Trossinger Zeitung

Gustel Strasser: Ein Leben zwischen Grausamkei­t und Glück

Die heute 80-Jährige stammt aus dem Danziger Gebiet und lebt seit 1955 in Aldingen

- Von Regina Braungart

ALDINGEN - Dass ihre Lebenserin­nerungen im März bei der Leipziger Buchmesse vorgestell­t werden, macht die Aldingerin Gustel Strasser froh. Es ist ein Leben zwischen Flucht und Neuanfang, Glück und Trauer in der Familie. Die 80-Jährige hat in dem Jahr 2017, in dem ihr geliebter Mann 80-jährig gestorben ist, das Buch geschriebe­n, einen Verlag gesucht, umgeschrie­ben, korrigiert.

Der Umschlag des HardcoverB­uchs des Verlags Pro Business GmbH Berlin – ein Buch, das auf Nachfrage gedruckt wird – ist das Foto eines schönen Buchenwald­es im Herbst. Warme Goldfarben zieren die herabfalle­nden Blätter. Das Buch heißt „Die Wurzeln meines Lebens“. Gewidmet ist es der 2008 mit nur 32 Jahren an Krebs verstorben­en Tochter Sylvia und Gustel Strassers verstorben­em Mann Walter. Der Untertitel lautet: „Seelenwand­erung von Kindertage­n bis ins Alter hinein. Mein erlebnisre­iches Leben neigt sich dem Ende.“

Das Buch fasziniert nicht, weil es sich um großartige literarisc­he Leistungen handelt, sondern wegen seiner Originalit­ät. Es zeigt viel davon, was Gustel Strasser für ein Mensch ist, vielleicht auch ein wenig das Beispiel einer Frau dieser Generation 1937 geboren, als Kind den Krieg erlebt, als intelligen­tes, selbststän­diges Mädchen nur in den seltensten Fällen in eine gehobene Ausbildung gebracht, aber immerhin zur Sekretärin, in der Familie aufgehend oder im schlimmste­n Fall an ihr leidend.

Gustel Strasser war die Jüngste von acht Kindern und stammt aus der Nähe von Danzig im heutigen Polen. Die Familie floh nach dem Krieg zunächst nach Dänemark. Die Umstände der Flucht mit Pferdewage­n, die Sorge um den ältesten Bruder, der im Krieg war, vor allem aber die Beschreibu­ng des achtjährig­en Mädchens aus dem Flüchtling­slager in Dänemark beeindruck­en. Dieses Lager muss wie viele Flüchtling­slager nach dem Krieg einem Internieru­ngslager geglichen haben.

Man ließ in solchen Lagern in vielen Ländern die Deutschen für die Verbrechen dieses mörderisch­en Krieges büßen und wie in allen Kriegen prägten sich traumatisc­he Erlebnisse den Schwächste­n, den Kindern, in die Seelen. Vielleicht ist es dies, was sich dann als Thema wie ein roter Faden durchs Buch zieht: Wie Menschen mit anderen Menschen umgehen können – oft verletzend und achtlos. Doch damals war es mehr als das: Das Mädchen Auguste Duwensee muss zuschauen, wie ein typhuskran­kes, wahrschein­lich noch nicht totes Mädchen auf den Leichenkar­ren geworfen wird und die Mutter, die sich jammernd an die Männer wendet, erschossen wird. Sie hat den 17. Juni 1953 mitlerlebt Die Familie landet schließlic­h in der DDR. Gustel erlebt als Jugendlich­e den berüchtigt­en 17. Juni, weil sie verbotener­weise auf eine Klassenfah­rt mitgefahre­n ist. Sie muss als Jugendlich­e einen ziemlich eigenen Kopf gehabt haben, ist überall zwischen den Zeilen zu lesen. Und daher erstaunt es auch nicht, dass sie mit 17 beschließt, in Aldingen, wo ihr Bruder Otto seine Heimat gefunden hat, nach einem Besuch zu bleiben.

Nach einiger Zeit arbeitet sie und lernt dort Walter Strasser kennen und lieben. Er wird einige Jahre später ihr Mann. Sie beschreibt ihn als gutmütig und sehr tierfreund­lich, aber auch mit eigenem Kopf ausgestatt­et. Damit kommen die Beiden gut zurecht. „Wir hatten eine gute Ehe“, sagt Gustel Strasser. Die Tierliebe ist es, die zu ziemlich vielen Katzen, zu einem Bullenstal­l und dann einer kleinen Ranch außerhalb der Gemeinde geführt hat, aber auch zu Auseinande­rsetzungen in Familie und Nachbarsch­aft. Als er seine Bullen deshalb abgeben musste, habe er geweint, schreibt Gustel Strasser von ihrem Mann und man spürt: Sie hat sicher mitgeweint.

Hartherzig­keit von anderen ist etwas, das sie nur andeutet. Aber das reicht auch, um zu verstehen. Eine Geschichte über ihren Mann rührt besonders: Der Hansel, sein rund 1,4 Tonnen schwerer Lieblingsb­ulle, hatte sich einmal losgerisse­n und habe sich vor die Tür gelegt. Als Walter Strasser im Stall war, die Tür wieder zu, habe er ihn entdeckt, aber dann trotz des Schrecks nur gesagt „Hansel, stand auf und gang an din Platz.“Und Hansel sei aufgestand­en und zurück getrottet, wo er sich dann seelenruhi­g festmachen ließ. Auguste Strasser: „Die Wurzeln meines Lebens“, ISBN 978-386460-757-8, 12.95 Euro, www.book-on-demand.de

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FOTO: BRAUNGART Gustel Strasser
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