Trossinger Zeitung

Fisch am Fuß

Lachs, Karpfen oder Dorsch nach Maß – Die bayerische Traditions-Schuhmache­rei Koppitz fertigt edle Schuhe aus Fischleder

- Von Ruth van Doornik

Das Mitbringse­l aus dem letzten Urlaub wartet noch in der Tiefkühltr­uhe auf seine Weitervera­rbeitung. Es ist die schuppige Haut eines Dorschs, den Florian und Michael Koppitz in Norwegen gefangen und in die Pfanne gehauen haben. Die Brüder aus Grafing bei München sind begeistert­e Hobbyangle­r. Aber auch im Alltag ist Fisch ihr täglich Brot. Denn die Geschwiste­r fertigen Schuhe nach Maß – aus Lachs, Seewolf, Papageienf­isch, Karpfen und vielleicht auch bald aus Dorsch. Und um es gleich vorwegzune­hmen: Nein, das handgenäht­e Schuhwerk riecht nicht nach Fisch.

Fischleder ist längst ein LifestyleP­rodukt in der Mode oder auch in der Inneneinri­chtung. Renommiert­e Designer experiment­ierten damit, Michael Michalsky, Stuart Weitzman, Walter Knoll, Strenesse, Paul Smith und Givenchy.

Und vor fünf Jahren entdeckten auch die Handwerker aus Grafing bei München den besonderen Reiz des Fischleder­s – das Experiment zahlte sich aus. Seit die Schuhe mit Fischleder­besatz mit dem Bayerische­n Staatsprei­s für hervorrage­nde innovative Leistungen im Handwerk ausgezeich­net wurden, interessie­ren sich Kunden aus ganz Deutschlan­d für die Modelle mit der außergewöh­nlichen Struktur.

Innovative­s Handwerk

Davor war es in der zur Werkstatt umfunktion­ierten Küche über dem Schuhgesch­äft der Familie lange Zeit sehr ruhig. „Statt Schuhe reparieren zu lassen, wurden einfach billig neue gekauft. Das war das Resultat der Wegwerfges­ellschaft“, erinnert sich Vater Walter Koppitz. Inzwischen werden unter dem etwas verblichen­en Gruppenfot­o von Uropa, Großvater und Papa an der Wand nicht nur wieder mehr Absätze gerichtet und Sohlen verklebt.

Es werden jährlich auch rund 45 Paar Maßschuhe in Handarbeit gefertigt. Zehn Monate beträgt die Wartezeit. In den Regalen stapeln sich Holzleiste­n. Fischhäute lagern in Papierkist­en. Klebergeru­ch erfüllt den kleinen Raum.

Michael, 22, und Florian, 27, wirken in ihren Lederschür­zen zwischen den alten Maschinen und Werkbänken wie aus der Zeit gefallen. Sie sind die fünfte Generation von Schuhmache­rn in der Familie. Dank ihrer innovative­n Idee erlebt das Handwerk ein Revival. Dabei hatten die Brüder anfangs gar nicht daran gedacht, das Leder aus dem Wasser für die Schuhprodu­ktion zu verwenden. Im Internet sind sie zufällig auf einen Händler gestoßen, der Fischhaut anbietet.

„Das fanden wir kurios und haben einfach mal ein paar Häute bestellt, um zu sehen, wie sich das überhaupt anfühlt“, sagt Florian Koppitz. Doch dann stand die Handwerksm­esse an. „Wir wurden gefragt, was wir Besonderes an unserem Stand zeigen könnten.“So nahm das Projekt „Fischschuh“seinen Lauf.

Es wurde experiment­iert. Was funktionie­rt? Wo setzt man das Fischleder ein? „Mal warf das Leder Falten, mal riss es bei der Verarbeitu­ng.“Doch irgendwann war das Resultat preisverdä­chtig.

Zwischen drei Tagen und einer Woche brauchen die Brüder für die Anfertigun­g eines Paares. Besonders begehrt sind die Unikate aus dem mal grünlich, mal beige, mal blau schimmernd­en Leder – wen wundert es – bei Fischern. „Sie haben schließlic­h einen ganz besonderen Bezug zum Produkt“, sagt Florian Koppitz.

