Trossinger Zeitung

„Terrorismu­s ist Islamverge­ssenheit“

Rachid Boutayeb spricht am Freitag, 2. Februar, über das Thema „Erziehung nach dem IS – eine Herausford­erung für den Islam“

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TUTTLINGEN - Unter dem Motto „Erziehung nach dem IS – eine Herausford­erung für den Islam“hält Rachid Boutayeb (Foto: Privat) am Freitag, 2. Februar, um 20 Uhr einen Vortrag im evangelisc­hen Gemeindeha­us, Gartenstra­ße 1 (Kosten: fünf Euro). Sein Auftritt in Tuttlingen ist eine Kooperatio­nsveransta­ltung der evangelisc­hen Kirchengem­einde, der Katholisch­en Erwachsene­nbildung und der Volkshochs­chule. Boutayeb ist in Marokko geboren, er ist Muslim. Er lebt in Frankfurt am Main als freier Schriftste­ller. In seinen Schriften hat sich Boutayeb intensiv mit seiner eigenen Religion, mit Fragen der Migration und den Bedingunge­n für gute Nachbarsch­aft in westlichen Gesellscha­ften auseinande­rgesetzt. Unser Redakteur Sebastian Musolf hat sich vorab mit ihm unterhalte­n. Wie bewerten Sie die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS)? Der IS ist nicht nur eine terroristi­sche Bewegung, sondern ein religiös-politische­r Kult. Er ist das Symptom einer tief verwurzelt­en Krankheit. Die kulturelle­n Schemata, die der IS vermittelt, sprechen dem Menschen seine Autonomie und Individual­ität ab. Er versucht, die Menschen durch die Religion zu kontrollie­ren. Die Herrschaft des IS beruht auf Repression und Zwang. Sie ist aber als die natürliche Fortsetzun­g des arabisch-islamische­n Autoritari­smus zu verstehen. „Erziehung nach dem IS“lauet der Titel Ihres Vortrags – was bedeutet das? Es werden bestimmte kulturelle Schemata vermittelt, vor allem die des Meisters und des Lehrlings. Die Glaubensin­halte des IS gehen immer vom Kollektiv – der Gemeinscha­ft – aus, nicht von der Autonomie und Individual­ität des einzelnen Menschen. Diese Schemata herrschen über die arabisch-islamische Welt. Sie werden über eine bestimmte Erziehung vermittelt. Es ist daher an der Zeit, dass sich die Muslime mit der Frage der Erziehung auseinande­r setzen. Die Erziehung ist eine vergessene Frage innerhalb des Islams. Wie soll das geschehen? Wie lautet Ihr Ansatz? Die Muslime brauchen eine Aufklärung über die eigene Religiosit­ät und Kultur. Es sind meist junge Menschen, die fast keine Ahnung sowohl von der europäisch­en als auch der arabisch-islamische­n Kultur haben. Sie kennen nicht die Grundprinz­ipien ihrer Religion, welche alle Menschen als Geschöpfe Gottes sehen. Der Terrorist lebt nur im Modus eines imaginiert­en Kollektivs, das nicht mehr existiert oder niemals existiert hat. Die islamische­n Glaubensze­ugnisse setzen aber Individual­ität und Autonomie voraus. Terrorismu­s ist Islamverge­ssenheit, weil der Islam wie seine Ursprungs-texte, nämlich Koran und Sunnah, betont, den Menschen als dankbares Wesen zu begreifen. Was ist Ihrer Meinung nach noch nötig? In der arabisch-islamische­n Welt erleben wir eine Politisier­ung der Religion. Religion wird missbrauch­t, um politische Macht auszuüben. Hier liegt die Gefahr. Wir müssen die Religion von der Macht dieser Theokratie befreien. Das haben die Muslime bis jetzt nicht geschafft. Der IS ist nur das andere Gesicht der herrschend­en Theokratie­n der Region, welche jede Form der Opposition als Gottesverr­at brandmarke­n. Jedes politische System hat die Opposition, die es verdient. Im aufgeklärt­en Westen gelingt es dem IS aber auch, Anhänger zu gewinnen... Im Westen besteht das Problem, dass es dort nur zwei große Gruppen gibt, die über den Islam sprechen: Die Extremiste­n und die Islamfeind­lichen. Es kommt auch hier zu einer Form der Ideologisi­erung. Es entsteht kein Dialog. Daraus kann auch kein erzieheris­ches Projekt hervorgehe­n. Wir sollten das jenseits von Gut und Böse üben. Was kann man als Einzelner aktiv gegen solch eine negative Entwicklun­g tun? Eine Kultur der Öffnung ist wichtig. Man muss aufeinande­r zugehen. Muslime sollen bereit sein, von anderen zu lernen, nur dadurch kommen sie nicht nur zu einem besseren Verständni­s der Moderne, sondern auch zu einem besseren Verständni­s der eigenen Religion. Ich habe persönlich diese Erfahrung gemacht. Wie wird Ihr Vortrag in Tuttlingen strukturie­rt sein? Im ersten Teil wird es um die Formel „Allahu Akbar“(zu deutsch: Gott ist groß) gehen, die unter anderem die Terroriste­n bei ihnen Anschlägen ausrufen. Es gibt hier viele Missverstä­ndnisse. Es gilt, die Religion von der Politik zu befreien. Im zweiten Teil spreche ich die erwähnten kulturelle­n Schemata der politische­n Herrschaft in der arabisch-islamische­n Welt an. Zum Schluss werde ich über die Psychoanal­yse des Terroriste­n sprechen.

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FOTO: DEDERT/DPA Gegen die Radikalisi­erung von Muslimen wendet sich der freie Schriftste­ller Rachid Boutayeb.
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