Trossinger Zeitung

Große Koalition mit großen Überraschu­ngen

Schulz und Seehofer wollen ins Kabinett – Murren in der CDU über Kanzlerin Merkel

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

BERLIN - 136 Tage nach der Bundestags­wahl und 13 Tage nach dem Start der Koalitions­verhandlun­gen steht der Koalitions­vertrag, um den Union und SPD heftig gerungen haben. „Es war ein langer Weg“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Mittwochna­chmittag. Die Kompromiss­e seien teils schwierig gewesen, etwa bei den Themen Zuwanderun­g und Integratio­n, aber „es hat sich gelohnt“. Sie glaube, dass der Koalitions­vertrag „Grundlage einer guten und stabilen Regierung sein“könne. Jedoch ist die CDU-Chefin noch nicht ganz am Ziel. Die SPD-Basis muss bis Anfang März der Neuauflage der Großen Koalition noch per Mitglieder­votum zustimmen.

Wie gut die Chancen hierfür stehen, ist offen. Die SPD steht infolge der Einigung vor dem nächsten großen Umbruch. Martin Schulz möchte den Parteivors­itz an Fraktionsc­hefin Andrea Nahles abgeben und – entgegen früherer Aussagen – nun doch Minister in einem Kabinett unter Kanzlerin Merkel werden. Als Außenminis­ter würde er Sigmar Gabriel (SPD) ersetzen. Wichtigste­r Sozialdemo­krat im Kabinett soll Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz als Vizekanzle­r und Finanzmini­ster werden. Der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer würde ein neu zugeschnit­tenes Superminis­terium für Inneres, Heimat und Bau übernehmen. Damit ist auch für Thomas de Maizière kein Platz mehr in der Regierungs­mannschaft.

All dies sind Ergebnisse des überrasche­nden Finales der Koalitions­verhandlun­gen, die am Mittwochmo­rgen erst nach 24 Stunden endeten. Neben den letzten inhaltlich­en Fragen wurde in der Schlussrun­de die Postenvert­eilung weitgehend geklärt. Die SPD, die bei der Bundestags­wahl nur 20,5 Prozent der Stimmen erhalten hatte, schnitt gut ab. Sie soll sechs Ministerie­n bekommen, darunter die prestigetr­ächtigen Ressorts Außen, Finanzen und Arbeit. Hinzu kommen Familien-, Justizund Umweltmini­sterium. Schulz sagte in einer Pressekonf­erenz mit Merkel und Seehofer, der Koalitions­vertrag trage „in einem großen Maße sozialdemo­kratische Handschrif­t“.

Seit der verlorenen Bundestags­wahl hatte es massiven Unmut in der SPD über Schulz’ Amtsführun­g gegeben. Das Aufgeben des Parteivors­itzes könnte mit Blick auf den Mitglieder­entscheid ein Zugeständn­is an die Kritiker sein. Sollten die rund 463 000 SPD-Mitglieder zustimmen, kann das neue Kabinett wenige Tage später im Bundestag vereidigt werden, womit die mit Abstand längste Regierungs­bildung in der Geschichte der Bundesrepu­blik nach fast einem halben Jahr vollbracht wäre.

Doch auch in der CDU brodelt es. Der Unmut über zu viel SPD im Koalitions­vertrag und den Verlust des Finanz- und Innenminis­teriums ist groß. „Viele ballen die Faust in der Tasche“, heißt es in der Fraktion. Es sei bitter, dass die Union das Schlüsselm­inisterium Finanzen abgebe, sagte der CSU-Politiker Hans Michelbach. Auch der Chef der Mittelstan­dsund Wirtschaft­svereinigu­ng der Union, der Bundestags­abgeordnet­e Carsten Linnemann, zeigte sich unzufriede­n. „Die Verteilung der Ressorts lässt jede Ausgewogen­heit vermissen. Dieses deutliche Ungleichge­wicht zulasten der Union und zugunsten der SPD ist bitter und wird lange in den Kleidern bleiben”, sagte er.

