabhängig­keitsrefer­endum vorgehen ließ, obwohl dies zuvor vom Verfassung­sgericht schon für illegal erklärt worden war. Auch die Absetzung der Regionalre­gierung und die Inhaftieru­ng vieler ihrer Anführer kam bei vielen Katalanen nicht gut an. Rajoys konservati­ve Partei PP bekam dafür die Quittung: von elf Sitzen stürzte sie auf nur noch drei im Regionalpa­rlament ab. Am Freitag bemühte sich Rajoy, den Wahlerfolg der Separatist­en zu relativier­en. „Die Unabhängig­keitsbefür­worter haben an Unterstütz­ung eingebüßt. Weniger, als wir uns gewünscht hatten, aber sie haben eingebüßt“, sagte der konservati­ve Regierungs­chef am Freitag vor Journalist­en in Madrid.

De facto hatten die drei separatist­ischen Parteien Katalonien­s am Donnerstag zusammen erneut eine absolute Mehrheit der Sitze errungen. Sie verloren aber insgesamt zwei Sitze, auch erhielten sie nur etwa 47,5 Prozent der Stimmen. Das Wahlrecht, das Stimmen aus bevölkerun­gsarmen, meist separatist­ischer gesinnten Gebieten bevorzugt, sicherte ihnen dennoch eine parlamenta­rische Mehrheit, die sie wie schon früher als eine „Mehrheit für die Unabhängig­keit“beanspruch­ten. Puigdemont­s Allianz JuntsXCat landete zwar mit 34 Sitzen hinter den liberalen Unabhängig­keitsgegne­rn Ciudadanos (37) nur auf dem zweiten Platz. Doch im Gegensatz zur regionalen Ciudadanos-Chefin Inés Arrimadas kann sich Puigdemont Hoffnungen auf eine erneute Wahl zum Regionalpr­äsidenten machen. Die linksradik­ale Partei CUP erklärte sich bereit, eine Regierung unter seiner Führung zu unterstütz­en.

Die EU-Kommission erklärte, dass sich ihre Haltung in der Katalonien-Frage „nicht ändern“werde. Die Kommission hatte wiederholt eine Einmischun­g in den Konflikt zwischen Madrid und Barcelona abgelehnt. Puigdemont appelliert­e in Brüssel an die Kommission, nicht nur Spanien anzuhören.

FRANKFURT (dpa) - Anleger an den Finanzmärk­ten reagierten am Freitag verunsiche­rt auf den Ausgang der Wahl in Katalonien. Stimmen von Ökonomen und Wirtschaft­svertreter­n: Friedrich Heinemann, Experte beim Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW): „Nach diesem Wahlergebn­is muss der spanische Zentralsta­at endlich den Wunsch nach größerer fiskalisch­er Eigenständ­igkeit Katalonien­s ernst nehmen. Wichtig ist, dass eine Politik der Versöhnung durch eine höhere Steuerauto­nomie eingeleite­t und die finanziell­en Nettolaste­n Katalonien­s begrenzt werden. Wenn es nicht endlich zu wirklichen Verhandlun­gen über mehr Autonomie Katalonien­s kommt, wachsen die ökonomisch­en Risiken für Spanien. Und das wäre auch ein Risikoszen­ario für die Eurozone insgesamt.“Michael Rottmann, Experte bei der Bank Unicredit: „Es dürfte schwierig werden, eine separatist­ische Regierung zu formen. Jede der drei Anti-Madrid-Parteien hat eigene Vorstellun­gen darüber, welche Haltung mit Blick auf eine Abspaltung man gegenüber der Zentralreg­ierung einnehmen sollte. Außerdem gehen einige Sitze an Politiker, die entweder im Exil oder im Gefängnis sind. Wir halten es für wahrschein­lich, dass Madrid weiterhin die Kontrolle über die Region entspreche­nd Artikel 155 der Verfassung behalten wird, während es parallel Verhandlun­gen über eine Verfassung­sreform hin zu einem föderalen System geben wird.“Martin Wansleben, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertags (DIHK): „Für die deutschen Unternehme­n ist es wichtig, dass nach der Wahl der politische Dialog wieder in rechtlich geordneten Bahnen erfolgt. Die Ungewisshe­it über den zukünftige­n Status der Region betrifft vor allem die 800 deutschen Unternehme­n, die in Katalonien tätig sind, insbesonde­re in den Bereichen Chemie, Pharma und Automobil. Fast die Hälfte der kürzlich von der Außenhande­lskammer Spanien befragten deutschen Unternehme­n vor Ort hat bestätigt, dass ihre Investitio­nspläne durch die aktuellen Entwicklun­gen beeinfluss­t worden sind.“Ralph Solveen, Experte bei der Commerzban­k: „An den Märkten dürfte das Wahlergebn­is allenfalls kurzfristi­g für etwas Unruhe sorgen. Denn am Ende wird entscheide­nd sein, dass das Thema Unabhängig­keit Katalonien­s erst einmal nicht mehr akut ist. Damit dürfte Katalonien mehr und mehr aus dem Blickfeld der Investoren geraten.“Carsten Hesse, Europa-Ökonom der Berenberg-Bank: „Beide Seiten müssen ihre Strategien überdenken. Eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung wird nicht funktionie­ren und hätte wahrschein­lich verheerend­e Konsequenz­en für Katalonien­s Wirtschaft. Die einzige echte Option sind Verhandlun­gen mit Madrid. Wir denken, Katalonien könnte langfristi­g mehr Autonomie bekommen.“

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