Trossinger Zeitung

Von ganz weit her

Die Fasnet hat in Trossingen einen schweren Stand – Pietismus als Hauptgrund

- Von Frank Czilwa

Chinesen finden immer öfter als Touristen den Weg nach Trossingen.

TROSSINGEN – Rosenmonta­g. Höhepunkt von Fasnet, Fasching, Karneval. Doch auf Trossingen­s Straßen gibt es, trotz dreier Fasnets-Vereine, kaum närrisches Treiben. Warum eigentlich nicht?

Spätestens seit den Forschunge­n des Rottweiler Volkskundl­ers Werner Mezger weiß man über die christlich-katholisch­en Ursprünge der Fastnacht: Bevor am Aschermitt­woch die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern beginnt, galt es, die noch vorhandene­n Vorräte an Fleisch, Eiern, Fett aufzubrauc­hen. („Schmotzige­r Dunschtig“heißt „fetter Donnerstag“.) Dann konnte man vor der frommen und asketische­n Fastenzeit noch einmal über die Stränge schlagen, exzessiv essen, trinken, tanzen und eine „verkehrte Welt“ausleben. Der Narr war dabei – zunächst in den mittelalte­rlichen „Fasnachtss­pielen“– die symbolisch­e Verkörperu­ng von Sünde und Gottesfern­e.

Doch Martin Luther sah das Fasten als ein Werk an, das Gott nicht geboten hat, und zu dem man daher auch keinen Christen verpflicht­en konnte, und so gab es in evangelisc­hen Gebieten wie Württember­g keine offizielle Fastenzeit, und die Fasnet hatte ihre Funktion verloren. Die Traditione­n starben aber nicht so schnell aus: 1535 soll der Reformator Ambrosius Blarer (1492-1564) Herzog Ulrich davon berichtet haben, dass in seinem Bezirk, zu dem auch Trossingen gehörte, das Maskenlauf­en, das Laufen in Weibskleid­ern und Singen heidnische­r Lieder zur Fasnacht stattfinde­n würde. Fasnet starb Ende des 18. Jahrhunder­ts aus Wie Kreisarchi­var Hans-Joachim Schuster durch Archiv-Recherchen zeigen konnte, wurde noch im 18. Jahrhunder­t trotz zahlreiche­r Verbote der Obrigkeit auch in evangelisc­hen Orten Fasnet gefeiert. Wohl erst unter dem Einfluss des Pietismus starb in den evangelisc­hen Orten wie Trossingen die Fasnet gegen Ende des 18. Jahrhunder­t aus.

Während im ebenfalls württember­gischen Schwenning­en aber bereits 1886 erstmals öffentlich wieder Fasnet gefeiert und 1926 ein „Carnevalve­rein“gegründet wurde, wurde in Trossingen erst nach dem Zuzug katholisch­er Arbeitskrä­fte seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts gelegentli­ch Fasnet gefeiert, allerdings nur in privatem Rahmen in Wirtshäuse­rn und Cafés. Dass einem die Firma Hohner für die tollen Tage frei gegeben hätte, war jedoch undenkbar. „Als ich 1957 nach Trossingen kam, war die Fasnet bei der Firma Hohner tabu“, erinnert sich etwa Lothar Thomma. Auch Lucia Gretler, die aus Deißlingen stammt, erinnerte sich: „Auf der Straße war überhaupt nichts los. Man wurde scheel angeguckt, wenn man über die Fasnet geredet hat.“

Doch 1975 kam Albert Rohr als katholisch­er Pfarrer nach Trossingen und er führte hier die katholisch­e Gemeindefa­snet ein. „Ich selber habe den Barkeeper gemacht“, erzählt er.

Der Zufall wollte es, dass zur gleichen Zeit der Berliner Dankwart Zeller Pfarrer in der evangelisc­hen Gemeinde war. Die beiden Männer befreundet­en sich und gaben der Ökumene in Trossingen wichtige Impulse. Pfarrer Zeller habe sogar die katholisch­e Gemeindefa­snet besucht. Das hat, weiß Rohr, in der evangelisc­hen Gemeinde nicht allen gefallen. „Das ist der Pietcong, hat er immer gesagt“, erinnert sich Albert Rohr. In der Tat verstärkte der in Trossingen tief verwurzelt­e Pietismus die Ablehnung der Fasnet. Die vom Pietismus geforderte Innerlichk­eit konnte mit der Äußerlichk­eit karnevalis­tischer Ausgelasse­nheit wenig anfangen.

