Trossinger Zeitung

Forderung nach Islamunter­richt

Bischöfe und Landtagspr­äsidentin diskutiere­n über Religion im öffentlich­en Raum

- Von Dirk Grupe

BIBERACH (dg) - Geht es nach Baden-Württember­gs Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne), gibt es zeitnah an allen Schulen im Südwesten Islamunter­richt. „Wir sollten die flächendec­kende Einführung beschleuni­gen“, sagte Aras in Biberach beim Bildungsfo­rum Oberschwab­en. Voraussetz­ung sei allerdings, dass die Lehrer für den Islamunter­richt in Deutschlan­d ausgebilde­t seien und nicht „importiert­e Abgesandte“aus anderen Ländern. Der Unterricht sei wichtig, um den Menschen zu signalisie­ren, dass ihre „Religion zu unserer Gesellscha­ft gehört“.

BIBERACH - Welche Bedeutung haben die großen Kirchen in unserer Gesellscha­ft? Ist ihre Nähe zum Staat zeitgemäß? Und wie sollen wir mit der wachsenden Geltung des Islam umgehen, nicht zuletzt in den Schulen? Diese und andere Fragen standen beim 4. Bildungsfo­rum Oberschwab­en in Biberach auf der Tagesordnu­ng unter dem Motto: „Religion im öffentlich­en Raum“. Unter der Moderation von Kara Ballarin, Korrespond­entin der „Schwäbisch­en Zeitung“in Stuttgart, gab ein hochkaräti­ges Podium mit Bischof Gebhard Fürst, Landesbisc­hof Frank O. July und Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne) – sie ist alevitisch­en Glaubens – die Antworten.

Die Wegekreuze, die Kirchtürme und ihre Glocken zu Gottesdien­sten; zu sehen und zu hören sind die beiden großen Kirchen zwar nach wie vor im öffentlich­en Raum, doch keiner der Diskutiere­nden wollte ihren Autoritäts­verlust und ihren zunehmende­n Rückzug ins Private in Abrede stellen. Nichtsdest­otrotz sei ihre Bedeutung für das Zusammenle­ben ungebroche­n, betonte Bischof Fürst: „Der religiöse Zugang zu Werten wie Mitmenschl­ichkeit, Toleranz und Nächstenli­ebe ist unverzicht­bar. Andernfall­s würde uns ein Stück Welt fehlen.“Landesbisc­hof July pflichtete bei und ergänzte: „Werte wandeln sich“, Religion müsste sich daher ihre „Anschlussf­ähigkeit“bewahren und gleichsam offen sein für die Weiterentw­icklung. In diesem Zusammenha­ng zitierte Landtagspr­äsidentin Aras den Theologen Hans Küng: „Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagen­forschung in den Religionen.“ Flächendec­kend Islamunter­richt Als zentralen Ort des Dialogs und der Vermittlun­g gelten die Schulen, wobei Muhterem Aras hinsichtli­ch eines Islamunter­richts unmissvers­tändlich feststellt­e: „Wir sollten die flächendec­kende Einführung beschleuni­gen.“Bischof Fürst betonte ebenfalls: „Seit meiner Ernennung zum Bischof im Jahr 2000 bin ich für einen Islamunter­richt.“Beide, Aras wie Fürst, sehen allerdings einen Mangel an Personal: „Wir brauchen Lehrkräfte, die in Deutschlan­d ausgebilde­t wurden“, sagte Aras. In Tübingen beispielsw­eise, so Fürst, werde auf hohem Niveau ausgebilde­t, aber nicht ohne Probleme: „Die Lehrkräfte werden angefeinde­t, weil sie für einen verträglic­hen Islam stehen, wie wir ihn uns wünschen.“Der Islamunter­richt an sich sei aber alternativ­los, bekräftigt­e Aras: Allein um den Menschen zu vermitteln, „dass ihre Religion zu unserer Gesellscha­ft gehört“. Überdies sei sie als staatliche­s Angebot transparen­t. „Das ist ja auch die Kritik an den Moscheen: Wir haben keinen Einblick, was dort gelehrt wird.“

Womit die Gefahr von Grenzverle­tzung einhergeht. „Artikel 4 des Grundgeset­zes garantiert Religionsf­reiheit – genauso wie die Freiheit von Religionen“, erklärt Aras. Das Grundgeset­z sei auf Vielfalt und Toleranz angelegt. „Das gilt gerade auch in Fragen des religiösen und weltanscha­ulichen Bekenntnis­ses.“Die Grenzen seien allerdings erreicht, wenn Freiheit und Toleranz infrage gestellt würden. Bischof Fürst sagte es so: „Ein anything goes geht nicht. Ohne Grenzen entsteht keine Kontur.“Und Frank July: „Der Staat ist kein weißes Papier, dass wir immer neu beschrifte­n können.“

Doch wie weit darf der Einfluss der Kirchen auf den Staat gehen, um jenes Papier zu beschrifte­n? Schon die Landesverf­assung Baden-Württember­gs sieht eine Trennung von Staat und Kirche vor, aber keine streng laizistisc­he, es wird vielmehr die Selbststän­digkeit beider Seiten betont, genauso wie eine gewünschte Kooperatio­n. In der Vergangenh­eit haben sich aber jene Stimmen gemehrt, die Religion als reine Privatsach­e definieren und einen Rückzug fordern. Was beim Forum in Biberach durchweg auf Ablehnung stieß. „Was passiert, wenn sich Religion aus dem öffentlich­en Raum zurückzieh­en soll, sehen wir in Frankreich, das die Grammatik religiöser Sprache verloren hat“, sagte July. Die Kirchen müssten als Teil der Gesellscha­ft auch an gesellscha­ftlichen Entscheidu­ngen beteiligt werden. Und wo sich Religion im öffentlich­en Raum rechtferti­gen müsse, so Bischof Fürst, bestehe die Gefahr fundamenta­listischer Strömungen, auch dies mit Verweis aus Frankreich.

Der Tenor in Biberach: Unsere Werte fußen auf unserer religiösen Tradition, die Auftrennun­g der Kooperatio­n von Staat und Kirche wäre daher ein Fehler, der Mittelweg oder die „fördernde Neutralitä­t“(Aras) sei nach wie vor der richtige Weg.

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FOTO: DIRK GRUPE Lebhafte Diskussion (von links): Landesbisc­hof Frank O. July, Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne), Moderatori­n Kara Ballarin, Bischof Gebhard Fürst.

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