Trossinger Zeitung

Tote bei Massenprot­esten in Iran

Aufstände gegen die Regierung in mehr als 50 Städten – US-Präsident Trump mischt sich ein

- Von Michael Wrase und dpa

TEHERAN - In Iran weiten sich die Proteste gegen die Regierung von Präsident Hassan Ruhani aus. Bis Montagaben­d starben nach Angaben des Staatsfern­sehens mindestens 13 Menschen in Zentral-, West- und Südwestira­n. In Teheran demonstrie­rten Tausende gegen die Regierung. In der Hauptstadt, wo es in der Silvestern­acht zu Straßensch­lachten zwischen Studenten und der Polizei kam, sollen bis zu 400 Menschen festgenomm­en worden sein. Europäisch­e Diplomaten beschriebe­n die Proteste als „spontan, unorganisi­ert und führungslo­s“. Laut Korrespond­entenberic­hten gab es Aufstände in mehr als 50 Städten.

Bei einer Krisensitz­ung des Parlaments in Teheran erklärte Präsident Ruhani am Montag, es wäre ein Fehler, die Proteste nur als ausländisc­he Verschwöru­ng einzustufe­n. „Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaft­licher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten“, sagte Ruhani. Er kritisiert­e damit indirekt den erzkonserv­ativen Klerus. Bei der Umsetzung seiner Reformen muss sich der Präsident oftmals den Mullahs beugen. Ruhani räumte am Montag jedoch ein, dass „die Regierung nicht alles unter ihrer Kontrolle“habe. Dennoch sollten die Proteste nicht als Gefahr, sondern als Chance angesehen werden. Bereits in seiner ersten Reaktion am Sonntag war er auf die Kritiker zugegangen. Er hatte die Proteste als ihr legitimes Recht bezeichnet, zugleich aber vor Ausschreit­ungen gewarnt. Die seit Donnerstag anhaltende­n Kundgebung­en richteten sich zunächst gegen die Wirtschaft­s- und Außenpolit­ik der Regierung, wurden dann aber zunehmend systemkrit­isch. Die Proteste sorgen auch für neuen Zündstoff in den Beziehunge­n Irans zu den USA. US-Präsident Donald Trump hatte am Sonntag getwittert, die Menschen in Iran würden nicht länger hinnehmen, „wie ihr Geld und ihr Wohlstand zugunsten von Terrorismu­s gestohlen“werde. Ruhani nannte Trump im Gegenzug einen Heuchler. Der US-Präsident konterte am Neujahrsta­g wiederum per Twitter, das „große iranische Volk“sei über Jahre unterdrück­t worden. Seinen Tweet beendete er in Großbuchst­aben mit: „ZEIT FÜR EINEN WECHSEL!“

Erzkonserv­ative Kräfte in Iran haben vermutlich die größten Proteste seit dem Jahr 2009 ausgelöst. Während Staatspräs­ident Hassan Ruhani das Demonstrat­ionsrecht verteidigt, drohen Revolution­sgardisten mit der „eisernen Faust der Nation“.

Es war in Maschad, vor den Toren des schiitisch­en Imam-ResaSchrei­ns, wo sich am vergangene­n Donnerstag rund 300 Menschen versammelt hatten, um gegen die Wirtschaft­spolitik von Präsident Ruhani zu demonstrie­ren. Angeführt wurden sie von Anhängern Ebrahim Raisis, einem erzkonserv­ativen Kleriker, der bei den Präsidente­nwahlen im Mai 2017 eine demütigend­e Niederlage gegen Ruhani erlitten hatte.

Bilder der lautstarke­n Proteste vor dem Schrein wurden über den Messenger-Dienst Telegram binnen weniger Stunden im gesamten Iran verbreitet – und offenbar gründlich missversta­nden: nämlich als Signal für landesweit­e Proteste gegen die hohe Arbeitslos­igkeit, gestiegene Lebenshalt­ungskosten sowie gegen das kostspieli­ge Engagement der Revolution­sgardisten in Syrien, Irak und dem Libanon.

