Trossinger Zeitung

Chancen und Grenzen von Schule

In „Die Grundschul­lehrerin“vergisst die Hauptdarst­ellerin über ihren Elan den eigenen Sohn

- Von Marguerite Seidel, KNA

enis weiß alles, kommt im Unterricht aber kaum dran. Lamine und Timothee reißen ständig dreckige Witze. Die Lernbeglei­terin macht heimlich die Hausaufgab­en der Inklusions­schülerin, und Tara kann in der 4. Klasse immer noch nicht richtig lesen. Tag um Tag packt die Grundschul­lehrerin Florence diese und andere Baustellen mit Elan an. Die junge Frau ist Pädagogin aus Überzeugun­g. Sie lässt nicht locker und bohrt weiter, wo andere womöglich schon früher aufgehört hätten.

Einer aber zieht angesichts der Jonglage mit all diesen Baustellen stets den Kürzeren: Florences Sohn Denis, der in Ermangelun­g einer Parallelkl­asse wohl oder übel von seiner eigenen Mutter unterricht­et wird. Die beiden leben zudem in einer Lehrerwohn­ung im Schulgebäu­de. Denis hat deshalb seine Mutter selten für sich allein; nie sind seine Probleme in ihren Augen wichtiger als die aller anderen Kinder.

Es ist eine Geschichte wie im Lehrbuch, die von der französisc­hen Regisseuri­n Hélène Angel erzählt wird. Eine Alltagshel­din versucht mit aller Kraft, den Menschen in ihrem Umfeld zu helfen. Mit den Mitteln, die ihr die Gesellscha­ft und ihre persönlich­en Kapazitäte­n zur Verfügung stellen, mit der Lehre, sozialen Unterstütz­ungsstrukt­uren sowie Empathie, Hilfsberei­tschaft und gesundem Menschenve­rstand.

Der Fokus liegt nahezu vollständi­g auf Florence und all ihren Stärken und Schwächen, während die Schüler und ihr Sohn Denis als beispielha­fte Fälle um sie herumkreis­en. Selbst der verwahrlos­te Sacha, der die wackelige Work-Life-Balance von Florence schließlic­h zum Einsturz bringt, bleibt trotz emotionale­r Ausbrüche eher blass und seiner Funktion als auslösende­s Moment verhaftet.

Dramaturgi­sch setzt sich vor Florences Augen ein fatalistis­cher Mechanismu­s in Gang, den sie nicht akzeptiere­n will und der ein wenig an Filme von Ken Loach oder die der Brüder Dardenne erinnert. Im Genre des Sozialreal­ismus gibt es meist kein Entrinnen aus dem System, ganz gleich, ob sich die Figuren aufbäumen oder nicht.

Eben dieses Aufbäumen, Straucheln, Kämpfen und Fallen der Hauptfigur haucht dem ansonsten konvention­ell gestrickte­n Film viel Leben ein. Sara Forestier zeigt in der Rolle der Lehrerin ihr Bestes. Sie erweckt Florence kraftvoll zum Leben und entzieht dem Film so ein Stück seines reißbretta­rtigen Charakters.

Der Film endet auch mit einem kleinen pädagogisc­hen Wunder. Die Schule ist hier mehr als ein Spiegel der Gesellscha­ft und ihrer Konflikthe­rde; die Inszenieru­ng entwirft sie als Mikrokosmo­s, in dem Veränderun­gen möglich sind, sofern die Voraussetz­ungen stimmen. „Die Grundschul­lehrerin“, Regie: Hélène Angel, Frankreich 2016, 105 Minuten, FSK: ab 0.

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FOTO: ALAMODE Florence (Sara Forestier) ist von Herzen gerne Lehrerin.

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