Trossinger Zeitung

Selbstrefl­exion statt Angriffslu­st

Beim politische­n Aschermitt­woch zeigt sich wie unterm Brennglas, wie die SPD mit sich und einer Regierungs­beteiligun­g ringt

- Von Kara Ballarin

LUDWIGSBUR­G - Die Lichter im Saal gehen aus. Ein klares Zeichen: Jetzt kommt er – Martin Schulz. Mit der SPD-Landesvors­itzenden Leni Breymaier und Sicherheit­sleuten an seiner Seite geht er strahlend durch die Menge, taucht ein in die Euphorie, die er in der Partei ausgelöst hat. Er nickt und winkt seinen Genossen zu. Die empfangen ihn johlend, wie einen Star auf dem Weg zur Bühne, wie einen Heilsbring­er. Jusos und altgedient­e Parteimitg­lieder halten Schilder in die Höhe mit seinem Konterfei im Pop-Art-Stil à la Andy Warhol. Zeit für Martin, ist auf anderen Schildern zu lesen. Dieser Moment beim Landespart­eitag der SPD in Schwäbisch Gmünd ist ziemlich genau zehn Monate her. Zehn Monate können sich anfühlen wie eine halbe Ewigkeit. Die Zeit für Martin Schulz ist vorbei.

Auch jetzt, beim politische­n Aschermitt­woch der Landes-SPD, sollte Schulz wieder auftreten. Er hat den Termin kurzfristi­g abgesagt, hat am Tag zuvor den Vorsitz der Bundespart­ei abgegeben. Und doch ist er im Forum am Schlosspar­k in Ludwigsbur­g allgegenwä­rtig. „Ich war wirklich traurig, dass Martin Schulz abgesagt hat“, sagt Landeschef­in Breymaier. „Ich hab’ gedacht, der kann doch trotzdem kommen und eine supertolle europapoli­tische Rede halten.“Nein, das wollte er nicht. Wollte wohl kein mitleidige­s Schulterkl­opfen und auch keine warmen Worte, die nach Trauerrede für einen Verstorben­en klingen. „Mit Martin Schulz ging gestern ein großer Europäer“, sagt die Generalsek­retärin des Landes Luisa Boos. Das zu hören bleibt ihm wenigsten erspart. Die SPD ringt mit sich selbst Den Aschermitt­woch nutzen Parteien dazu, auf die politische­n Gegner süffisant einzudresc­hen. Wer das erwartet hat, wird diesmal enttäuscht. Zu sehr ringt die SPD mit sich – mit ihrem Personal, mit dem Koalitions­vertrag und vor allem mit der Grundsatzf­rage: GroKo oder NoGroKo? Die rund 700 Genossen und Gäste bekommen einen Parteitag statt einer Abrechnung mit den Verfehlung­en der anderen Parteien. Dafür scheinen sie auch nicht gekommen zu sein. Die wenigen Angriffe – etwa auf die grün-schwarze Landesregi­erung, auf den „Platzhirsc­h-Karneval“der Landes-CDU (Boos) und auf FDPChef Christian Lindner, den Breymaier als „Unterhemde­n-FeinrippMo­del“bezeichnet – werden eher pflichtbew­usst beklatscht.

Wie unter einem Brennglas zeigt sich stattdesse­n, was die Traditions­partei derzeit nicht nur im Südwesten umtreibt. Da tummeln sich an einem Tisch mitten im Saal sieben Zwerge – Jusos, die rote Zipfelmütz­en tragen als Antwort auf CSU-Generalsek­retär Alexander Dobrindt, der die Juso-Kampagne gegen eine GroKo als „Zwergenauf­stand“bezeichnet hat. Sie tragen #NoGroKoAuf­kleber am Körper und halten während der Reden Schilder des Protests in die Höhe. Sie sind gegen ein erneutes Regierungs­bündnis mit der CDU, „weil es keine guten Inhalte gibt“, sagt Anton Flaig aus Weissach – einer der Zwerge. Keine Bürgervers­icherung, keine Vermögenss­teuer ist im Koalitions­vertrag verankert. „Alle Ziele werden vertagt.“

Eine Busladung marschiert quer durch den Saal, SPD-Fahnen schwingend. Es sind Mitglieder der Kreisverbä­nde Mannheim, Heidelberg und Rhein-Neckar. Der einflussre­iche, mitglieder­starke Mannheimer Kreisverba­nd hat sich Mitte Januar gegen die GroKo ausgesproc­hen. Viele von ihnen halten beim Marsch durch die Halle Schilder in die Höhe. „Minderheit­sregierung“fordert eins, auf ein anderes ist ein Zitat des ehemaligen Parteivors­itzenden HansJochen Vogel gedruckt: „Man muss von Politikern erwarten können, dass Wort und Tat übereinsti­mmen.“Ulrike Beckhaus vom Kreisverba­nd Rhein-Neckar sieht das anders. Am Abend der Bundestags­wahl ist sie in die SPD eingetrete­n, sagt die 63-Jährige. „Jetzt erst recht“, habe sie gedacht. Sie ist für eine Regierungs­beteiligun­g, so wie etwa zwei Drittel ihres Kreisverba­nds, schätzt sie.

