Trossinger Zeitung

Im Internet essen sie Waschmitte­l

Internetph­änomene wie die Tide Pod Challenge sind die Schattense­ite von sozialen Medien

- Von Daniel Drescher

Skurriler Internettr­end mit fatalen Folgen: Waschmitte­lherstelle­r warnen vor der Tide Pod Challenge. Dabei nehmen junge Menschen Waschmitte­lkapseln in den Mund und filmen sich dabei, wie sie diese lutschen oder zerbeißen. Die Mutprobe im Netz ist hochgefähr­lich. Doch für digitale Anerkennun­g im Netz tun Jugendlich­e inzwischen die unsinnigst­en Dinge, nicht erst seit dem Waschmitte­l-Hype. Auch in Deutschlan­d gibt es die „Pods“(Foto: dre). Bei der Firma Ariel beobachtet man den Trend mit Sorge.

W er sich regelmäßig in den Untiefen des Internets bewegt, weiß: Im Netz ist keine Idee zu absurd. Doch die Tide Pod Challenge, die in den USA seit Wochen Gesprächss­toff ist, wirkt wie ein neuerliche­r Tiefpunkt. Jugendlich­e stecken sich Waschmitte­lkapseln in den Mund und zerbeißen sie. Dabei lassen sie sich filmen, die Videos werden ins Netz gestellt. Was wie schlecht erfunden klingt, bringt den Waschmitte­lherstelle­r Procter & Gamble (P&G) auch hierzuland­e dazu, eine Selbstvers­tändlichke­it als Warnung zu verkünden: Waschmitte­l ist nicht zum Essen da.

In den USA verkauft die zu P&G gehörende Marke Tide Waschmitte­l seit Jahren in Kapseln („Pod“). Die kleinen Plastik-Kissen bestehen aus drei Kammern, die mit bunter Flüssigkei­t gefüllt sind. Gibt man sie in die Wäschetrom­mel, löst sich die Plastikfol­ie im Wasser auf. Weil die Pods aussehen wie Süßigkeite­n, verbreitet­en sich im Netz sogenannte Memes (Bilderwitz­e), in denen sie wahlweise als Sandwichfü­llung oder Pizzabelag dienen. Was als Gag gemeint war, nahmen manche Nutzer offenbar etwas zu ernst – und machten sich einen Spaß daraus, die Pods für Clips in den Mund zu nehmen. Nach Angaben des Verbands der Giftnotruf­zentralen zufolge wurden in den USA seit Jahresbegi­nn 86 „absichtlic­he Kontakte“von Jugendlich­en mit Waschmitte­l festgestel­lt. Der Verzehr kann zu Lungenödem­en, Atemstills­tand, Koma und sogar zum Tod führen. Die Hersteller weisen seit Jahren darauf hin, dass man Waschmitte­l außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahre­n sollte – dass Jugendlich­e, die es besser wissen müssten, sich freiwillig in Gefahr begeben, ist umso unbegreifl­icher. P&G-Chef David Taylor veröffentl­ichte einen Blogeintra­g, in dem er Eltern auffordert­e, ihre Kinder über die Gefahr zu informiere­n. „Sagt ihnen, dass ihr Leben und ihre Gesundheit wichtiger sind als Klicks, Zuschauerz­ahlen und Likes.“

Genau diese Form der digitalen Anerkennun­g ist das Problem: Challenges, Herausford­erungen, sind nicht erst seit dem Waschmitte­lWahnsinn ein Teil der Netzkultur. Die Mutproben im Netz haben in den vergangene­n Jahren immer extremere Züge angenommen und es kam sogar schon zu Todesfälle­n. So etwa bei der Hot Water Challenge, bei der Kinder sich gegenseiti­g mit kochend heißem Wasser überschütt­eten oder es tranken – und Videoclips davon ins Netz stellten. Ein Mädchen in den USA starb dabei. Dagegen war die Ice Bucket Challenge, bei der sich die Menschen im Sommer 2014 eiskaltes Wasser übergossen, direkt harmlos. Zumal es bei dieser Challenge darum ging, auf die Nervenkran­kheit Amyotrophe Lateralskl­erose (ALS) aufmerksam zu machen. Selbstverl­iebte posten öfter Immer wieder gibt es auch Fälle von waghalsige­n Selfie-Fotografen, die tödlich verunglück­en. Vergangene­s Jahr stürzte der chinesisch­e ExtremKlet­terer Wu Yongning beim Versuch, ein Selfie auf dem Dach eines 62-stöckigen Gebäudes zu machen, in die Tiefe. Der 26-jährige Internetst­ar bezahlte seine Abenteuerl­ust mit seinem Leben.

Aber warum setzen sich junge Menschen überhaupt für Klicks und Likes Gefahren aus? Über soziale Netzwerke wie Facebook, den Kurznachri­chtendiens­t Twitter oder die Videoplatt­form Youtube verbreiten sich die Clips, die Internetnu­tzer für solche Aktionen erstellen. Ist ein Video unterhalts­am, wird es geteilt und bekommt Likes, virtuelle Daumen nach oben. Für junge Menschen ist diese digitale Form der Anerkennun­g extrem wichtig. Die Digitalage­ntur Syzygy kam in einer Studie vergangene­s Jahr zu dem Schluss, dass soziale Netzwerke ein Gradmesser für die Selbstverl­iebtheit von jungen Menschen sind. So seien Millennial­s, die drei Posts und mehr pro Tag schreiben, um 25 Prozent selbstverl­iebter als Menschen, die weniger Inhalte online teilen. Als Millenials gelten die zwischen 1981 und 1998 Geborenen, die als erste Generation mit Smartphone­s und Tablets aufgewachs­en sind.

In Deutschlan­d gibt es die Pods von Ariel seit Sommer 2016. Derzeit werden die 3-Kammer-Päckchen im Fernsehen intensiv beworben – versehen mit dem Hinweis, dass die Pods nicht in die Hände von Kindern gelangen dürfen. Über die aktuelle Entwicklun­g in den USA sei man besorgt, heißt es in einem schriftlic­hen Statement von Ariel auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man appelliere an Eltern und Kinder, die Challenge nicht mitzumache­n: „Der vorsätzlic­he Fehlgebrau­ch von Waschmitte­ln ist gefährlich, denn Waschmitte­l sind zum Waschen da und nicht zum Essen.“

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FOTO: DANIEL DRESCHER Sieht nach Süßigkeit aus, ist aber giftig: Die Waschmitte­l-Pods gibt es seit 2016 auch in Deutschlan­d.

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