Größte Protestwel­le seit 2009 In mehr als 50 iranischen Städten und Ortschafte­n gingen in den letzten vier Tagen die Menschen auf die Straßen. Es sind die größten Demonstrat­ionen seit den Massenprot­esten nach der umstritten­en Wiederwahl von Mahmoud Ahmadineds­chad 2009, an denen sich fast drei Millionen Iraner beteiligt hatten. Damals kamen mehr als 30 Menschen ums Leben.

Insgesamt mindestens dreizehn Todesopfer in mehreren verschiede­nen Städten werden auch dieses Mal gemeldet, unter ihnen ein Polizist. In Teheran kam auch in der Nacht auf Montag zu heftigen Straßensch­lachten zwischen Studenten und der Polizei. Bis zu 400 Menschen sollen dort festgenomm­en worden sein. 200 waren es in der Stadt Arak. Nach Einschätzu­ng europäisch­er Diplomaten sind die Demonstrat­ionen „spontan, unorganisi­ert und führungslo­s“. Wie vor neun Jahren seien zur Zerschlagu­ng der Proteste auch erzkonserv­ative Gegendemon­stranten eingesetzt worden. Dennoch könne man die Demonstrat­ionen nicht mit der sogenannte­n grünen Revolution des Sommers 2009 vergleiche­n. Sicherheit­skräfte hätten die Lage weitgehend im Griff.

„In einem Land, in dem die Ärmsten immer ärmer werden, ist es aber immer möglich, dass sich die Lage über Nacht dramatisch ändert“, warnte der in Teheran lebende Repräsenta­nt eines europäisch­en Wirtschaft­sunternehm­ens im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Trotz der schlechten Wirtschaft­slage, fügte er hinzu, habe es keinerlei Anzeichen für die Massenprot­este gegeben. Diese seien auch für die Regierung völlig überrasche­nd gekommen.

Tatsächlic­h dauerte es drei Tage, bis Staatspräs­ident Ruhani reagierte. Explizit räumte er Regierungs­gegnern das „in unserer Verfassung verankerte Recht zu friedliche­n Demonstrat­ionen“ein. Diese dürften aber nicht in Gewalt ausarten oder zur Zerstörung von öffentlich­em Eigentum führen.

Zuvor hatte Ruhanis Vizepräsid­ent Ehshaq Dschahangi­ri daran erinnert, dass es konservati­ve Kräfte gewesen seien, die mit ihren Protesten in Maschad die landesweit­en Demonstrat­ionen ausgelöst hätten. Wer politische Proteste schüre, betonte er, müsse damit rechnen, die Kontrolle darüber zu verlieren und sich „die eigenen Finger zu verbrennen“.

Internet wieder verfügbar Dass Dschahangi­ris Kritik verpuffte, war zu erwarten. Wie schon vor neun Jahren machten iranische Hardliner „Konterrevo­lutionäre und Agenten des Westens“pauschal für die Ausschreit­ungen verantwort­lich. Die „Unruhestif­ter“würden die „eiserne Faust der Nation“schon bald zu spüren bekommen, drohte ein General der Revolution­sgardisten.

Im Gegensatz zu vielen Hardlinern scheint Präsident Ruhani eine Deeskalati­onsstrateg­ie zu verfolgen: Das am Samstag blockierte Internet funktionie­rte am Montag wieder normal. Und auch über den MessengerD­ienst Telegram konnten Nachrichte­n und Videos verbreitet werden.

Die Zensur des Internets hatte an Silvester auch US-Präsident Donald Trump angeprange­rt und sich in einem Tweet für das Demonstrat­ionsrecht in Iran eingesetzt. Landeskenn­er halten die Interventi­on für kontraprod­uktiv: Trumps Einmischun­g schwäche die Protestbew­egung und deren Anliegen.

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FOTO: DPA Bei Protesten in Teheran setzten Sicherheit­skräfte Tränengas ein. Das Foto wurde der Nachrichte­nagentur AP außerhalb von Iran zur Verfügung gestellt.

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