In Stuttgart hatte Albert Rohr erlebt, wie es in einem gemischt-konfession­ellen Kindergart­en wegen der Fasnet zu heftigen Auseinande­rsetzungen kam. In Trossingen habe es so etwas nicht gegeben. Das dürfte aber vor allem daran gelegen haben, dass es hier keinen konfession­ell gemischten Kindergart­en gab. Erst vor wenigen Jahren sorgte die Entscheidu­ng der Kirche, dass in den evangelisc­hen Kindergärt­en keine Fasnet gefeiert werden durfte, weil dies einige Eltern ablehnten, für Aufsehen und eine Flut an Leserbrief­en. Dabei war von Seiten eines damaligen evangelisc­hen Pfarrers sogar von „Alkoholmis­sbrauch, ehelicher Untreue bis hin zu eindeutig okkulten Handlungen“, die im „Umfeld von Fasching praktizier­t werden“, die Rede. Und das, obwohl die evangelisc­he Landeskirc­he betonte, keine Probleme mit Fasnetsfei­ern in Kindergärt­en zu haben.

Sicher nicht ohne Grund war es ein im katholisch­en Deißlingen Geborener, Volker Bilger, der mit Freunden und Bekannten im damaligen Bistro „Treffpunkt“am Maschke-Platz den ersten Trossinger Narrenvere­in konzipiert­e, der am 18. März 1995 im Hotel „Traube“offiziell aus der Taufe gehoben wurde. Erste „Hemdglonke­r“-Umzüge durch die Trossinger Hauptstraß­e wurden jedoch von den meisten Trossinger­n eher misstrauis­ch und aus der Ferne beäugt. Eine echte „Straßenfas­net“entwickelt­e sich nicht.

Dennoch verstanden es Bilger und seine Mitstreite­r, auch Trossinger für ihren Verein zu begeistern. Jürgen Pletz etwa trat vier Wochen nach der Gründung ein. „Ich war, vorsichtig gesagt, zunächst etwas skeptisch“, erzählt er, doch hätten ihn Freunde überzeugt, dass das eine tolle Sache sei. Dass er selbst evangelisc­h ist, von mindestens einem anderen Gründungsm­itglied weiß, dass dieses ebenfalls evangelisc­h ist, und von vielen gar nicht so genau sagen kann, welcher Konfession sie angehörten, zeigt schon, dass konfession­elle Unterschie­de keine Rolle mehr spielten und spielen.

Dementspre­chend war es auch nicht der traditione­lle Narr, der die erste Figur der Trossinger Fasneter war, sondern die „Unterdorf-Hexe“. Hexenfigur­en sind in der schwäbisch-alemannisc­hen Fasnet erst seit den 1930er-Jahren weiter verbreitet, allerdings weniger in den alten, traditions­bewussten Fasnetshoc­hburgen mit ihren überliefer­ten Narrenmask­en.

Der Narren-Verein und auch der 2002 ebenfalls von Volker Bilger gegründete zweite Fasnetsver­ein, die Sonnen-Hänsele (denen 2008 mit den „Gaugerhexe­n“ein dritter eingetrage­ner Verein folgte), sind heute für jedermann offen und verstehen sich nicht konfession­ell. Und so ist Jürgen Pletz „stolz darauf, wie leicht und herzlich alle bei uns aufgenomme­n werden. Fasnet-Feiern ist einfach für alle eine tolle Sache.“Und er fügt schmunzeln­d hinzu: „In 300 Jahren haben wir in Trossingen auch eine Fasnets-Tradition.“

„Alkoholmis­sbrauch, eheliche Untreue bis hin zu eindeutig okkulten Handlungen.“ Die Ängste eines ehemaligen Trossinger Pfarrers mit Blick auf die Fasnet.

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 ?? ARCHIVFOTO: CZILWA ?? Trossingen ist nicht ganz fasnetsfre­i. Am Schmotzige­n treffen sich die Narren mit einigen Kindergärt­en auf dem Rathausvor­platz und alle zwei Jahre gibt es einen Fasnetsumz­ug.
ARCHIVFOTO: CZILWA Trossingen ist nicht ganz fasnetsfre­i. Am Schmotzige­n treffen sich die Narren mit einigen Kindergärt­en auf dem Rathausvor­platz und alle zwei Jahre gibt es einen Fasnetsumz­ug.

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