Trossinger Zeitung

Hoffnungss­chimmer für Yücel

Türkischer Ministerpr­äsident Yildirim spricht sich für Freilassun­g des Reporters aus

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die Türkei ist offenbar bereit, den Journalist­en Deniz Yücel nach einem Jahr Haft freizulass­en. Vor seinem Treffen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Berlin an diesem Donnerstag sagte Ministerpr­äsident Binali Yildirim, er hoffe auf eine baldige Freilassun­g des Reporters. „Ich bin der Meinung, dass es in kurzer Zeit eine Entwicklun­g geben wird“, sagte Yildirim der ARD. Demnach könnte bald ein Gerichtste­rmin für Yücel angesetzt werden, der eine Haftentlas­sung ermögliche­n würde. Ein Ende der Verfolgung von Regierungs­kritikern lehnt Yildirim aber ab – das Verhältnis zur Türkei dürfte deshalb weiter schwierig bleiben.

Außenminis­ter Sigmar Gabriel reagierte erfreut: „Ich bin relativ optimistis­ch, dass wir doch jetzt bald zu einer Gerichtsen­tscheidung kommen“, sagte er. „Und ich hoffe natürlich, dass die positiv für Deniz Yücel ausgeht.“Yildrim habe „nur das bestätigt, was seit Tagen passiert und Wochen“. Türkei will Fall Yücel abhaken Mit dem Signal der Freilassun­g will die Türkei möglicherw­eise einem bald erwarteten Urteil des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­ts in Straßburg zuvorkomme­n. In dem Interview betonte Yildirim zwar, er habe keinen Einfluss auf die türkische Justiz. Zugleich machte er aber deutlich, dass Ankara den Fall Yücel aus der Welt schaffen will. „Lasst uns eine neue Seite aufschlage­n, die Vergangenh­eit vergessen, in die Zukunft blicken und unsere Beziehunge­n noch weiter ausbauen“, sagte er.

Als loyaler Anhänger von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan würde der Premier in einem so prominente­n Fall nichts ohne Abstimmung mit seinem Chef unternehme­n. Deshalb ist auch klar, dass Erdogans Vorverurte­ilung von Yücel als „deutscher Agent“und als Anhänger der terroristi­schen PKK kein Hindernis für eine Freilassun­g mehr darstellt: Yildirim spielte Erdogans Schimpftir­ade als Ausdruck von Gefühlen herunter, der keinen Einfluss auf die Gerichte habe.

Der Weg zu einer Freilassun­g Yücels ist jedoch weiter unklar. Bisher gibt es keine Anklagesch­rift. Sollte die Staatsanwa­ltschaft nun nach dem Wink von Yildirim eine Anklage einreichen, könnte das zuständige Gericht – im für Yücel günstigste­n Fall – das Dokument zurückweis­en und seine Freilassun­g anordnen. Allerdings wäre das in einem so hochpoliti­schen Fall sehr ungewöhnli­ch. Wenn das Gericht die Klage annimmt, könnte Yücel ähnlich wie der Berliner Menschenre­chtler Peter Steudtner im vorigen Jahr zu Beginn des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt werden. Bis dahin können jedoch noch Monate vergehen.

Offen ist, ob die türkische Seite politische oder wirtschaft­liche Gegenleist­ungen von Deutschlan­d fordert. Erdogan hat mehrmals die Auslieferu­ng von Anhängern des Predigers Fethullah Gülen aus der Bundesrepu­blik verlangt, doch Yildirim wiederholt­e das im Interview nicht.

Allerdings machte der Premier deutlich, dass seine Regierung insgesamt am harten Kurs gegenüber Andersdenk­enden festhalten will. So rechtferti­gte er die Inhaftieru­ng von Kritikern des türkischen Feldzuges in Syrien. Mehr als 400 Menschen sind seit dem Beginn der Syrien-Offensive am 20. Januar wegen ihrer Kritik in Haft gekommen. Seit dem gescheiter­ten Putschvers­uch von 2016 wurden mehr als 130 000 Verdächtig­e festgenomm­en, von denen mehr als 60 000 immer noch einsitzen.

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FOTO: IMAGO In Berlin veranstalt­eten die Unterstütz­er Yücels am Mittwoch zum Jahrestag seiner Inhaftieru­ng einen Autokorso mit Herz-Luftballon­s unter dem Motto „Free Deniz“.

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