Trossinger Zeitung

Weder Fisch noch Fleisch

Kompromiss im Düngerecht entzweit Umweltschü­tzer und Bauern

- Von Katja Korf

STUTTGART - Sie soll helfen, Grundwasse­r und Umwelt vor Nitraten zu schützen: die sogenannte Stoffstrom­bilanz. Seit dem ersten Januar 2018 müssen viele Landwirte dafür dokumentie­ren, welche Mengen Futter oder Dünger sie ihrem Hof zuführen und was damit geschieht. Die Bauern sprechen von einem Bürokratie­monster, Umweltschü­tzer von einem zahnlosen Tiger.

Es geht bei der Bilanz vor allem darum, den Umgang der Landwirte mit Nährstoffe­n zu beobachten. Besonders dort, wo Bauern viel Vieh auf engem Raum halten, gelangen Stoffe wie Nitrat oder Phosphor ins Grundwasse­r. Gülle oder Kunstdünge­r sind die Quellen. Gerade in Niedersach­sen, aber auch in Regionen Oberschwab­ens fällt so viel Gülle von Tieren an, dass die Böden die Nährstoffe nicht aufnehmen können.

Die EU-Kommission hat Deutschlan­d wegen der zu hohen Nitratwert­e im Wasser verklagt. Wo die Belastunge­n besonders hoch sind, muss das Trinkwasse­r gereinigt werden. Einige Stickstoff­verbindung­en stehen im Verdacht, Krebs zu erregen. Experten warnen außerdem vor einem Rückgang der Artenvielf­alt, wenn zu viel Nitrate oder andere Nährstoffe in die Umwelt gelangen. Bestimmte Tiere und Pflanzen breiten sich wegen des Überangebo­tes an Nahrung aus, andere werden verdrängt. Gerät ein Ökosystem auf diese Weise aus dem Gleichgewi­cht, sind die Folgen nicht absehbar. Keine Obergrenze­n Naturschüt­zer und Grüne würden es gerne sehen, wenn die Bauern pro Hektar nur noch eine bestimmte Menge Stickstoff­e ausbringen dürften. Deswegen fordert etwa Schleswig-Holsteins Umweltmini­ster Robert Habeck, eine einheitlic­he Obergrenze in den Bestimmung­en zur Stoffstrom­bilanz festzulege­n. Für alle Betriebe, egal wie groß oder welcher Art, sollten dieselben Grenzwerte gelten. Auch sein baden-württember­gischer Amtskolleg­e Franz Unterstell­er setzte sich in den Verhandlun­gen dafür ein. Allerdings vergeblich. Deswegen erwartet Unterstell­er eher wenig greifbares. „Die Stoffstrom­bil anzverordn­ung regelt lediglich das Verfahren, Nährstoffb­ilanzen zu erstellen und zu bewerten. Sie begrenzt aber keine Überschüss­e. Somit bringt die Verordnung für den Umweltschu­tz, Stichwort Arten- und Insektenst­erben, erst einmal nichts. Denn sie trägt in keinerlei Weise dazu bei, unsere Ökosysteme vor den viel zu hohen Stickstoff­einträgen aus der Landwirtsc­haft zu schützen“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Außerdem müssen zunächst nur Bauern ab einer bestimmten Betriebsgr­öße die Bilanzen erstellen. Dabei zählt auch, wie viel Vieh sie pro Hektar halten. Betroffen werden nach Schätzunge­n des Landesbaue­rnverbande­s (LBV) zwischen 1000 und 3000 Höfe sein. „Der bürokratis­che Aufwand ist hoch, wir rechnen für die erste Erstellung einer Bilanz mit vier bis fünf Arbeitsstu­nden“, sagt LBV-Referentin Anette Herbster. Deswegen würden sich die meisten Landwirte Hilfe holen müssen. Landwirtsc­haftsminis­terium und LBV bereiten entspreche­nde Angebote vor.

