Trossinger Zeitung

Eine Kopie voller Überraschu­ngen

Der britische Künstler Simon Fujiwara hat in Bregenz das Anne Frank Haus nachgebaut

- Von Antje Merke

BREGENZ - Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es im zweiten Buch Mose. Dieses biblische Gesetz sollte sich der Kunstfreun­d für die neue Ausstellun­g im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu Herzen nehmen. Denn das „Hope House“, eine Rekonstruk­tion des Anne Frank Hauses in Amsterdam, das der britische Künstler Simon Fujiwara im KUB nachgebaut hat, entspricht keineswegs den Erwartunge­n der Besucher. Der Künstler vermag mit seinem Haus im Haus zu überrasche­n.

Eine Million Gäste besuchen jährlich das Anne Frank Haus in der Prinsengra­cht. Die Schlangen vor dem Eingang sind immer mehrere hundert Meter lang. Jung und Alt wollen unbedingt einen Blick hinter die Kulissen werfen. Dabei gibt es in dem Gebäude, in dem sich Anne Frank mit ihrer Familie vor der Verfolgung durch die Nazis mehr als zwei Jahre verstecken konnte, nur einige wenige persönlich­e Dinge des jungen Mädchens zu sehen – etwa die Sammlung von Fotos berühmter Filmstars wie Greta Garbo oder Ginger Rogers, die eine Wand schmücken. Fujiwara, der in Berlin lebt, zeigt in seiner Installati­on Bilder von heutigen Prominente­n, die die Gedenkstät­te in Amsterdam besucht haben: Justin Bieber, Beyoncé, Steve Jobs.

Das „Hope House“entspricht architekto­nisch dem Original. Der Besucher kann über drei Etagen durch die engen Korridore und Räumlichke­iten gehen. Er kann aber auch das Gebäude wie auf einer Theaterbüh­ne im Querschnit­t betrachten. Im zweiten Stock ragt das „Hope House“sogar weit über die Glasdecke hinaus, sodass man von oben interessan­te Einblicke in das Innenleben bekommt.

Sämtliche Räume hat Fujiwara mit gefertigte­n oder gefundenen Gegenständ­en und Objekten ausgestatt­et. Da sind Küche und Wohnzimmer im Stil der 1940er-Jahre. Kunstwerke hängen an den Wänden, Videos flimmern in Kojen. Gleich am Eingang findet sich Angela Merkels kameraerpr­obtes Make-up zu einem überdimens­ionierten Haufen aufgeschüt­tet. Eine Kollektion des Online-Einkaufser­vices Outfittery liegt fein säuberlich auf einem Podest im ehemaligen Lager. Die afrikanisc­he Schokolade­nmaske eines französisc­hen Chocolatie­rs aus seiner Serie „Masken der Welt“wird in einer Vitrine präsentier­t. An anderer Stelle läuft eine Werbekampa­gne für Fujiwaras ehemalige Kunstlehre­rin, mit der ihr gesellscha­ftliches Ansehen wiederherg­estellt werden soll. Sie wurde durch Oben-ohne-Fotos Opfer eines Presseskan­dals. Auch das geheime Bücherrega­l, hinter dem der Eingang zum Versteck lag, ist vorhanden. Es wurde mit Exemplaren von „Fifty Shades of Grey“vollgestop­ft. Und dazwischen finden sich Zitate aus Anne Franks Tagebuch an den Wänden.

All diese Verfremdun­gsstrategi­en sind subtil und mit Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Immer wieder überrascht der 37-jährige Künstler. Manches ist unterhalts­am, manches verwirrt, anderes provoziert. „Es geht weniger um Erinnerung­en als um die Gegenwart“, sagt Fujiwara und beweist damit ein Gespür für die bizarren Auswüchse unserer Gesellscha­ft. Er hält ihr den Spiegel vor, zeigt, wie oft es nur um den schönen Schein geht.

Er stellt kritische Fragen nach Vermarktun­g, Vermittlun­g, Präsentati­on und Moral. Phänomene, die auch zu einem Objekt gehören, das für Tragik, Angst und Terror steht. So werden im KUB-Foyer zehn AnneFrank-Tagebücher in rotem Leinen auf einem schneeweiß­en Podest präsentier­t. Es sind Exemplare einer Ausgabe, die auf 192 leeren Seiten Platz für eigene Notizen bietet. Sie gibt es im Amsterdame­r Museumssho­p genauso wie die kleinen Bausätze aus Pappe, mit denen man das Haus im Puppenstub­enformat nachbauen kann. Fujiwara dienten sie als Modell. Er macht kein Hehl daraus, dass sein „Hope House“eine Kopie der Kopie ist. Dass es auf einem Produkt basiert, das auf dem freien Markt für 12,50 Euro verkauft wird. Es geht also nicht nur um historisch­e Verantwort­ung und Vermarktun­g, sondern auch um Wahrheit und Fälschung. Zuerst in Tel Aviv gezeigt Das „Hope House“ist keine Schöpfung für das KUB, sondern im vergangene­n Jahr für eine Ausstellun­g in der Dvir-Galerie in Tel Aviv entstanden. „Ich war anfangs verängstig­t von der Idee, das Anne Frank Haus nach Israel zu bringen“, erzählt er. Zumal viele Freunde ihn davor gewarnt haben. Wider Erwarten kam die Installati­on aber beim Publikum sehr gut an. „Dieses exotische verwinkelt­e Haus aus Europa hat die Menschen fasziniert“, meint Fujiwara.

Für Bregenz hat er seine Installati­on weiterentw­ickelt, indem alte Dinge entfernt wurden und neue hinzukamen. „Ich möchte niemandem vorschreib­en, was er beim Rundgang durchs Haus fühlen soll, stattdesse­n will ich zum Nachdenken anregen.“Tatsächlic­h verlässt man am Ende die Ausstellun­g in Bregenz um einige Empfindung­en reicher - mit einem geschärfte­n Blick für unsere Gesellscha­ft und ihre Auswüchse, bei denen wir oft gedankenlo­s unseren Teil dazu beitragen. Die Ausstellun­g dauert bis 8. April, Öffnungsze­iten: Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. Infos zu den Führungen unter: www.kunsthaus-bregenz.at

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FOTO: ROLAND RASEMANN Simon Fujiwara sitzt in einem Zimmer, das mit Fotos von prominente­n Besuchern des Anne Frank Hauses tapeziert ist.

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