Trossinger Zeitung

Geht nicht? Gibt’s nicht

Janis McDavid wurde ohne Arme und Beine geboren – Aus dem Handicap wurde eine steile Karriere als Buchautor und Motivation­strainer

- Von Andreas Monning

Janis McDavid hat alles, worum man einen Studenten beneiden kann: Er sieht gut aus, besitzt ein teures Auto und studiert an einer gefragten Hochschule. Er lebt abwechseln­d in Bochum und Berlin, reist in ferne Länder und hat bereits ein Buch veröffentl­icht. Nur eines hat Janis nicht: Arme und Beine. Doch sein Schicksal beklagt er nicht, im Gegenteil: Er macht anderen als Motivation­sredner Mut – auch bei der Verleihung des diesjährig­en Berliner Inklusions­preises

Geht nicht? Gibt’s für ihn nicht. Grenzen? Akzeptiert er nicht – weder durch seinen Körper noch durch gesellscha­ftliche Barrieren oder Menschen, die meinen „Das schaffst du nicht“. Zuletzt hat er ein Auslandsse­mester in London absolviert, danach ein Praktikum bei IBM in Berlin; für Unicef ging er auf Vortragsre­ise nach Südafrika. Seine Art zu leben, lässt einen bewundernd staunen.

Das alles schafft der 26-Jährige, obwohl seine körperlich­en Voraussetz­ungen denkbar ungünstig sind: Janis McDavid kam 1991 in Hamburg ohne Gliedmaßen zur Welt. Die Ursache ist bis heute unklar; Contergan hat damit jedenfalls nichts zu tun. Janis recherchie­rt längst nicht mehr, er nimmt die Realität an. Diese Haltung haben seine Eltern vorbereite­t, indem sie nach der Geburt etwas sehr Vernünftig­es taten: Sie forderten ihr „Problemkin­d“so weit es ging, meldeten ihren Sohn zum Beispiel an einer Waldorfsch­ule an, statt ihn auf eine Schule für Körperbehi­nderte zu schicken. All das machte ihn so selbstbewu­sst und selbststän­dig, dass er heute alles kann, was im Alltag wichtig ist: Auto fahren zum Beispiel oder allein in einer Wohnung leben. Außerdem studieren, nicht an einer Fern-Uni, sondern ganz normal mit Vorlesunge­n im Hörsaal.

Doch auf dem Weg dorthin galt es, viele Hürden zu überwinden. Bis zu seinem achten Lebensjahr begriff er nicht, was mit ihm los war. Er hatte Kinderträu­me wie andere Gleichaltr­ige auch, lag seinem Vater in den Ohren, dass er später Motorradpo­lizist werden wolle. Erst als er sich eines Tages bewusst im Flurspiege­l sah, erkannte er seine ganz eigene Wirklichke­it. „Plötzlich erfasste ich: Ich bin nichts als ein Rumpf!“, erinnert er sich an den schockiere­nden Moment. Was folgte, waren Jahre der Scham, des Rückzugs, des Verstecken­s. Im verzweifel­ten Bemühen, auszusehen wie alle anderen, probierte er Prothesen aus, machte aber vor allem frustriere­nde Erfahrunge­n.

Die Wende kam als Jugendlich­er. Etwa im Alter von 16 Jahren fand er zu der Entscheidu­ng, sich so zu akzeptiere­n, wie er ist, und sein „bestes Leben zu leben“, wie er es seitdem nennt. „Die Veränderun­g, die das gebracht hat, war irre!“, erinnert sich Janis McDavid. Plötzlich habe er die ganze Energie zur Verfügung, die er vorher ins „Normalsein-Wollen“gesteckt habe, ins Verleugnen und Verbergen. Er ging in die Offensive, auch mit Humor. „Rumpf ist Trumpf “würde er diesen Text am liebsten übertiteln.