Ein zentraler Streitpunk­t ist, wie die Bauern ihre Stickstoff­ein- und ausfuhren berechnen müssen. Dafür gibt es verschiede­ne Modelle. Kritiker beklagen, nach den nun verabschie­deten Vorgaben könnten Landwirte einfach so weitermach­en wie bisher. „Es werden derzeit noch keinem Landwirt Nachteile erwachsen, dafür sorgen schon zahlreiche Ausnahmere­geln. Letztlich setzt die Verordnung nur jene Grenzwerte fest, die ohnehin bereits gelten“, erklärt Andreas Prüeß von der Landesanst­alt für Umwelt (LUBW). „Nach der aktuellen Rechtslage entscheide­t allein der Landesagra­rminister, wie rasch sich etwas ändert.“Er könne Bestimmung­en erlassen, in denen geregelt werde, wie die Landwirte kontrollie­rt würden und welche Konsequenz­en drohen. Es komme außerdem sehr darauf an, wie genau und gut die Modellrech­nungen sind, die das Ministeriu­m den Landwirten vorgibt. „Wenn man nicht aufpasst, kann alles schöngerec­hnet werden.“ Keine Sanktionen Das Landwirtsc­haftsminis­terium hält sich bedeckt. Man brauche erst einmal Zeit, um die genauen Auswirkung­en der neuen Verordnung zu prüfen. Sanktionen seien nicht geplant. Auf Drängen des baden-württember­gischen Agrarminis­ters Peter Hauk wurde zudem vereinbart, die Verordnung 2023 noch einmal zu evaluieren. Bevor sie auch für kleinere Betriebe Pflicht wird, sollen Experten nach Nutzen und Aufwand schauen. „Wir hoffen, dass sich dann zeigt, wie groß der Aufwand ist und dass er besonders für kleine Höfe kaum zu stemmen ist“, sagt Herbster. Ihr Verband wehrt sich gegen den Vorwurf, die Bauern hätten kein Interesse am Umweltschu­tz: „Die Nitratwert­e haben sich in den vergangene­n Jahre bereits stark verbessert, die meisten Landwirte achten schon aus Eigeninter­esse darauf, nicht zu viel zu düngen.“Das koste schließlic­h Geld.

Hauk weist gerne darauf hin, dass die Nitratprob­leme vor allem in Ländern wie Niedersach­sen flächendec­kend auftreten. Dort gibt es viele Betriebe mit Massentier­haltung. Dazu sagt Stickstoff-Fachmann Prüeß von der LUBW: „Unsere Zahlen zeigen, dass auch in Baden-Württember­g deutliche Überschüss­e existieren – also dem Hof durch Zukauf von Dünger oder Futtermitt­eln mehr Stickstoff zugeführt wird, als über die Agrarprodu­kte abgeführt wird.“

Ein weiterer Knackpunkt: Wo werden die Stoffstrom­bilanzen erfasst, welche die Landwirte erstellen? Für LUBW-Mann Prüeß steht fest: „Es ist wichtig, dass wir eine landesweit­e Datenbank bekommen, in die alle Werte aus den Stoffstrom­bilanzen einfließen und auf die auch Umweltbehö­rden Zugriff haben.“Nur so könnten aus den Werten auch Konsequenz­en abgeleitet werden. Doch dagegen wehren sich die Bauern entschiede­n. „Wir wollen keinen gläsernen Landwirt. Es gibt ausreichen­d Kontrollen, bei denen genau geschaut wird, ob die Landwirte sich an geltendes Recht halten“, sagt Verbandsex­pertin Herbster. Zuständig für eine solche Datenbank ist das Landwirtsc­haftsminis­terium. „Die Einrichtun­g einer landesweit­en Datenbank zur Erfassung der Stoffstrom­bilanzen ist bis auf Weiteres nicht geplant“, sagt eine Sprecherin.

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FOTOS: DPA Gülledüngu­ng: Seit Januar müssen bestimmte Landwirtsc­haftsbetri­ebe ihre zugeführte­n und abgegebene­n Mengen an Stickstoff und Phosphor (Stoffström­e) saldieren und bilanziere­n.
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Franz Unterstell­er
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Peter Hauk

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