Grün-Schwarz streitet über Altersfeststellung bei Flüchtlingen
Nach dem Willen der CDU soll bis zum Beweis des Gegenteils die Volljährigkeit angenommen werden
STUTTGART (lsw) - Die grünschwarze Koalition ringt um eine gemeinsame Position bei der Altersfeststellung mutmaßlich minderjähriger Flüchtlinge. Dem Vernehmen nach sprachen sich mehrere CDU-Politiker in der Sitzung des grün-schwarzen Koalitionsausschusses am Dienstag in Stuttgart dafür aus, dass bei Flüchtlingen, die sich einer Mitwirkung bei der Altersfeststellung verweigern, die Volljährigkeit angenommen wird. Dann müsste künftig der Flüchtling den Nachweis erbringen, dass er minderjährig ist.
Die CDU-Fraktion plädierte für eine Bundesratsinitiative, um das Bundesgesetz entsprechend zu ändern. Die Grünen, insbesondere Parteichef Oliver Hildenbrand, wollen der Haltung nicht folgen. Über den Konflikt berichteten auch die „Stuttgarter Nachrichten“. Grüne nehmen Ämter in Schutz Hildenbrand sagte: „Die CDU hat heute im Koalitionsausschuss ein Thema aufgerufen, das auf Bundesund EU-Ebene längst intensiv beraten wird.“Der CDU sei eine schnelle Schlagzeile offenbar wichtiger gewesen als eine fundierte politische Diskussion, kritisierte er. Weder medizinische noch psychologische Verfahren könnten das Lebensalter eines Menschen präzise bestimmen – es ist nur eine Altersschätzung möglich. Hildenbrand meinte, die Jugendämter in Baden-Württemberg nähmen ihre Verpflichtung zur Altersfeststellung sorgfältig und verantwortungsbewusst wahr. „Der CDU-Alarmismus ist deshalb auch ein unbegründeter Misstrauensbeweis gegenüber unseren Jugendämtern, den wir nicht nachvollziehen können.“
CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sagte hingegen: „Das Alter gehört untrennbar zur Identität einer Person.“Die CDU-Fraktion habe klare Vorstellungen zur Vorgehensweise, wenn Flüchtlinge bei der Altersfeststellung nicht mitwirken wollten. „Mit unserem Koalitionspartner konnten wir heute aber noch keinen Konsens erzielen über die Frage des jetzt anstehenden Handlungsbedarfs, den wir bejahen.“Das Thema solle aber bald wieder aufgerufen werden.
Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), hatte vor einigen Tagen angeregt, die Beweispflicht bei der Altersfeststellung umzukehren. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) räumte am Dienstag ein, es gebe offensichtlich nicht nur Einzelfälle von jungen Flüchtlingen mit falschen Altersangaben. „Das ist ein Zustand, den wir nicht hinnehmen können.“
FDP-Landtagsfraktionschef HansUlrich Rülke meinte, die bisherigen Vorschriften zur Altersfeststellung hätten sich nicht bewährt. Die Umkehr der Beweislast sei richtig. Rülke befürchtete aber, dass sich die CDU gegen den grünen Koalitionspartner nicht durchsetzen kann. Die CDUFraktion will auch, dass künftig die Ausländerbehörden direkt bei der Einreise die Altersfeststellung verbindlich für alle Behörden vornehmen und nicht mehr die Jugendämter. Das von den Ausländerbehörden festgestellte Alter soll dann für alle anderen Behörden bindend sein. Im Südwesten schätzen die Jugendämter das Alter auf Basis ausführlicher Befragungen und eigener Beobachtungen ein. Radiologische Untersuchungen etwa des Handgelenks sind eher selten – auch deshalb, weil sie unter den Ärzten umstritten sind und das Sozialministerium davon abrät.
Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge brauchen einen Vormund. Sie leben nicht in Sammelunterkünften, sondern in Familien oder Wohngruppen. Eine Abschiebung ist bei Minderjährigen schwierig. Auch für die Frage der Strafmündigkeit ist das Alter wichtig.