Im Internet essen sie Waschmittel
Internetphänomene wie die Tide Pod Challenge sind die Schattenseite von sozialen Medien
Skurriler Internettrend mit fatalen Folgen: Waschmittelhersteller warnen vor der Tide Pod Challenge. Dabei nehmen junge Menschen Waschmittelkapseln in den Mund und filmen sich dabei, wie sie diese lutschen oder zerbeißen. Die Mutprobe im Netz ist hochgefährlich. Doch für digitale Anerkennung im Netz tun Jugendliche inzwischen die unsinnigsten Dinge, nicht erst seit dem Waschmittel-Hype. Auch in Deutschland gibt es die „Pods“(Foto: dre). Bei der Firma Ariel beobachtet man den Trend mit Sorge.
W er sich regelmäßig in den Untiefen des Internets bewegt, weiß: Im Netz ist keine Idee zu absurd. Doch die Tide Pod Challenge, die in den USA seit Wochen Gesprächsstoff ist, wirkt wie ein neuerlicher Tiefpunkt. Jugendliche stecken sich Waschmittelkapseln in den Mund und zerbeißen sie. Dabei lassen sie sich filmen, die Videos werden ins Netz gestellt. Was wie schlecht erfunden klingt, bringt den Waschmittelhersteller Procter & Gamble (P&G) auch hierzulande dazu, eine Selbstverständlichkeit als Warnung zu verkünden: Waschmittel ist nicht zum Essen da.
In den USA verkauft die zu P&G gehörende Marke Tide Waschmittel seit Jahren in Kapseln („Pod“). Die kleinen Plastik-Kissen bestehen aus drei Kammern, die mit bunter Flüssigkeit gefüllt sind. Gibt man sie in die Wäschetrommel, löst sich die Plastikfolie im Wasser auf. Weil die Pods aussehen wie Süßigkeiten, verbreiteten sich im Netz sogenannte Memes (Bilderwitze), in denen sie wahlweise als Sandwichfüllung oder Pizzabelag dienen. Was als Gag gemeint war, nahmen manche Nutzer offenbar etwas zu ernst – und machten sich einen Spaß daraus, die Pods für Clips in den Mund zu nehmen. Nach Angaben des Verbands der Giftnotrufzentralen zufolge wurden in den USA seit Jahresbeginn 86 „absichtliche Kontakte“von Jugendlichen mit Waschmittel festgestellt. Der Verzehr kann zu Lungenödemen, Atemstillstand, Koma und sogar zum Tod führen. Die Hersteller weisen seit Jahren darauf hin, dass man Waschmittel außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren sollte – dass Jugendliche, die es besser wissen müssten, sich freiwillig in Gefahr begeben, ist umso unbegreiflicher. P&G-Chef David Taylor veröffentlichte einen Blogeintrag, in dem er Eltern aufforderte, ihre Kinder über die Gefahr zu informieren. „Sagt ihnen, dass ihr Leben und ihre Gesundheit wichtiger sind als Klicks, Zuschauerzahlen und Likes.“
Genau diese Form der digitalen Anerkennung ist das Problem: Challenges, Herausforderungen, sind nicht erst seit dem WaschmittelWahnsinn ein Teil der Netzkultur. Die Mutproben im Netz haben in den vergangenen Jahren immer extremere Züge angenommen und es kam sogar schon zu Todesfällen. So etwa bei der Hot Water Challenge, bei der Kinder sich gegenseitig mit kochend heißem Wasser überschütteten oder es tranken – und Videoclips davon ins Netz stellten. Ein Mädchen in den USA starb dabei. Dagegen war die Ice Bucket Challenge, bei der sich die Menschen im Sommer 2014 eiskaltes Wasser übergossen, direkt harmlos. Zumal es bei dieser Challenge darum ging, auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam zu machen. Selbstverliebte posten öfter Immer wieder gibt es auch Fälle von waghalsigen Selfie-Fotografen, die tödlich verunglücken. Vergangenes Jahr stürzte der chinesische ExtremKletterer Wu Yongning beim Versuch, ein Selfie auf dem Dach eines 62-stöckigen Gebäudes zu machen, in die Tiefe. Der 26-jährige Internetstar bezahlte seine Abenteuerlust mit seinem Leben.
Aber warum setzen sich junge Menschen überhaupt für Klicks und Likes Gefahren aus? Über soziale Netzwerke wie Facebook, den Kurznachrichtendienst Twitter oder die Videoplattform Youtube verbreiten sich die Clips, die Internetnutzer für solche Aktionen erstellen. Ist ein Video unterhaltsam, wird es geteilt und bekommt Likes, virtuelle Daumen nach oben. Für junge Menschen ist diese digitale Form der Anerkennung extrem wichtig. Die Digitalagentur Syzygy kam in einer Studie vergangenes Jahr zu dem Schluss, dass soziale Netzwerke ein Gradmesser für die Selbstverliebtheit von jungen Menschen sind. So seien Millennials, die drei Posts und mehr pro Tag schreiben, um 25 Prozent selbstverliebter als Menschen, die weniger Inhalte online teilen. Als Millenials gelten die zwischen 1981 und 1998 Geborenen, die als erste Generation mit Smartphones und Tablets aufgewachsen sind.
In Deutschland gibt es die Pods von Ariel seit Sommer 2016. Derzeit werden die 3-Kammer-Päckchen im Fernsehen intensiv beworben – versehen mit dem Hinweis, dass die Pods nicht in die Hände von Kindern gelangen dürfen. Über die aktuelle Entwicklung in den USA sei man besorgt, heißt es in einem schriftlichen Statement von Ariel auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Man appelliere an Eltern und Kinder, die Challenge nicht mitzumachen: „Der vorsätzliche Fehlgebrauch von Waschmitteln ist gefährlich, denn Waschmittel sind zum Waschen da und nicht zum Essen.“