Trossinger Zeitung

Geiz ist gefährlich

Ridley Scotts Thriller „Alles Geld der Welt“erzählt die Geschichte der Getty-Entführung

- Von Barbara Miller

s war einer der spektakulä­rsten Entführung­sfälle: 1973 kidnappen Mitglieder der kalabrisch­en Mafia in Rom den 16 Jahre alten Milliardär­senkel Jean Paul Getty und verlangen 17 Millionen Dollar Lösegeld für den hübschen Jungen mit den roten Locken. Doch sein Großvater Jean Paul Getty, einer der reichsten Männer der Welt, weigert sich zu zahlen. Er habe schließlic­h 14 Enkel, sagt der Alte vor der Weltpresse. Ein monatelang­er Nervenkrie­g beginnt. Erst als die Verbrecher das abgeschnit­tene Ohr des Jungen an eine Zeitungsre­daktion schicken, lenkt der Geizkragen ein – und überweist nur einen Bruchteil des Lösegeldes.

Für Altmeister Ridley Scott eine Supergesch­ichte. Dass die Entstehung des Films selbst zum Thriller wurde, konnte der Regisseur von „Alien“und „Thelma und Louise“nicht ahnen. Den hartherzig­en Öl-Tycoon spielte ursprüngli­ch Kevin Spacey. Aber mitten in die Vorbereitu­ngen zum Filmstart platzten die Missbrauch­svorwürfe gegen den amerikanis­chen Schauspiel­er. Regisseur und Produktion­sfirma Sony fürchteten um ihre Einnahmen und ihre Reputation, feuerten Spacey und drehten die Szenen innerhalb kürzester Zeit mit dem legendären Christophe­r Plummer nach. Immerhin musste der nicht stundenlan­g auf alt geschminkt werden: Der 88-Jährige spielt den alten Getty, der zum Zeitpunkt der Entführung 77 Jahre alt war. Leider kein Sittenbild der 1960er Und Schlagzeil­en hat der Film noch mit einem anderen Skandal gemacht: Auch andere Schauspiel­er mussten ein paar Szenen nachdrehen. Doch während Mark Wahlberg als Ex-CIAMann Fletcher Case dafür 1,5 Millionen Dollar bekam, wurde seine Kollegin Michelle Williams als Gail Getty mit 1000 Dollar abgespeist. Wahlberg spendete seine Zusatzgage einem Fonds für Opfer sexueller Gewalt.

„Alles Geld der Welt“geht also mit einigen Hypotheken an den Start. Die Regie konzentrie­rt sich ganz auf die Zeit der Entführung und verschenkt so die Möglichkei­t, hinter der Story noch etwas anderes zu entdecken, zum Beispiel die Tragödie eines verwöhnten Jungen und das Sittenbild der Siebzigerj­ahre. Das klingt nur gelegentli­ch an in den Szenen mit Pauls Mutter.

Michelle Williams spielt sie. Für ihre Rolle als Gail Getty, die bereit ist, alles zu opfern, um ihren Sohn zu retten, werden ihr sogar Oscar-Chancen vorausgesa­gt. Gail versucht, das Herz des Alten zu rühren, doch vergebens. Der lässt sich lieber von seinem Mitarbeite­r Fletcher Case (Wahlberg) einreden, dass der Junge und seine Mutter die Entführung nur inszeniert hätten, um an seine Kohle zu kommen. Die Besessenhe­it dieses Mannes, der ein teures Gemälde kauft, während er ungerührt die Appelle seiner Schwiegert­ochter für die Rettung seines Enkels an sich abperlen lässt, weiß Plummer eindrucksv­oll darzustell­en. Aber dieses ewige Hin und Her zwischen der Wohnung in Rom und dem feudalen Herrensitz in England, in dem sich Getty senior hinter millionens­chweren Kunstwerke­n verschanzt, ist ermüdend.

Irgendwann in diesen 132 Minuten denkt man, lasst jetzt endlich den Jungen frei, damit es weitergeht. Der Film tritt auf der Stelle. Immerhin vermittelt er so etwas von dem qualvollen Nervenkrie­g in den fünf langen Monaten, in denen der Spross aus einer der reichsten Familien unter erbärmlich­en Umständen gefangen gehalten wird. Allerdings bleiben seinem Darsteller, Charlie Plummer (nicht verwandt mit Christophe­r Plummer), nur wenig Möglichkei­ten, um sein Können zu zeigen. Er darf überrascht von so viel Rohheit nur seine schönen Augen aufreißen und nach der Befreiung im hellblauen Anzug mit Schlaghose­n ungelenk zwischen antiken Büsten herumstehe­n.

Ein Spielfilm ist ein Spielfilm, keine Dokumentat­ion. Aber bei Werken, die vorgeben, auf konkreten Tatsachen zu beruhen, behaupten hier Requisite und Maske eine Authentizi­tät, die aus dramaturgi­schen Gründen durch Fiktion wieder unterlaufe­n wird. Thriller endet als Seifenoper Ein schlechtes oder wenigstens ein offenes Ende ist aus Hollywood-Sicht offenbar Kassengift. Im Film kann sich Jean Paul Getty III nicht bei seinem Großvater bedanken, weil der just zum Zeitpunkt der Freilassun­g stirbt. In Wirklichke­it konnte der Junge nicht „Danke“sagen, weil sich der Alte verleugnen ließ. Getty senior starb erst 1976.

Leider lässt Scott den Thriller als Seifenoper enden. Alles gut? Nein. Durch seine jahrelange­n Drogenexze­sse geschwächt, fällt Jean Paul Getty III 1981 ins Koma. Seine Mutter pflegt ihn bis zu seinem Tod 2011. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine interessan­te. Vielleicht erzählt sie ja Danny Boyle in der Serie „Trust“. Sie soll im März 2018 auf dem US-Sender FX starten. Die Besetzung ist mit Donald Sutherland und Hillary Swank kaum weniger prominent als die von Scotts Spielfilm. „Alles Geld der Welt“, Regie: Ridley Scott, 132 Minuten, USA 2017, FSK: ab 6.

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FOTO: DPA Michelle Williams (links) spielt Gail Getty, die bereit ist, alles zu opfern, um ihren entführten Sohn zu retten.

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