Juso-Kampagne spaltet SPD
Kritik und Lob für das Werben um neue Mitglieder
BERLIN (AFP/kab) - In der SPD-Spitze regt sich Widerstand gegen den Versuch der Jusos, eine Koalition mit der Union durch den Parteieintritt zahlreicher Gegner einer neuen Großen Koalition zu sprengen. SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil kündigte einen Stichtag an, ab dem eine Beteiligung an dem Mitgliederentscheid erst möglich sein soll. Leon Hahn, Landeschef der Südwest-Jusos, ist gegen die Kampagne. „Für mich gilt ja eher: #TrittEinStimmAb!“, schrieb er bei Facebook. Die Kampagne #TrittEinSagNein! vermittle ein „bedenkliches Demokratieverständnis“. Die Ulmer SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis bezeichnete das Werben um Mitglieder als legitim. Im Südwesten sind seit Dienstag 150 Menschen eingetreten.
Die Jusos hatten zu Parteieintritten aufgerufen, um beim Mitgliederentscheid nach den Koalitionsverhandlungen ein Bündnis mit CDU und CSU zu verhindern.
DAVOS - Angela Merkel hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos den Punkt gemacht, der von ihr erwartet wurde. „Mit der Wahl von Emmanuel Macron ist Schwung in die EU gekommen“, sagte sie am Mittwoch auf der Bühne des Kongresszentrums von Davos. „Viele Probleme lassen sich nur im Rahmen der EU lösen.“
Die Bundeskanzlerin redete am zweiten Tag des diesjährigen Kongresses der Wirtschafts- und Politikelite, bei dem Europa im Mittelpunkt steht. Merkel sprach sich dafür aus, die „Eurozone zu festigen“. „Wir brauchen eine Kapitalmarktunion und müssen die Bankenunion vollenden.“Dabei gehe es darum, dass jedes Land selbst seine Hausaufgaben machen solle. Die Vergemeinschaftung von Risiken dürfe nur als „letzte Sicherung“dienen.
Zu einigen konkreten Vorschlägen des französischen Staatspräsidenten Macron nach einem gemeinsamen Haushalt für die Euroländer und einem europäischen Finanzminister äußerte sich die Kanzlerin allerdings nicht. Ihr Plädoyer für den europäischen Aufbruch hätte deutlicher ausfallen können. Konkret forderte die Kanzlerin jedoch, die EUAußenpolitik auszubauen. „Wir brauchen eine gemeinsame Sprache gegenüber China, Indien, USA und Russland.“Sie begrüßte die bereits verbesserte „Verteidigungszusammenarbeit“. In Regionen wie dem Mittelmeer, Nahen Osten und Nordafrika müsse Europa „mehr Verantwortung übernehmen“.
Auch räumte sie eine „tiefe Schuld gegenüber dem afrikanischen Kontinent“wegen der Kolonisierung ein und betonte „ein tiefes Interesse an Afrika“. Europa müsse den südlichen Ländern helfen, „an der Wohlstandsentwicklung teilzuhaben“. „Wir brauchen ein neues Modell von Entwicklungshilfe.“Seit der verstärkten Einwanderung ab 2015 betrachtet Merkel ihre Afrika-Politik auch als Instrument, damit potenzielle Migranten zu Hause bleiben. Warnung vor der Abschottung Im Hinblick auf die Politik von USPräsident Donald Trump, der am Donnerstag in Davos ankommt, warnte Merkel vor „Abschottung und Protektionismus“. Der multilaterale Weg der Verhandlung mit gleichberechtigten Partnern sei besser als die unilaterale Lösung, die Interessen eines Landes einseitig durchzusetzen. Bei „der großen Herausforderung des Klimaschutzes“müsse man „leider ohne die Beteiligung der USA“auskommen.
Die politische Polarisierung in Deutschland führte Merkel auf die Eurokrise und die Migration zurück. Den Rechtspopulismus bezeichnete sie als „Gift“. Man solle nicht vermeintliche Eigenschaften von Völkern und Religionen verallgemeinern, sondern „jeden Menschen als Individuum sehen“. An die Unternehmen plädierte sie, nicht die digitale Modernisierung der Wirtschaft ohne Rücksicht auf Verluste durchzuziehen. Man müsse die soziale Sicherheit aus dem Industriezeitalter in die neue Zeit hinüberretten. Nur auf die Unterstützung von „20 oder 30 Prozent der Bevölkerung“zu setzen, reiche nicht. In seiner Davos-Rede, die Frankreichs Präsident vier Stunden nach Merkel hielt, schlug Macron vor, eine europäische Strategie für die kommenden zehn Jahren auszuarbeiten. Diese müsse darauf hinauslaufen, dass die EU eine ökonomische, soziale, ökologische, wissenschaftliche und politische Weltmacht werde. Frankreich wolle mit einem eigenen Reformprogramm seinen Teil dazu beitragen. Unter Applaus kündigte Macron an, alle französischen Kohlekraftwerke bis 2021 abzuschalten. Ebenso wie Merkel sprach er sich für ein Modell einer sozialen Globalisierung aus.
Ebenfalls am Mittwoch sprach der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni. Die EU, so die Botschaft, ist wieder auf dem aufsteigenden Ast und nimmt ihre Interessen zwischen den USA und Asien selbstbewusst wahr. „Die schwierigen Jahre liegen hinter uns, wer auf eine Endkrise Europas gesetzt hat, hat seine Wette verloren“, sagte Gentiloni. Als Belege für diese Entwicklung wurden die Wahlen im vergangenen Jahr in Frankreich und den Niederlanden angeführt, bei denen proeuropäische Politiker gewannen und die euroskeptischen Rechten Niederlagen einsteckten. Außerdem sind die Wirtschaftsdaten gut, Europa kommt allmählich aus seiner Finanzund Verschuldungskrise heraus. Auch wenn letztere These einer genauen Bewertung vielleicht nicht in vollem Umfang standhält, so kommt sie in Davos doch in vielen Kommentaren vor. „Europtimismus“nennt das Online-Medium Politico dieses Phänomen.