Ein Votum gegen die eigene Parteispitze
CDU-Abgeordnete sprechen sich einstimmig gegen Reform des Wahlrechts aus
STUTTGART - Nach vier Stunden Debatte haben die Landtagsabgeordneten der CDU am Dienstag gegen eine Änderung des Landtagswahlrechts votiert. Sie gehen damit auf Konfrontationskurs mit dem grünen Koalitionspartner und der eigenen Parteispitze.
Seit Monaten versuchen Grüne und CDU, den Konflikt auszuräumen. Dabei hatten sie sich bereits im Koalitionsvertrag 2016 auf ein neues Wahlrecht geeinigt. Neben der Stimme für einen Direktkandidaten im Wahlkreis sollten Wähler wie bei Bundestagswahlen auch über eine Liste mit Kandidaten abstimmen. Aktuell gibt es nur eine Stimme. Damit entscheiden Bürger sowohl über den Wahlkreisabgeordneten als auch über den Anteil, den eine Partei insgesamt an Stimmen hat. Die Kandidaten im Wahlkreis werden von den Parteimitgliedern vor Ort nominiert. Auf einer von der Partei aufgestellten Liste könnten mehr Frauen und Quereinsteiger in den Landtag einziehen, so die Befürworter einer Reform.
Die Haltung der Grünen ist eindeutig. In einem Positionspapier, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, erklären der Landesverband, die Frage des Wahlrechts betreffe nicht nur die Fraktionen – also die Parlamentarier einer Partei. Tiefe Gräben in der CDU Das Grundgesetz gebe Parteien einen besonderen Stellenwert. Dazu gehöre auch, Kandidaten für Wahlen aufzustellen. „Behandeln wir Parteitage und die Gremien von Parteien also nicht, als wären es Treffpunkte für Aussätzige“, heißt es im Papier. Es sei sinnvoll, zusätzlich zu den Direktkandidaten ein landesweites Personalangebot zu machen. „Wir beschließen schließlich auch mit gutem Grund unser Landtagswahlprogramm auf einem Landesparteitag.“
Diese Ausführungen scheinen auch eine Antwort auf die Kritik aus den eigenen Reihen zu sein. Denn auch im grünen Lager gab es Gegner einer Reform. Neun Abgeordnete stimmten bei einer Sitzung vor Weihnachten dagegen. Sie fürchten, die Partei gewinne zu viel Einfluss auf Abgeordnete – sie bestimme schließlich über aussichtsreiche Listenplätze.
In der CDU sind die Gräben aber ungleich tiefer. Die Europaabgeordnete Inge Gräßle, Vorsitzende der Frauenunion in Baden-Württemberg, macht sich in einem Brief an alle Kreisvorsitzenden der Union im Land für eine Reform stark. Nur so könne sich die Union stärker für Migranten, Quereinsteiger und Frauen öffnen sowie Vertreter aus Großstädten ins Parlament bringen. Zum Gegenwind aus den eigenen Reihen schreibt Gräßle: „Mit Erstaunen haben wir gehört, dass einzelne Landespolitiker vorschlagen, alles beim bisherigen System zu belassen (also den Koalitionsvertrag nicht umzusetzen)“. Diesen hätten 2016 Vertreter von Fraktion und Partei unterzeichnet. „Der Passus im Koalitionsvertrag ist uns nicht von den Grünen aufgezwungen worden“, so Gräßle. Vielmehr habe sich die CDU zuvor bereits intern geeinigt. „Ich habe an diesen Sitzungen für die Frauenunion als Mitglied der damaligen Sondierungsgruppe teilgenommen und bin überrascht, dass dieser damals erzielte Kompromiss heute infrage gestellt wird“, moniert Gräßle. Damals war Guido Wolf Chef der CDUFraktion. Er nahm am Dienstag Stellung zu Gräßles Aussagen, allerdings hinter verschlossenen Türen. Wolf berichtete laut Teilnehmern, dass er 2016 stets betont habe, das letzte Wort über eine Wahlrechtsreform hätten die Abgeordneten.
Wolfgang Reinhart, Chef der CDU-Fraktion im Landtag, hatte sich bereits am Montag in der „Schwäbischen Zeitung“für das geltende Wahlrecht stark gemacht. Eine Reform sei kein geeignetes Mittel, um mehr Frauen ins Parlament zu bringen. Das geltende System habe dagegen viele Vorteile, unter anderem mache es Abgeordnete unabhängiger von den Parteifunktionären.
Für CDU-Landeschef, Innenminister Thomas Strobl, ist das Votum der Fraktion eine Niederlage. Er befürwortet eine Reform des Wahlrechts. Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“warnte Strobl die Parteifreunde am Dienstagmorgen noch vor einer „Rolle rückwärts“. Bei einer Besprechung mit den Unionsspitzen aus Partei, Regierung und Fraktion sagte Strobl demnach, man dürfe die Türen zu einem neuen Wahlrecht nicht zuschlagen. Laut Teilnehmern erklärte Strobl, ein Nein zur Reform werde Konsequenzen für die CDU haben. Schließlich seien im Koalitionsvertrag noch viele Herzensanliegen seiner Partei verankert. Stellt sich die CDU beim Wahlrecht quer, könnten sich die Grünen bei anderen rächen.
Am heutigen Mittwoch treffen sich Grüne und CDU, um das Thema zu diskutieren. Viel Spielraum gibt es aber nach dem Nein der CDU-Parlamentarier nicht.