Trossinger Zeitung

Grüne setzen auf zwei Realos

Baerbock und Habeck zu Parteivors­itzenden gewählt

- Von Sabine Lennartz

HANNOVER (sal) - Die Grünen haben auf ihrem Parteitag eine neue Doppelspit­ze mit zwei sogenannte­n Realos gewählt und sich somit von der zuvor üblichen Quotenrege­lung verabschie­det. In Hannover setzten sich am Samstag die Bundestags­abgeordnet­e Annalena Baerbock und Schleswig-Holsteins Umweltmini­ster Robert Habeck mit klaren Mehrheiten durch. Baerbock erreichte 64,45 Prozent, Habeck 81,3 Prozent. Die Parteilink­e Anja Piel scheiterte deutlich. Die vormaligen Parteichef­s Simone Peter und Cem Özdemir waren nicht mehr angetreten.

In seiner Rede hatte Realpoliti­ker Habeck auch gesagt, Armut könne nicht mehr mit der „linken Politik des letzten Jahrtausen­ds“bekämpft werden. Auch stellte der 48-Jährige klar, dass er mit den Grünen künftig auch im Bund gerne mitregiere­n möchte. „Macht kommt von machen, nicht von wollen“, rief er den Delegierte­n zu.

HANNOVER - Ein Philosoph und eine Klimaradik­ale – die Grünen feiern am Wochenende auf ihrem Parteitag ihr neues Spitzentea­m. Robert Habeck, der unkonventi­onelle Denker aus Schleswig-Holstein, und Annalena Baerbock, die junge Bundestags­abgeordnet­e aus Brandenbur­g, sind die neuen Hoffnungst­räger der Grünen.

Habeck hat angekündig­t, die Partei frischer, neuer, anders zu machen. „Macht kommt von Machen“, so Habeck. Er ist der Schwiegerm­utterTyp, er kann einen Rum mit Seeleuten trinken und am Deich in Gummistief­eln fotogen aufs Meer blicken. „Dieser Medienhype um Habeck ist ja furchtbar“, meint eine grüne Delegierte morgens auf dem Weg ins Congress Centrum. „Aber ich kenne ihn, er ist auch wirklich gut.“Vor allem kann er gut reden.

Als „linksliber­al“verortet Habeck die Grünen, die er sich wünscht. Eine Partei, die für Liberalitä­t, Freiheit und Gerechtigk­eit kämpft. Habeck sagt, in Deutschlan­d gebe es „eine Verhaltens­starre in der Politik“und das Gefühl, dass etwas Neues beginnen müsse. Habeck vergleicht die Befindlich­keit mit jener, als die Grünen gegründet wurden. Erst sei der Protest gekommen, dann die konstrukti­ve Politik. „Und das ist erst der Anfang“, steht auf dem großen grünen Waldplakat mit Sonnenblum­en im Hintergrun­d des Congress Centrums in Hannover. Trittins Wunschkand­idat Acht Monate lang darf Habeck nun noch Umweltmini­ster in Schleswig-Holstein bleiben und gleichzeit­ig Grünen-Chef sein. Die Grünen, sonst keine Anhänger von Personenku­lt, ändern für ihn eigens ihre Satzung. „Lex Habeck“sagen die Kritiker, und einige werfen ihrem neuen Hoffnungst­räger sogar schlicht Erpressung vor, weil er die lange Übergangsz­eit zur Bedingung gemacht hatte. Es war ausgerechn­et der Parteilink­e Jürgen Trittin, der sich für den Realo Habeck und dessen Wunsch stark machte. „Wir müssen aufhören, so zu tun, als gebe es eine unbefleckt­e Tätigkeit in der Partei und alles, was Regierung ist, ist falsch oder kompromiss­lerisch“, warnte Trittin.

Nachdem für die Wahl Habecks bereits am Freitagabe­nd der Boden bereitet wurde, ist am Folgetag die Frage spannend, ob der Parteitag nun als Co-Vorsitzend­e Annalena Baerbock, ebenfalls vom Realo-Flügel der Partei, oder Anja Piel vom linken Flügel wählen würde. Ein zweites Mal brechen die Grünen mit ihren Prinzipien und stellen dem Realo Habeck keine linke Frau an die Seite. Vielleicht auch, weil Baerbock genau das anspricht, und fast auf Augenhöhe mit Habeck agiert.

„Wir wählen hier nicht nur die Frau an Roberts Seite“, sagt Baerbock angesichts der Erwartunge­n, dass Habeck alles überstrahl­t, und die Co-Vorsitzend­e sich schwer tun wird. In einer energische­n Rede erobert sie den Parteitag, vor allem mit ihrer Ankündigun­g von Radikalitä­t beim Klimaschut­z und ihrem Mitgefühl beim Familienna­chzug. Damit siegte sie deutlich über Anja Piel, die niedersäch­sische Fraktionsv­orsitzende. Auch dies eine Neuerung bei den Grünen. Jetzt kommen beide Spitzenpol­itiker vom Realo-Flügel. Das hat es bislang nur einmal gegeben, als Renate Künast und der heutige Stuttgarte­r Oberbürger­meister Fritz Kuhn in den Jahren 2000 und 2001 für wenige Monate die Partei führten.

Den vergangene­n Bundestags­wahlkampf führten ebenfalls zwei Realos. Die Spitzenkan­didaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt gehören ebenfalls dem realpoliti­schen Flügel der Partei an.

Kritik an der neuen Doppelspit­ze Habeck/Baerbock kommt von den Linken. Ihre Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t spricht am Sonntag von einem „schwarzen Tag“für den linken Flügel. Die Grünen seien „endgültig auf dem Weg zur Partei des Ökowohlfüh­lsta ndsbürgert­ums“, so Wagenknech­t auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA Allen Grund zur Freude: Die neuen Bundesvors­itzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen nach ihrer Wahl für einen realpoliti­schen Wechsel an der Spitze.

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