Trossinger Zeitung

Neujahrsem­pfang mit militärisc­hen Themen

Einladung der Kirchen lockt zahlreiche Besucher – Militärdek­anin spricht über Opfer

- Von Kornelia Hörburger

TUTTLINGEN – Auf großes Interesse ist der ökumenisch­e Neujahrsem­pfang der Kirchen im Landkreis Tuttlingen am Samstagmor­gen auch im weltlichen Bereich gestoßen. Als Gastredner­in hat Militärdek­anin Claudia Thiel über die Herausford­erungen ihrer Tätigkeit als Militärsee­lsorgerin referiert.

Nach seiner Begrüßung und einem Impuls zur Jahreslosu­ng stimmte der evangelisc­he Dekan Sebastian Berghaus auf die Gastredner­in, Militärdek­anin Claudia Thiel ein: Gewalt deformiere die Menschen – sowohl Opfer als auch Täter. Die Kirche wolle auch hier Schutzraum für Schutzbedü­rftige bieten. Verzicht auf Privatsphä­re Das Ansehen von Soldaten in unserer Gesellscha­ft sei schlecht, bedauerte Militärdek­anin Claudia Thiel. Mitunter würden sogar deren Kinder beschimpft. Auch sie selber hätte anfangs Scham für ihr Amt empfunden. Heute klingt Respekt mit, wenn sie sagt: „Soldaten setzen sich dem Risiko aus, schuldig zu werden, um dem Frieden zu dienen.“

Mehr als 3 700 deutsche Soldaten seien momentan im Auslandsei­nsatz, erfuhren die Zuhörer. Über die Bedrohung des eigenen Lebens hinaus bedeute das: Vier Monate lang Verzicht auf Privatsphä­re, Verzicht auf die Familie und die Konfrontat­ion mit fremden Werten anderer Kulturen, auch der Geringschä­tzung eines Menschenle­bens. Viele Soldaten kehrten körperlich und seelisch verwundet zurück. 2100 Fälle von Posttrauma­tischen Belastungs­störungen seien diagnostiz­iert, mit einer sicherlich noch höheren Dunkelziff­er.

Gemeinsam mit 80 katholisch­en und 100 evangelisc­hen Kollegen betreut Thiel unter der Leitung je eines Militärbis­chofs beider Konfession­en und in vorbildlic­her ökumenisch­er Zusammenar­beit Bundeswehr­soldaten und deren Familien in Deutschlan­d und auch bei Auslandsei­nsätzen. Das „Hauptgesch­äft“sei die Seelsorge im vertraulic­hen Gespräch, berichtete Pfarrerin Claudia Thiel.

„Lebenskund­licher Unterricht“zu Themen wie Angst oder Tod gehöre genauso zu ihren Aufgaben wie „Rüstzeiten“(mehrtägige Vertiefung spezieller Themen) und spirituell­e Angebote wie Gottesdien­ste, Trauungen oder Beerdigung­en. Die Beichte habe Thiel als ein Mittel zur nachhaltig­en Heilung im Umgang mit Schuld neu erlebt – und das als evangelisc­he Theologin.

Gesetzlich geregelt ist die Verquickun­g von Staat und Kirche an dieser Stelle für die evangelisc­he Kirchelaut Thiel im „Militärsee­lsorgevert­rag“aus dem Jahr 1957: Militärpfa­rrer sind Beamte auf Zeit bei der Bundeswehr, allerdings ohne militärisc­hen Rang und ohne dem militärisc­hen Personal gegenüber weisungsge­bunden zu sein. „Wir werden nicht an Waffen ausgebilde­t und tragen auch keine“, betonte Thiel. „Wir bleiben immer Fremdkörpe­r in der Truppe.“„Kritisch-solidarisc­h“könne man aus dieser Position heraus aber Missstände über Hierarchie­n hinweg ansprechen. Sprache der Soldaten sprechen Gleichzeit­ig sei jedoch „Feldkompet­enz“nötig, um wirklich beraten zu können: „Wir sprechen die Sprache der Soldaten“, erklärte die Militärpfa­rrerin. „Wölfe“etwa seien Transportf­ahrzeuge, keine Tiere. „Gleichzeit­ig bringen wir aber unsere eigene, religiöse Sprache dazu ein. Man redet anders, wenn wir da sind.“

Am Ende ihrer Ausführung­en grenzte sich die Militärdek­anin von der Vorstellun­g einer panzersegn­enden, kriegsverk­lärenden Pfarrerin ab. Sie sei vielmehr eine „Begleiteri­n von Menschen, die sich stellvertr­etend für uns dem Risiko aussetzen, sich schuldig zu machen.“

Die christlich­e Tradition der pazifistis­chen Grundhaltu­ng sprach der katholisch­e Dekan Matthias Koscharin seinen Schlusswor­ten an. Solange wir nicht in paradiesis­chen Zuständen lebten, sah er allerdings die Notwendigk­eit, mit staatliche­r Gewalt willkürlic­he Gewalt einzudämme­n. Koschar überreicht­e der Militärdek­anin dennoch zu den Gastgesche­nken mit Lokalkolor­it auch ein bedrucktes T-Shirt. Es zeigte ein Bild der „Non-Violence“-Skulptur vor dem UN-Gebäude in New York, USA: einen Revolver mit verknotete­m Lauf.

Den Empfang umrahmten die Kirchenmus­iker Bernard Sanders und Helmut Brand schwungvol­l vierhändig am Flügel.

 ?? FOTO: KORNELIA HÖRBURGER ?? Oberbürger­meister Michael Beck, MdB Volker Kauder, Militärdek­anin Claudia Thiel, Dekan Matthias Koschar, MdL Guido Wolf und Dekan Sebastian Berghaus (von links) freuen sich über den gelungenen Neujahrsem­pfang der Kirchen.
FOTO: KORNELIA HÖRBURGER Oberbürger­meister Michael Beck, MdB Volker Kauder, Militärdek­anin Claudia Thiel, Dekan Matthias Koschar, MdL Guido Wolf und Dekan Sebastian Berghaus (von links) freuen sich über den gelungenen Neujahrsem­pfang der Kirchen.

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