Jetzt auch noch fehlerhafte Kontrollbecher
Rechercheure enthüllen neue Sicherheitslücke im Dopingkontrollsystem – Entscheidung, einzelne russische Athleten bei Paralympics zuzulassen, sorgt für Empörung
FRANKFURT (SID/dpa) - Elf Tage vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang bedroht eine kapitale Sicherheitslücke das komplette Anti-Doping-System. Ein offenbar fehlerhaftes Verschlusssystem an den Kontrollbehältern hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in Alarmstimmung versetzt. Vor der Ausstrahlung einer ARD-Dokumentation zu diesem Thema am Montagabend gestand die oberste Dopingbehörde ein „mögliches Integritätsproblem“ein.
Der ARD-Dopingredaktion war es im Zuge ihrer jüngsten Dopingdokumentation „Geheimsache Doping – Das Olympia-Komplott“problemlos gelungen, die von der WADA zugelassenen Sicherheitsgefäße der neuesten Generation zu öffnen und wieder zu verschließen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Mit einem ähnlichen Verfahren hatten die Russen bei den Winterspielen in Sotschi vor vier Jahren die Sportwelt betrogen – für ihre Manipulation allerdings die Hilfe des Geheimdienstes benötigt.
Die WADA bestätigte, dass sie eine Untersuchung eingeleitet habe, und betonte, „bei Bedarf die geeigneten Maßnahmen zu empfehlen, um die Integrität des Dopingkontrollprozesses aufrechtzuerhalten“. Die Verantwortung für das Problem liege bei der Schweizer Firma Berlinger, wo die Kontrollbehälter hergestellt werden. Hörmann: „Ich meinte, meinen Ohren nicht zu trauen“Die Reaktion des Internationalen Olympischen Komitees fiel erwartbar beschwichtigend aus: „Wir sind zuversichtlich, dass die WADA alle Fragen vollständig angehen wird“, hieß es. Max Hartung, Athletensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes, drängt darauf, dass das Problem „schnell gelöst“werden müsse. DOSB-Präsident Alfons Hörmann reagierte auf den Fall tief besorgt. „Ich meinte, meinen Ohren nicht zu trauen, als ich das gehört habe. Ich kann die WADA nur auffordern, innerhalb der nächsten Tage für Klarheit zu sorgen und in irgendeiner Form - bildlich gesprochen den Stöpsel draufzumachen“, sagte Hörmann dem SID. Er sprach von einer „Einladung zur Manipulation“.
Auf harsche Kritik in der Sportwelt stieß derweil auch die Kompromiss-Entscheidung des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), einzelne russische Athleten bei den Winter-Paralympics zuzulassen. Vor den Sommerspielen 2016 in Rio hatte das IPC die Russen komplett ausgeschlossen. Nun folgte es dem Vorbild des Internationalen Olympischen Komitees, das 169 russische Athleten unter neutraler Fahne bei den Pyeongchang-Spielen zugelassen hatte. Das IPC rechnet mit 30 bis 35 Russen bei den Paralympics vom 9. bis 18. März.
Für Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang Kronzeuge Grigori Rodschenkow, der Russlands Staatspräsident Wladimir Putin bezichtigt, Mitwisser bei der Dopingvertuschung während der Winterspiele 2014 in Sotschi zu sein. „Ja. Er kann es nicht leugnen“, sagte Rodschenkow in der ARD-Dokumentation. Der in die USA geflüchtete Ex-Leiter des Moskauer Analyselabors erklärte zudem, es habe schon weit vor Sotschi ein systematisches Doping in Russland gegeben.
Rodschenkow hatte im Mai 2016 der „New York Times“über den Dopingbetrug und Probenaustausch mit Hilfe des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB bei den SotschiSpielen berichtet. „Natürlich kam es von ganz oben, vom Präsidenten. Weil nur der Präsident den FSB für eine solche spezielle Aufgabe engagieren könnte“, sagte der unter Zeugenschutz lebende Rodschenkow per Audioeinspielung aus seinem Versteck in den USA der ARD.
„Ich habe vor mehr als einem Jahr gesagt: ,Es fällt schwer, zu glauben, dass Putin nicht wusste, was da gelaufen ist’“, sagte DOSB-Chef Alfons Hörmann.
Die Entscheidung des IPC, einzelne russische Athleten zu den Paralympics zuzulassen begrüßte Hörmann indes. Es sei „hoch erfreulich, dass der Sport einheitlich agiert in dieser wichtigen sportpolitische Frage“, sagte er. Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes hält die Entscheidung für falsch. „Ein Start von Athleten aus Russland nach dem Sündenfall von Sotschi ist aus unserer Sicht ein Schlag ins Gesicht der sauberen Sportler“, sagte Friedhelm Julius Beucher in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Chef de Mission Karl Quade: „Leider hat sich das IPC nun irgendeinem Druck gebeugt.“