Mit dieser Energie setzt er seitdem alles um, was ihm in den Sinn kommt. Einen Spezialrol­lstuhl,der genau auf seine Bedürfniss­e angepasst ist, hatte er bereits. Vor einigen Jahren ließ er sich dann auch einen Mercedes Sprinter so umbauen, dass er ihn mit seinem Rollstuhl befahren und über Joystick und Sprache steuern kann. 220 000 Kilometer ist er bereits gefahren. Er will Neuland erobern, am besten täglich etwas tun, was er vorher noch nie getan hat. Adrenalin sei es, das ihn morgens aus dem Bett bringt, und das beschere ihm seine tollkühnen Ideen.

Aktuell plant er eine Reise, will zum ersten Mal ganz allein los, ohne unterstütz­ende Familie, ohne Freunde, die ihm notfalls aus der Patsche helfen. Fast ein bisschen verrückt klingt das, aber Janis vertraut auf seinen starken Willen – und die Hilfsberei­tschaft anderer Menschen, auf die er bei aller Selbststän­digkeit durchaus angewiesen ist. Helfende Hände im Alltag Im alltäglich­en Leben „leiht“er sich Hände und Füße, organisier­t sich Unterstütz­ung aus seinem Umfeld, beispielsw­eise beim Duschen. In der Mensa nehmen Kommiliton­en ihm das Essenstabl­ett vom Band und stellen es ihm an den Platz. Essen kann Janis dann wieder allein, selbst eine Colaflasch­e bekommt er aufgeschra­ubt, eingeschen­kt und ohne Strohhalm getrunken.

Janis McDavid möchte nicht nur Abenteuer erleben, sondern auch anderen Menschen helfen. Er will etwas verändern in unserer Gesellscha­ft, wenn möglich in der ganzen Welt. Die Schaffensk­raft, die er ausstrahlt, ließ bei einer Konferenz zum Thema Diversity (englisch für Vielfalt) in Dortmund seinen Mentor Gerd Kirchhoff auf ihn aufmerksam werden. Der pensionier­te IBM-Manager hat ihn motiviert, gemeinsam eine überzeugen­de Homepage zu konzipiere­n, packende Fotos und Videos zu produziere­n, Pressearbe­it zu machen und vor Publikum zu sprechen.

Auf Bühnen stellt sich Janis heute ganz selbstvers­tändlich und hält Motivation­sreden, zuletzt im Friedrichs­tadtpalast, wo ihm 3000 Besucher fasziniert folgten. „Wir können viel mehr erreichen, wenn wir unsere Situation ganz und gar annehmen“, ist eine seiner Botschafte­n. Die Medien interessie­ren sich für ihn, und zunehmend laden ihn auch Unternehme­n ein, um Inspiratio­n für ihre Betriebsku­ltur zu bekommen.

Janis ist auf dem besten Weg, ein Star der Inklusion zu werden. Doch er will mehr als Inklusion: Er will den Blick auf die Potenziale lenken, die erschlosse­n werden können, wenn man Barrieren beseitigt, räumlich und im Denken. „Wie bei SAP“, sagt er, wo man Autisten ein Umfeld schafft, in dem sie ihre besonderen Fähigkeite­n entfalten können.

Er selbst hat bei IBM die Erfahrung gemacht, mit wie wenig Aufwand man einem gehandicap­ten Menschen die Mitarbeit ermögliche­n und von seinen Ideen profitiere­n kann. Das sollte seiner Meinung nach eigentlich in jedem Unternehme­n ganz normal sein. Von Auszeichnu­ngen wie dem Inklusions­preis sagt Janis dann auch: „Ich wünsche mir, dass wir sie eines Tages nicht mehr brauchen.“

Wir können viel mehr erreichen, wenn wir unsere Situation ganz und gar annehmen. Janis McDavid hat auch für Menschen ohne körperlich­es Handicap wichtige Botschafte­n

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FOTOS: KATY OTTO
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Janis McDavid gibt Gas: Mit einem umgebauten Sprinter, den er per Joystick und Sprache steuert, ist der 26-Jährige viel unterwegs.

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