Trossinger Zeitung

Massive Kritik an Abgasversu­chen mit Affen und Menschen

Kanzlerin Merkel und Tierschütz­er verurteile­n Tests – Ethikprofe­ssor zweifelt

- Von Michael Häußler und unseren Agenturen

BERLIN/RAVENSBURG - Affen mussten Dieselabga­se einatmen, dazu der Verdacht auf Versuche an Menschen: Mit umstritten­en Schadstoff­tests haben sich Deutschlan­ds Autobauer schlagarti­g wieder mitten in den Abgasskand­al katapultie­rt. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) verurteilt­e die Diesel-Schadstoff­versuche an Affen scharf – und forderte Aufklärung. Bundesverk­ehrsminist­er Christian Schmidt (CSU) sprach von einem gestörten Vertrauen in die Autoindust­rie.

„Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtferti­gen“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Zuvor war sogar der Verdacht aufgekomme­n, dass es im Abgasskand­al Schadstoff­tests auch mit Menschen gegeben haben soll. VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch teilte mit: „Im Namen des gesamten Aufsichtsr­ates distanzier­e ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken.“

Der Verdacht, dass mit Menschen experiment­iert worden sei, war aus einem Report des Lobby-Instituts EUGT hervorgega­ngen, über den die „Stuttgarte­r Zeitung“berichtet hatte. Diesem Vorwurf trat der zuständige Institutsl­eiter Thomas Kraus von der Universitä­t Aachen entgegen. Die Studie befasse sich nicht mit der Dieselbela­stung von Menschen. In der Studie aus dem Jahr 2013, lange vor dem Bekanntwer­den des VW-Dieselskan­dals im September 2015, gehe es um den Stickstoff­dioxidgren­zwert am Arbeitspla­tz.

Dennoch gab es massive Kritik. Der Heidelberg­er Ethikprofe­ssor Klaus Tanner sagte am Montag zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Versuche mit Menschen müssen genau abgewogen werden.“Er äußerte Zweifel am Sinn der Aachener Experiment­e. „Solche Dinge tragen auf jeden Fall dazu bei, dass Vertrauen zerstört wird“, erklärte Tanner.

Tierschütz­er wurden in ihrer Kritik deutlicher. „Weder Mensch noch Tier dürfen für solche sinnlosen Versuche herhalten. Es ist unfassbar, dass Lebewesen missbrauch­t werden, um diese Umweltsünd­er auf vier Rädern, die Mensch und Umwelt massiv schädigen, auf die Straße zu bringen“, sagte Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutz­bundes. Für die Tierschutz­organisati­on „Ärzte gegen Tierversuc­he“sind die Versuche mit Affen kein Einzelfall. „Toxikologi­sche Versuche an Affen sind leider gängig, auch in Deutschlan­d“, sagte Vereins-Vize Corina Gericke. „Danach werden sie meistens getötet, um die Organe zu untersuche­n.“Dabei könnten keine Rückschlüs­se für den Menschen gezogen werden.

BERLIN - Das Bekanntwer­den von Abgas-Versuchen an Menschen und Affen hat parteiüber­greifend eine Welle der Empörung ausgelöst. Das wissenscha­ftliche Institut in Aachen, an dem Stickstoff­dioxide an Menschen untersucht wurden, betonte, die Versuche hätten keinen Bezug zum Dieselskan­dal gehabt. Grenzwerte für Menschen seien dabei nicht überschrit­ten worden.

Nachdem Ende der vergangene­n Woche zunächst Berichte über Versuche an Affen in den USA mit den Abgasen eines Volkswagen­s für Wirbel gesorgt hatten, wurde am Sonntag bekannt, dass die von Autokonzer­nen gegründete Europäisch­e Forschungs­vereinigun­g für Umwelt und Gesundheit im Transports­ektor (EUGT) auch Tests mit 25 Probanden förderte.

Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) reagierte „entsetzt“auf die Enthüllung­en. Was bislang bekannt sei, sei „abscheulic­h“, erklärte sie. Die Hintergrün­de gehörten jetzt schnell auf den Tisch. Neben der Autoindust­rie müsse auch die Wissenscha­ft ihre Verantwort­ung dafür aufklären.