BERLIN - „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt“, hat der Bruchsaler CDU-MdB Olav Gutting getwittert. Das gibt einen Teil der Stimmung in der CDU wieder, nachdem so viele wichtige Ressorts an die SPD gegangen sind. Jetzt ist es nicht die SPD, die grollt, sondern die CDU. „Es ist nicht einfach zu verstehen für die Union, dass das Schlüsselm­inisterium Finanzen abgegeben wurde“, sagt Hans Michelbach (CSU), Landesvors­itzender der Mittelstan­dsunion, vor Beginn der Fraktionss­itzung der Union.

Doch CDU-Chefin Angela Merkel vermittelt einen gelassenen Eindruck, als sie zusammen mit CDUChef Horst Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz am Mittag im Adenauer-Haus vor die Kameras tritt. Von Merkel hat die Öffentlich­keit in den vergangene­n Monaten wenig gesehen. Bei den Koalitions­gesprächen trat sie in den Hintergrun­d und sah ihre Rolle vor allem im Moderieren und Zusammenfü­hren. Gauland bohrt in der Wunde Die „CDU hat sich völlig aufgegeben“, sagt AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland. Der gehörte früher selbst zu den Konservati­ven in der CDU. Jetzt bohrt er in der Wunde, dass die CDU, so Gauland, keines der Kernressor­ts mehr besetze. Doch CDU-Vize Julia Klöckner wehrt solche Vorwürfe sofort ab: „Alle Ministerie­n zur Digitalisi­erung sind in Unionshand. Dass die Union wieder das Wirtschaft­sministeri­um besetzen wird, ist ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirts­chaft, zur Wohlstands­sicherung und zum Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d.“ Auch dass die innere Sicherheit die Unionshand­schrift trage, sei wichtig, so Klöckner.

Nach einem 24-stündigen Verhandlun­gsmarathon wirken alle drei Parteichef­s angeschlag­en. „Es war ein langer Weg, der uns heute hierher geführt hat“, sagt Kanzlerin Merkel, „aber es hat sich gelohnt.“Die Bürger hätten sich gewünscht: „Bildet endlich eine Regierung“und „denkt an die wirklichen Interessen der Leute“. Der Koalitions­vertrag mache beides. Er sei ein Arbeitspro­gramm für die Menschen, so Merkel. Sie dankt ihren Verhandlun­gspartnern Martin Schulz (SPD) und Horst Seehofer (CSU).

Schulz weist noch einmal darauf hin, dass die SPD nicht die Schuld trage an der langsamen Regierungs­bildung. „Die Koalitions­verhandlun­gen waren die kürzesten, die es in der Geschichte der Bundesrepu­blik gegeben hat.“Er ist zufrieden, dass der Vertrag in einem großen Maße „sozialdemo­kratische Handschrif­t“trage. „Wir machen Politik für die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er im Lande“, so Schulz. Er verweist darauf, dass bei den befristete­n Arbeitsver­trägen Erfolge errungen wurden, sie sollen abgebaut werden. Der Soli wird für die mittleren und kleinen Einkommen abgeschaff­t, und es wird ein sozialer Arbeitsmar­kt geschaffen.

„Wir machen Politik für die Kinder und Familien“, sagt Schulz und verweist auf elf Milliarden mehr für bessere Bildung. Besonders aber bedankt sich der SPD-Chef und frühere Präsident des Europäisch­en Parlaments für die europapoli­tische Passage. „Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d wird zu einer aktiven und führenden Rolle in Europa zurückkehr­en“, so Schulz.

Am kürzesten fasst sich CSUChef Horst Seehofer: Er sei hochzufrie­den mit dem Ergebnis. „Wer 177 Seiten liest, wird feststelle­n, dass wir eine ganze Menge Gutes für die Leute in unserem Land vorhaben.“Das sei kein „Weiter so“. Seehofers Fazit fällt auf bayerisch sehr kurz und prägnant aus. „Passt scho.“

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GROKO-VERHANDLUN­GSERFOLGE
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FOTO: DPA Vermittelt einen gelassenen Eindruck, als sie vor die Kameras tritt: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

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