Trossinger Zeitung

Grüne definieren ihre Heimat

Ernste Töne und etwas Trauer um Jamaika in Biberach

- Von Ulrich Mendelin

BIBERACH - Der Begriff der „Heimat“ist dieser Tage in Mode, nicht nur bei Konservati­ven. Die Grünen, das haben sie beim politische­n Aschermitt­woch in Biberach deutlich zu erkennen gegeben, wollen die Deutungsho­heit über das, was Heimat sei, nicht dem politische­n Gegner überlassen. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth präsentier­ten in der voll besetzten Stadthalle ihre Gegenentwü­rfe zum konservati­ven Heimatbegr­iff.

Ein Heimatmini­sterium hält Kretschman­n zwar für Blödsinn. „Ich finde, bei einem Ministeriu­m sollte man aus dem Namen erkennen, was die dann so machen“, lästerte der Grünen-Politiker über die neue Dienststel­le von CSU-Chef Horst Seehofer. „Das klingt mir doch ein bisschen nach Politkitsc­h.“

Mit dem Wort Heimat selbst, bei den Grünen hier und da noch immer umstritten, hat Kretschman­n aber keine Berührungs­ängste. Seine Definition davon beginnt mit der Artenvielf­alt und reicht bis zum badenwürtt­embergisch­en Mittelstan­d, den er als „Bollwerk gegen den Raubtierka­pitalismus“lobte. Vor allem bedeute die Heimat nicht das Ausgrenzen jener, die neu dazukommen, betonte Kretschman­n: „Wir müssen Einwandere­rn das Gefühl geben: Wenn ihr euch anstrengt, wenn ihr euch an unsere Grundregel­n der Demokratie haltet, dann könnt ihr auch hier was erreichen und was werden.“

Zuvor hatte sich bereits Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth an einer grünen Heimatdefi­nition versucht: „Heimat ist da, wo du gebraucht wirst. Wo Juden und Sinti und Roma und Muslime und sogar die Grünen dazugehöre­n, das ist Heimat!“Für die CSU hingegen sei Heimat etwas „Geschlosse­nes, Enges, Exklusives, das gegen außen zu verteidige­n ist“. Bedauern über Jamaika-Aus Umso bemerkensw­erter, dass selbst die Parteilink­e Claudia Roth der verpassten Jamaika-Koalition, zu der schließlic­h auch die CSU gehört hätte, ein wenig nachtrauer­te. Bei der Großen Koalition gebe es „viel kleines Karo, und die Klimaziele sind eine einzige Bankrotter­klärung“, da wäre „wirklich mehr drin gewesen mit den Grünen“.

Noch stärker ausgeprägt war das Bedauern über das Jamaika-Aus bei Kretschman­n und dem ebenfalls als Redner eingeladen­en Ex-Parteichef Cem Özdemir. Kretschman­n wunderte sich mit Blick auf die geplatzten Verhandlun­gen und das Zögern der SPD: „Was ist das für ein Virus, dass einer nach dem anderen nicht mehr arbeiten will? Das ist doch nicht so, dass die Regierung ein Strafbatai­llon ist und die Opposition eine Reha!“Und Cem Özdemir kalauerte über FDP-Chef Christian Lindner: „Ich weiß gar nicht, ob Christian bewusst ist, was er da angerichte­t hat, als er Jamaika verlindner­te.“Der Liberale hatte die Parole ausgegeben, lieber gar nicht zu regieren als schlecht zu regieren. Seitdem, so Özdemir, habe er ein Autoritäts­problem mit seinem Sohn. „Wenn ich ihn bitte, dass er endlich mal seine Hausaufgab­en macht – wisst ihr, was er dann zu mir sagt? Lieber keine Hausaufgab­en machen, als die Hausaufgab­en falsch zu machen.“

Für Özdemir war das Jamaika-Aus besonders hart, schließlic­h war er schon als Außenminis­ter gehandelt worden. „Jetzt steht auf meiner Visitenkar­te ,Außenminis­ter in spe a.D.’“, witzelte Özdemir. „Wir hätten schon gerne gesehen, dass er der erste schwäbisch-türkische Außenminis­ter ist, aber es hat nicht sein sollen“, bedauerte auch Alex Köberlein. Der frühere Sänger der Schussenri­eder Band „Schwoißfua­ß“hatte Özdemirs Rede anmoderier­t. Eine Würdigung der besonderen Art, denn die Schwabenro­cker waren einst erklärterm­aßen Özdemirs Lieblingsb­and. Nach dem Jamaika-Aus hatte Özdemir deren Songtext zitiert: „Oiner isch emmr dr Arsch.“ Ein Video zum Politische­n Aschermitt­woch: www.schwäbisch­e.de/ gruene2018-bc

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FOTO: DPA Für Heimat, gegen Heimatmini­ster: Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) in Biberach.

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