Das Vogel-Zitat erklärt zum Teil, warum Martin Schulz nach nur elf Monaten als Parteivors­itzender so tief gefallen ist. Zu viele Verspreche­n hat er seit der Wahlnacht am 24. September 2017 gebrochen. Zweimal kündigte er an, seine Partei in die Opposition zu führen – und bereitete nun den Weg für eine erneute Koalition mit der CDU. Er konstatier­te, auf keinen Fall in ein Kabinett Merkel zu gehen – und strebte dann doch das Amt des Außenminis­ters an. „Er hat es der SPD nicht immer leicht gemacht“, sagt Lars Klingbeil an diesem Aschermitt­woch, „die Partei ihm aber auch nicht.“Schulz hat Klingbeil zum Generalsek­retär gemacht, nun ersetzt Klingbeil ihn als Hauptredne­r in Ludwigsbur­g.

Er zollt Schulz Respekt, wie es zuvor auch Leni Breymaier tut. „Wir sollten innehalten und darüber nachdenken, wie eigentlich mit Menschen in der Politik umgegangen wird“, mahnt die SPD-Landeschef­in, „wenn einer wie Martin Schulz ein Vierteljah­r lang jeden Tag in der Zeitung lesen muss, was er für eine Flachpfeif­e ist.“Besonders schlimm sei das, wenn diese Stimmen aus der eigenen Partei kommen. Breymaier bekommt viel Beifall für ihren Auftritt. Wie immer redet sie gerade heraus und widerlegt die jüngsten Anwürfe, die SPDPolitik­er würden nicht mehr die Sprache ihrer Basis, ihrer Wähler sprechen. „Ich will Menschen um mich rum mit Leidenscha­ft, und Menschen dürfen auch Fehler machen“, sagt sie und bekennt einen eigenen: das frühe Nein zur erneuten GroKo. „Es war falsch, das so rigoros auszuschli­eßen.“

Leidenscha­ftlich wirbt sie nun für den ausgehande­lten Koalitions­vertrag und für eine Regierungs­bildung mit der CDU. Und sie argumentie­rt gegen die Alternativ­en. Minderheit­sregierung? „Guckt mal ins Parlament, da haben wir eine rechte

„Mit Martin Schulz ging gestern ein großer Europäer.“SPD-Landes-Generalsek­retärin Luisa Boos über den Rückzug von Schulz

Mehrheit. Wo sollen denn da die Mehrheiten für unsere Themen herkommen?“Neuwahlen? Natürlich würde sie sich wieder auf den Marktplatz von Aalen stellen und für sozialdemo­kratische Inhalte kämpfen. „Aber dann sagen die Leute: Warum habt ihr das denn nicht gemacht? Das steht doch im Koalitions­vertrag.“So kündigt sie etwa an, unter Finanzmini­ster Olaf Scholz sei Schluss mit der „elenden Austerität­spolitik von Schäuble in Europa“. Die ehemalige Verdi-Chefin kommt zu ihrem Herzensthe­ma: der Rente. „Die Rücknahme der beschlosse­nen Rentenkürz­ung wird einfach weggewisch­t“, ärgert sie sich darüber, dass kaum über die Erfolge der Koalitions­verhandlun­gen gesprochen wird. Werben für den Koalitions­vertrag Auf die geht vor allem Klingbeil detaillier­t ein. Schließlic­h schreibe „sogar eine konservati­ve Zeitung wie die ,FAZ’“, dass im Koalitions­vertrag 70 Prozent SPD-Inhalte verankert seien: Mehr Geld für die Pflege, mehr Unterstütz­ung für Alleinerzi­ehende, ein Paket zur Bekämpfung von Kinderarmu­t und ein Investitio­nsprogramm zur Stärkung ländlicher Räume zählt er auf. Und dann trifft er mit den Zuhörern eine „feste Verabredun­g“: „Wir müssen zeigen, dass wir gut regieren und uns trotzdem erneuern. Andrea Nahles wird dafür sorgen, dass wir sichtbar bleiben.“Damit greift er dem Parteitag im April vor, bei dem Nahles zur neuen Parteichef­in gewählt werden soll.

460 000 Parteimitg­lieder können mitentsche­iden, ob die GroKo kommen soll oder nicht. „Es wird kein ,Weiter so’ geben und es wird auch keine Neuauflage der GroKo geben“, verspricht Breymaier ihren Genossen. Sie werde die Unterschie­de ihrer Partei zur CDU sichtbar machen. Juso-Landeschef Leon Hahn freut sich über die intensive Debatte in der Partei. „Die SPD ist im Moment im Streit vereint. Wir streiten über Inhalte, das ist gut – die CDU drückt sich davor.“Er selbst will weder für noch gegen den Koalitions­vertrag werben. „Es gibt viel Licht und Schatten“, sagt er und wünscht sich „auch keine Vorgaben von Präsidiums­mitglieder­n“. Eins steht für ihn allerdings fest: „Nach dem Mitglieder­entscheid müssen wir darüber debattiere­n, wie eine neue, junge Generation in der Partei Verantwort­ung übernehmen kann. Denn das ist dringend nötig.“

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FOTO: DPA Keine Abrechnung mit dem politische­n Gegner, sondern parteitagä­hnliche Selbstbesp­iegelung in Ludwigsbur­g: Die Vorsitzend­e der SPD Baden-Württember­g, Leni Breymaier, wirbt beim politische­n Aschermitt­woch für eine Große Koalition im Bund.

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