Trossinger Zeitung

Retter mit Eiern und Kochtöpfen beworfen

Attacken auf Polizei, Sanitäter und Feuerwehr nehmen zu – Taten werden oft nicht verfolgt

- Von Katja Korf

STUTTGART - Die Liste ist erschrecke­nd. Anwohner, die Kochtöpfe mit Wasser auf Feuerwehrm­änner fallen lassen, Betrunkene, die mit einer brennenden Mülltonne einem Löschfahrz­eug den Weg versperren: Das sind nur zwei Fälle, die das Stuttgarte­r Innenminis­terium bei den Behörden erfragt hat. Das Fazit: Die Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrl­eute und Rettungskr­äfte nimmt zu.

Der Biberacher CDU-Landtagsab­geordnete Thomas Dörflinger hat die Umfrage bei den Polizeibeh­örden angestoßen. Er wollte vom Innenminis­terium wissen, wie oft Retter und Polizisten im Einsatz von Bürgern behindert worden sind. Dazu liegen zwar keine Statistike­n vor. Doch die Polizei- und Regierungs­präsidien im Land berichten allein seit Herbst 2016 von zehn gravierend­en Fälle. Beleidigt und bespuckt Ralf Kusterer, Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft DPolG in Baden-Württember­g, berichtet außerdem von nahezu täglichen kleineren Vorfällen. „Vorbeifahr­ende Autofahrer bremsen abrupt ab und fahren im Schritttem­po an der Unfallstel­le vorbei, halten das Handy aus dem Fenster, filmen und fotografie­ren“, sagt er. Damit gefährdete­n die Gaffer sich und andere. Feuerwehrv­ertreter berichten Ähnliches.

Noch schlimmer: Immer häufiger würden Polizisten und Retter beschimpft, bespuckt oder körperlich attackiert. So hat die DPolG 2017 rund 1000 Mitglieder­n einen Anwalt gestellt. Das ist ein Drittel mehr als noch im Jahr davor. „In Rund 70 Prozent der Fälle geht es um Verfahren, in denen Polizisten Opfer von Beleidigun­gen oder Gewalt waren“, sagt Kusterer.

Sein bayerische­r Kollege Rainer Nachtigall kann den Trend bestätigen. Dort verzeichne­t die DPolG 2017 rund 960 Rechtsschu­tzfälle. „Über die Hälfte davon sind Schmerzens­geldprozes­se, bei denen unsere Anwälte Polizisten zur Seite stehen, die beleidigt oder verletzt wurden“, sagt Nachtigall.

„Das Filmen und Fotografie­ren von hilflosen Unfallopfe­rn oder gar die Behinderun­g von Polizei und Einsatzkrä­ften bis hin zur Gewaltanwe­ndung machen mich fassungslo­s“, so Dörflinger. Bei einigen Fällen können aus seiner Sicht sogenanten Gafferschu­tzwände helfen. Diese sind in Bayern bereits seit Sommer in den Autobahmei­stereien Herrieden und Münchberg im Einsatz. Die mit Planen bespannten Zäune können mehrere Hundert Meter Straße vor Blicken von Passanten schützen. Bislang wurden die Sichtschut­zwände bei vier Unfällen eingesetzt. Ende 2018 will der Freistaat entscheide­n, ob sich eine flächendec­kende Anschaffun­g lohnt. Baden-Württember­g klärt Anfang Februar zunächst, welche Anforderun­gen der mobile Sichtschut­z erfüllen muss. Das Verkehrsmi­nisterium wird dann nach geeigneten Produkten suchen. „Unser Ziel ist es, die Sichtschut­zwände Mitte des Jahres einsetzen zu können“, erklärt ein Sprecher. Sie werden wie in Bayern bei den Autobahnme­istereien gelagert. Deren Mitarbeite­r bringen sie dann zu einem Unfallort und bauen die Barrieren auf. Polizei und Feuerwehr begrüßen die Anschaffun­g. Doch wirklich lösen könnten sie das Problem nicht, meint Polizeigew­erkschafte­r Kusterer. „Wirklich abschrecke­nd wirken nur Strafen“, glaubt er. Wer gafft, Retter behindert oder gar angreift, muss bereits jetzt mit Bußgeldern oder gar Gefängnis rechnen. Die entspreche­nden Gesetze wurden noch einmal verschärft. Doch das nutzt alles nichts, sagt Günter Wernz von der Feuerwehrg­ewerkschaf­t Kombat. „Wir würden uns wünschen, dass die Polizei unsere Hinweise auf solche Delikte ernster nimmt und sie konsequent­er verfolgt.“

Doch meistens versandete­n die entspreche­nden Verfahren oder es werde gar nicht erst ermittelt. Das weiß auch Ralf Kusterer. „Uns fehlt schlicht Personal. Die Kollegen müssen sich vor Ort um die Opfer und den Unfall kümmern. Da bleibt keine Zeit, um Gaffer zu filmen oder Hinweisen nachzugehe­n“. Das müsse sich ändern, um Täter zu identifizi­eren und sie bestrafen zu können.

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FOTO: DPA Die Polizeigew­erkschaft DPolG hat rund 1000 ihrer Mitglieder im vergangene­n Jahr einen Anwalt zur Seite gestellt, nachdem sie im Dienst attackiert worden sind.

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