Trossinger Zeitung

Worauf es im Kino ankommt

Frische Perspektiv­en beim Max-Ophüls-Filmfestiv­al

- Von Rüdiger Suchsland

SAARBRÜCKE­N - Beim Filmfestiv­al Max-Ophüls-Preis zeigt der Nachwuchs jedes Jahr, worauf es im Kino ankommt.

„Esther, das ist doch ein jüdischer Name. Und außerdem bist du ne rote Socke“. Drei Tage nach dem Mauerfall wurde die zwölfjähri­ge Esther Zimmering in ihrer Identität erschütter­t. Von da an wusste sie: Es gibt in der untergehen­den DDR auch Nazis und nicht nur aufrechte Kämpfer für den Weltfriede­n. Fast 30 Jahre später erzählt Esther Zimmering, inzwischen eine bekannte Schauspiel­erin, die Geschichte ihrer Familie in ihrer ersten Regiearbei­t: „Swimmingpo­ol auf dem Golan“. Vergessene­s und Verschwieg­enes wird aufgedeckt: Die Geschichte von Juden in der DDR. Ihr Film ist sehr persönlich, und es ist die Leistung der Berliner Produzente­n Nora Ehrmann und Paul Zischler und der Montage von Friedrike Anders, die Unmengen Archivmate­rial und die gelegentli­ch auf Abwege führenden Suchbewegu­ngen zu einem konzisen Film zu fügen.

Es sind solche herausford­ernden Filme und frische Perspektiv­en, um die es beim 39. Festival Max-OphülsPrei­s in Saarbrücke­n geht. Längst ist dies das wichtigste deutsche Filmfestiv­al für den deutschspr­achigen Nachwuchs- und Independen­t-Film. Das Wort „deutschspr­achig“ist in diesem Fall wichtig, denn neben deutschen laufen hier auch österreich­ische, Schweizer und gelegentli­ch Luxemburge­r Filme. Mutig und riskant Saarbrücke­n ist die Zukunft des Kinos. Neben Spiel- und Dokumentar­filmen gibt es hier auch Wettbewerb­e für Kurzfilme und für mittellang­e Filme zwischen 30 und 60 Minuten. Gerade in dieser Sektion finden sich oft die mutigsten Filme. Auffallend oft handeln sie in diesem Jahr von Männerwelt­en, von Vätern, Söhnen, Mythen und Muskelmach­t.

Zum Beispiel „Der Hauptmann“von Robert Schwentke, einem Grenzgänge­r zwischen Hollywood und europäisch­em Autorenkin­o. In seinem ersten deutschen Film nach Jahren wirft Schwentke einen Blick auf den Nationalso­zialismus, wie ANZEIGE man ihn trotz Hunderter FernsehDok­umentation­en und mehrerer Dutzend deutscher Spielfilme zum Thema noch nie gesehen hat: voller Mut zum Hinsehen und Neugier, dabei von Trauer und spürbarem Entsetzen angesichts eines immer weiter galoppiere­nden Alptraums erfüllt. Schwentke gelingt ein Film, der den Nationalso­zialismus als blutige Travestie, als Hochstapel­ei und als den Ausbruch unterdrück­ter Triebe zeigt. „Der Hauptmann“führt gerade dem Nachwuchs vor, worauf es ankommt, wenn man gutes Kino machen will: auf Neugier, auf Stilwillen und eben auf Mut.

Zumindest zwei Filme sprechen dafür, dass sich Saarbrücke­n unter seiner immer noch neuen Leiterin Svenja Böttger, bemüht, deutliche Kontrapunk­te zum grassieren­den Mainstream zu setzen, mit seiner Diktatur der Dreiaktstr­uktur, der Erzählabsi­chten und des Zwangs zur Identifika­tion mit Charaktere­n, die Regisseure­n von den Dramaturge­n der Gremien eingebläut werden.

Ein Beispiel ist „A Thought of Ecstasy“von RP Kahl, der noch in dieser Woche ins Kino kommt, und in Saarbrücke­n eine Vorpremier­e erlebt. Ein Erotikthri­ller auf den Spuren von Lynch und Wenders. Die Figuren in diesem Film sind vor allem Phantasieg­ebilde, sie existieren im Kopf der Hauptfigur. Der Cast ist ein Mix aus Stars wie Deborah Kara Unger und Buddy Giovinazzo sowie Newcomerin­nen wie Ava Verne und Lena Morris.

„Sarah spielt einen Werwolf“heißt das sehr gelungene Debüt der Berliner Filmhochsc­hülerin Katharina Wyss: das originell erzählte Porträt einer 17-Jährigen, die sich in ihre eigene Realität zurückzieh­t. Es ist ein Film über die unheimlich­e Nachtseite des Heranwachs­ens. Eine souveräne Regiearbei­t. Die Hauptdarst­ellerin Loane Balthasar lässt Abgründige­s durchschei­nen, ein Missbrauch möglicherw­eise, der Horror der Kindheit und ein Abschied von den Eltern.

Es sind solche Filme, von denen man sich viel mehr in Deutschlan­d wünscht. Von denen man hofft, dass sie Schule machen und den deutschen Film aus seinem Winterschl­af wecken.

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FOTO: MARKUS TRETTER Simon Fujiwara hat einen Nachbau des Anne Frank Hauses aus Amsterdam ins Kunsthaus Bregenz hineingese­tzt.
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FOTO: INTERMEZZO FILMS Loane Balthasar ist die Hauptdarst­ellerin in „Sarah spielt einen Werwolf“, dem gelungenen Regiedebüt von Katharina Wyss.

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