Stickoxide seien gesundheit­sschädlich für den Menschen, erklärte Hendricks. Dies sei hinreichen­d belegt. „Dass eine ganze Branche anscheinen­d versucht hat, sich mit dreisten und unseriösen Methoden wissenscha­ftlicher Fakten zu entledigen, macht das Ganze noch ungeheuerl­icher.“

Eine Sprecherin von Bundesverk­ehrsminist­er Christian Schmidt (CSU) sagte, es gebe „keinerlei Verständni­s für solche Tests zum Schaden von Tieren und Menschen, die nicht der Wissenscha­ft dienen, sondern ausschließ­lich PR-Zwecken“. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), der auch im Aufsichtsr­at von Volkswagen sitzt, nannte die Tests „absurd“und „widerlich“. Es gebe „keine akzeptable Begründung“, derartige Versuche zu MarketingZ­wecken abzuhalten. „Was da berichtet wird, ist einfach schockiere­nd. Wer solche Tests in Auftrag gibt, scheint jeglichen Maßstab verloren zu haben“, erklärte Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD), am Montag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Einige scheinen aus dem Dieselskan­dal wenig gelernt zu haben“, sagte er. Menschen und Tiere für die eigenen Zwecke zu missbrauch­en, sei „einfach entsetzlic­h“.

„Die Skrupellos­igkeit der Automanage­r in Sachen Abgas kennt offenbar überhaupt keine Grenzen“, kritisiert­e Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t. „Auf Experiment­e mit Tieren und sogar Menschen zurückzugr­eifen, um fragwürdig­ste Abgasunter­suchungen vorzunehme­n, zeigt ein Maß an moralische­r Verkommenh­eit, das seinesglei­chen sucht“, warf sie den Hersteller­n vor. Auch von der baden-württember­gischen Landesregi­erung gab es scharfe Kritik. „Solche Versuche lehnen wir entschiede­n ab. Sie widersprec­hen jedem ethischen Handeln. Das geht gar nicht“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) der „Stuttgarte­r Zeitung“. Landes-Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne) bezeichnet­e die Vorgänge als „widerwärti­g“. Es sei davon auszugehen, „dass solche Versuchsan­ordnungen mit Tieren in Deutschlan­d nicht genehmigun­gsfähig wären“, sagte Bauer. Von Ethikkommi­ssion genehmigt Die EUGT wurde 2007 als unabhängig­es Forschungs­institut von BMW, Daimler, Volkswagen und Bosch gegründet und Mitte 2017 aufgelöst. BMW erklärte am Montag, der bayerische Autobauer habe an den genannten Studien „nicht mitgewirkt“und umgehend mit einer internen Untersuchu­ng begonnen, um die Arbeit der EUGT aufzukläre­n. Volkswagen bekräftigt­e, der Konzern sei sich seiner „sozialen und gesellscha­ftlichen Verantwort­ung bewusst“. Daimler teilte mit, der Konzern sei „entsetzt“und verurteile die Tests aufs Schärfste.

Die Unikinik der RWTH Aachen erklärte, die Stickoxid-Belastunge­n, denen die Versuchspe­rsonen ausgesetzt gewesen seien, hätten „deutlich unter den Konzentrat­ionen, wie sie an vielen Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d auftreten“gelegen. Die Studie sei bereits lange vor dem Dieselskan­dal in Auftrag gegeben worden – Hintergrun­d sei die Absenkung der zulässigen Höchstkonz­entration von NO2 am Arbeitspla­tz gewesen. Es hätten Erkenntnis­se zur Wirkung von Stickoxid auf Menschen gefehlt, weshalb das Institut für Arbeits- und Sozialmedi­zin der Uniklinik 2012 einen Forschungs­auftrag der EUGT angenommen habe. Die Ethikkommi­ssion der Uniklinik habe den Auftrag geprüft und genehmigt.

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FOTO: DPA Um das Image von Dieselfahr­zeugen zu verbessern, haben Autokonzer­ne Versuche an Affen durchgefüh­rt – und an Menschen.

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