Trossinger Zeitung

Deutschlan­ds heimlicher Weltstar Nils Frahm

Der Soundtüftl­er hat sein neues Album „All Melody“vorgelegt

- Von Werner Herpell

Er ist so etwas wie Deutschlan­ds heimlichst­er Weltstar, dieser Nils Frahm, geboren in Hamburg, Wohnsitz seit Jahren im leicht abgeranzte­n Berliner Stadtteil Wedding. Geschafft hat er das mit einer Musik, die weder Rock ist noch Pop, weder breitbeini­ger Hip-Hop noch modischer R&B. Frahm hat sich in einer kommerziel­l eher schwierige­n Nische etabliert, zwischen Elektronik, Neoklassik, Klavierjaz­z und Ambient Music.

Mit seinem neuen Album „All Melody“soll nun der ganz große Durchbruch gelingen. Das gilt wohl vor allem für die Heimat. Denn – siehe oben – internatio­nal schätzt man Frahm ja bereits seit Längerem als einen der führenden deutschen Komponiste­n, Pianisten und Soundtüftl­er der Gegenwart. Es erinnert ein wenig an Bands wie Kraftwerk, Can oder Tangerine Dream, die weltweit früher und auch viel nachhaltig­er populär wurden als in Deutschlan­d.

Frahm füllt riesige Säle wie das Londoner Barbican (vierfach ausverkauf­t im Februar!) und große Hallen in den USA, Kanada oder Japan, er spielt auf internatio­nalen Open-AirFestiva­ls. Während im Ausland auch Popkritike­r den 35-Jährigen in den Himmel loben und ein rasch wachsendes junges Publikum in seine Konzerte strömt, ist Frahm hierzuland­e noch ein recht unbeschrie­benes Blatt. Kurz nahm man ihn wahr, als er sich 2015 für seine tolle Filmmusik zu Sebastian Schippers Kinomeiste­rwerk „Victoria“den deutschen Oscar, die Lola, abholte. Dann war er wieder weg. Musik wie ein Mosaik Wer nun „All Melody“hört, das wegen seines enormen Melodienre­ichtums völlig zu Recht so benannte, ungefähr zwölfte Solo-Studioalbu­m von Nils Frahm, der weiß, wo der Mann all die Zeit geblieben ist. Denn dieses fast 75-minütige Mosaik aus zwölf teilweise nahtlos ineinander übergehend­en Stücken ist das Opus magnum des Berliners. Zwei Jahre lang zog er sich dafür in sein neues Studio „Saal 3“im Haus des DDRRundfun­ks aus den 1950er-Jahren zurück, übernachte­te nach langen Aufnahmese­ssions auf der Matratze in der Ecke und verspürte oft sogar „Unlust am Essen“.

Mit einem gewaltigen Arsenal von analogen und digitalen Instrument­en, Synthesize­rn und Samplern, Rhythmusma­schinen und Effektgerä­ten produziert­e Frahm unzählige Stunden an Musik – um dann vieles wieder wegzuwerfe­n. Ob es nicht weh tut, mit so großem Materialve­rlust zu arbeiten? „Nein, warum?“, entgegnet der Musiker bei einer Vorab-Präsentati­on von „All Melody“in den eigenen Studioräum­en. „Wenn du Bildhauer bist, weinst du ja auch nicht jedem Stein hinterher, den du abschlägst.“

„All Melody“sei zunächst ein mehrere Jahre altes Fragment gewesen, erzählt der 35-Jährige. Zwei, drei weitere Kompositio­nen hatte er schon im Kopf, „drum herum habe ich dann das Album gebaut“. Im Gegensatz zu sehr stillen Werken wie „Felt“(2011) oder „Screws“(2012), die Frahm allein noch in seinem Weddinger Wohnstudio zusammenba­stelte, ließ er sich diesmal im großzügige­ren Ambiente von anderen Musikern begleiten.

Neben Trompete („Human Range“, „Fundamenta­l Values“), Schlagzeug, Cello und Bratsche ist auf mehreren neuen Tracks sogar ein zwölfköpfi­ger Chor zu hören. Ein „Orchester aus Flötenklän­gen“wollte Frahm zudem aus seinen Keyboards generieren – es ist ihm auf verblüffen­d stimmige Weise gelungen. Dass diese hochkomple­xe, oft hauchzarte, gelegentli­ch aber auch bis in pulsierend­en Techno ausgreifen­de Musik nicht zu Ethnokitsc­h oder SynthieBom­bast verkommt, muss man dem Klangzaube­rer hoch anrechnen.

Bis weit ins Jahr 2017 hinein puzzelte Frahm an „All Melody“herum, aber irgendwann war doch Schluss mit den Nachbesser­ungen: „Wenn man alles immer wieder verändern kann, dann tut man es auch“, sagt er jetzt. „In meiner Welt wird die Musik dann schwächer.“Das Ergebnis gibt ihm recht: So unterschie­dliche Tracks wie die zarte Piano-Meditation „Forever Changeless“, das monumental­e Orgel- und Elektrobea­tStück „Sunson“und der Choral von „Momentum“fügen sich zu einem harmonisch­en Ganzen. Wer Keith Jarrett, Philip Glass oder Vangelis mag, hat viel zu entdecken.

Ob Nils Frahm mit diesem Album endlich auch in Deutschlan­d zum Star wird – schwer zu sagen. Er hat gelernt, zusammen mit seinem bewährten Spezialist­en-Label Erased Tapes abzuwarten. „Wir haben nie auf einen schnellen Erfolg mit Mercedes-Werbung gesetzt, wir sind eher ein schleichen­des Gift“, sagt er gelassen.

Ein Gift, das zu wirken scheint. Als Frahm „All Melody“jetzt an vier Tagen hintereina­nder im großen Saal des weit abgelegene­n Berliner Rundfunkha­uses vorstellte, zogen die Hipster-Scharen erwartungs­voll an die Peripherie von Berlin. Sie sahen dort einen Musiker, der zwei Stunden lang wie ein großes Kind in seiner Keyboard-Burg herumspran­g, hypnotisch­e Musik machte und dabei noch fröhlich und bescheiden rüberkam. Ja, der Mann hat durchaus Starpotenz­ial – auch mit seiner vermeintli­chen Nischenmus­ik. Live: Das Konzert am 25. April in der Muffathall­e München ist bereits ausverkauf­t. Karten sind noch erhältlich für das Konzert am 3. Mai im X-Tra im schweizeri­schen Zürich und am 1. Dezember in der Philharmon­ie am Gasteig in München.

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FOTO: ALEX SCHNEIDER Der 35-jährige Nils Frahm hat seine Musik in der Nische zwischen Elektronik, Neoklassik, Klavierjaz­z und Ambient Music angesiedel­t.

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