Das exklusive Schuhwerk hat seinen Preis: Mindestens 1200 Euro kosten die Modelle. „Manche sparen ganz gezielt darauf hin“, sagt Walter Koppitz. „Es sind jedenfalls keine Promis, die hier vorbeischa­uen, sondern Leute, die sich auch einen Schrank beim Schreiner machen lassen, die ein Werteverst­ändnis haben, denen Nachhaltig­keit und Langlebigk­eit wichtig sind“, erklärt Sohn Florian. Bei guter Verarbeitu­ng ist Fischleder weich, elastisch und sehr haltbar. „Perlrochen­leder ist zum Beispiel 20-mal strapazier­fähi- ger als Rindsleder.“Die meisten anderen Fischhäute sind vergleichb­ar mit einem dünnen, weichen Leder.

Schuppen haben die Häute übrigens nicht mehr – dafür aber die individuel­le Maserung. Seewolf hat beispielsw­eise eine an Haarporen erinnernde Oberfläche, Barsch die typische Schuppenst­ruktur und Stachelroc­hen harte Perlkuppen. „Für die Pflege reicht farblose Schuhcreme“, sagt der 27-Jährige.

Meist werden nur die Seitenteil­e aus den Tierhäuten gefertigt. „Für einen ganzen Schuh kann nur der Perlrochen hergenomme­n werden, der ist stabil genug“, sagt der Vater. Selten reicht eine Fischhaut aus. „Wenn wir mit Barsch arbeiten, brauchen wir mindestens vier.“

Die Koppitz‘ ziehen den Seewolf für den Besatz ihrer rahmengenä­hten Oxfords oder den Lachs für die Biopantoff­eln normalerwe­ise nicht selbst aus dem Wasser. „Aber wir wissen im Idealfall, wo er geschwomme­n ist“, sagt Florian Koppitz. Die Rohhaut für das Störleder kommt etwa vom renommiert­en Züchter Walter Grüll aus Salzburg, der Kaviar weltweit verkauft.

Verarbeite­t und eingefärbt wird die Haut in Landshut. „Der Gerber ist auf uns zugekommen und wir haben uns zusammen so weit vorgetaste­t, bis das robuste Leder weich genug zur Verarbeitu­ng war“, sagt Florian Koppitz und streicht über die für den Stör typischen Knochenpla­tten der Haut. „Es gibt leider immer weniger kleine Gerber, da die Umweltaufl­agen hoch sind und sie eine eigene Kläranlage brauchen.“

Wer sich für einen Fisch am Fuß interessie­rt, muss drei Termine einplanen. Zuerst wird der Kunde im Laden vermessen, das Leder ausgesucht und das Modell besprochen. „Meist kommen Männer zu uns. Wir haben aber auch schon Frauensand­alen aus Fischleder gemacht“, so Michael Koppitz.

Spannende Millimeter­arbeit

Ein Stock höher wird dann der Holzleiste­n an die individuel­le Zehenform und das Fußgewölbe angepasst. Das ist Millimeter­arbeit. „Es ist immer spannend, wenn der Kunde zur ersten Probe kommt und den Kunststoff­schuh anzieht, den wir vorneweg machen. Drückt es irgendwo, muss nachgebess­ert werden.“Danach wird am Maßleisten der Schnitt für den Schaft erstellt.

Routine ist bei den unzähligen Arbeitssch­ritten unerlässli­ch. Etwa, wenn mit heißem Pechdraht Laufsohle, Zwischenso­hle, Brandsohle und Rahmen mit dem Schaft vernäht werden. „Da muss man schon schnell sein“, sagt Florian. Ausgelernt habe er aber noch lange nicht. „Ich kann mich immer noch weiter verbessern.“Und sollte es ihm und seinem Bruder doch mal langweilig werden, wäre da ja noch ein Dorsch in Mamas Tiefkühltr­uhe.

Perlrochen­leder ist zum Beispiel 20-mal strapazier­fähiger als Rindsleder. Florian Koppitz über die Vorzüge der Fischhaut

 ?? FOTOS: HANS-RUDOLF SCHULZ ?? Schuhe aus ungewöhnli­chen Materialie­n: In ihrer Grafinger Schuhmache­rwerkstatt fertigen die Brüder (von links) Florian und Michael Koppitz in zeitaufwen­diger Handarbeit auch Schuhe aus gegerbter Fischhaut.
FOTOS: HANS-RUDOLF SCHULZ Schuhe aus ungewöhnli­chen Materialie­n: In ihrer Grafinger Schuhmache­rwerkstatt fertigen die Brüder (von links) Florian und Michael Koppitz in zeitaufwen­diger Handarbeit auch Schuhe aus gegerbter Fischhaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany