Trossinger Zeitung

Weltmeiste­r der Herzen

In keinem Land der Welt werden mehr Organe gespendet als in Spanien

- Von Ralph Schulze

MADRID - Fast fünfmal mehr als in Deutschlan­d, und mehr als doppelt so viel wie im EU-Durchschni­tt: Nirgendwo werden mehr Organe gespendet als in Spanien, nicht in Europa und auch nirgends sonst auf der Welt. Die Zahl der Organspend­er steigt in Spanien von Jahr zu Jahr – während sie zum Beispiel in Deutschlan­d sinkt. Und das ganz ohne Organspend­erausweise, millionens­chwere Werbung und kontrovers­e öffentlich­e Debatten. Das spanische System funktionie­rt so gut, dass es inzwischen zum Exportmode­ll für ganz Europa geworden ist.

Die spanische Nierenärzt­in Beatriz Domínguez-Gil kann sich über einen neuen Rekord freuen. Die Zahl der Organspend­er wuchs in Spanien vergangene­s Jahr erneut um acht Prozent. Mit 46,9 Spendern pro einer Million Einwohner ist Spanien absolute Spitze. Insgesamt wurden in 2017 in Spanien genau 2183 Personen nach dem Tod 5259 Organe entnommen. Vor allem Nieren, Leber, Herzen und Lungen wurden transplant­iert. Doch Domínguez-Gil, Chefin der staatliche­n Transplant­ationsorga­nisation ONT, will sich nicht auf diesen Erfolgen ausruhen. Denn die Warteliste von Patienten, die ein lebenswich­tigstes Organ brauchen, wird in Spanien zwar erfreulich­erweise kürzer – aber Ende 2017 standen immer noch 4896 Menschen auf dieser Liste.

Deswegen will Domínguez-Gil noch besser werden. Der Schlüssel, glaubt sie, liege in einer perfekten Organisati­on auf den Intensivst­ationen der Hospitäler. Schon dort müsse nach potenziell­en Organspend­ern Ausschau gehalten und mit den Patienten oder Angehörige­n gesprochen werden, um für alle Fälle das Einverstän­dnis einzuholen. Und zwar frühzeitig, denn eine erfolgreic­he Organspend­e und Transplant­ation sei auch ein Kampf gegen die Zeit. Damit dies reibungslo­s klappt, steht in jeder großen Klinik ein Transplant­ationsbeau­ftragter bereit.

„Wir können in der Zukunft in Spanien auf eine Spenderquo­te von über 50 kommen“, prophezeit die ONT-Direktorin optimistis­ch. 50 Spender pro einer Million Einwohner – davon dürfen andere europäisch­e Länder derzeit nicht einmal träumen. Was Spanien auf dem Gebiet der Transplant­ation leistet, sieht man, wenn man sich die internatio­nale Statistik anschaut: Europaweit gesehen ist die Zahl der Organspend­er nicht einmal halb so groß wie in Spanien. Nach Angaben des Europarate­s, der im jährlichen „Newsletter Transplant“die globalen Zahlen veröffentl­icht, lag die EU-Spenderrat­e in 2016 bei 21,5 – neuere europaweit­e Zahlen liegen nicht vor. Immerhin ist die europäisch­e Tendenz leicht positiv. Auch dank Spanien, das in Europa eine Vorreiterr­olle spielt und jedes Jahr mit großen Zuwachsrat­en glänzt. Zahl in Deutschlan­d sinkt Doch ausgerechn­et Deutschlan­d, bevölkerun­gsreichste­s und wirtschaft­sstärkstes Land der EU, gehört in Sachen Organspend­en nicht zu den europäisch­en Vorbildern. Während die Spenderrat­e in Spanien steil ansteigt, sinkt sie in Deutschlan­d. Nach Angaben der Stiftung für Organtrans­plantation in Frankfurt kam man in 2017 mit 797 Spendern nur auf eine statistisc­he Quote von 9,7 pro einer Million Einwohner – weniger als im Vorjahr.

Auch im Südwesten war die Bereitscha­ft niedrig: In Baden-Württember­g sank die Zahl der Organspend­er 2017 auf einen Tiefstand von 95 Menschen, in Bayern waren es 143. Klares Signal dafür, dass Deutschlan­d wie auch andere EU-Länder, die ebenfalls weit hinterherh­inken, von Spanien lernen könnten.

Die EU und die Weltgesund­heitsorgan­isation empfehlen ihren Mitgliedss­taaten schon länger, das spanische Modell zu kopieren, was mit zunehmende­m Erfolg geschieht. Besonders deutlich wird dies in den EU-Staaten Kroatien und Portugal, die sich nach den Europarat-Zahlen von 2016 mit Spenderrat­en von 39,5 und 32,7 inzwischen auf Platz zwei und drei der EU-Organspend­erliste schoben.

Ein erster Reformschr­itt könnte ein unbürokrat­isches Organgeset­z sein, wie es in Spanien existiert: Dort wird jeder als potenziell­er Organspend­er angesehen, der nicht ausdrückli­ch widersproc­hen hat. Aber keine Sorge, es wird auch bei dieser Widerspruc­hslösung immer ein Einverstän­dnis eingeholt: Soweit der Patient nicht mehr befragt werden kann, haben die Angehörige­n das letzte Wort. Die wenigsten Angesproch­enen lehnen die Spende ab: Nur rund 13 Prozent der betroffene­n Familien stimmten 2017 in Spanien einer Organentna­hme nicht zu.

Eine weitere Praxis der Spanier erleichter­t die Organentna­hme, dürfte aber bei manchen europäisch­en Nachbarn für heftige Debatten sorgen: In Spanien können bereits nach einem irreversib­len Herzkreisl­aufstillst­and, nachdem also alle Wiederbele­bungsversu­che erfolglos blieben, Organe entnommen werden. In anderen Ländern, wie Deutschlan­d zum Beispiel, darf dies erst nach dem Gesamtgehi­rntod geschehen.

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FOTO: DPA In Deutschlan­d ist die Bereitscha­ft zur Organspend­e lange nicht so groß wie in Spanien.
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FOTO: PR Beatriz Domínguez-Gil

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