„Das kann der Irak nicht alleine schultern“
Minister Gerd Müller (CSU) zu den Ergebnissen der Wiederaufbaukonferenz und zur Konfliktprävention
KUWAIT-STADT - Der geschäftsführende Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU, Foto: Kling) hält es für „absolut unverständlich“, dass sich die US-Regierung aus der humanitären Hilfe für den Irak zurückzieht. Das sei eine Folge der Trump’schen Politik, sagte Müller im Gespräch mit Claudia Kling. Zugleich betonte er das deutsche Eigeninteresse an einer Stabilisierung des Landes. Ziel sei es, den IS kleinzuhalten und die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Herr Müller, bei der Irak-Wiederaufbaukonferenz in Kuwait kamen Geldzusagen in Höhe von 30 Milliarden Dollar zusammen. Sind Sie mit diesem Ergebnis zufrieden? Insgesamt hat die Konferenz nicht das gebracht, was notwendig gewesen wäre. 30 Milliarden Dollar wären ja gut, aber dabei handelt es sich im Wesentlichen auf bis zu zehn Jahre verteilte Kredite und Risikoinstrumente und weniger um ganz konkrete Finanzierungszusagen zum Aufbau von Wohnungen, Schulen und Ausbildungsplätzen. Dabei konzentrieren sich 90 Prozent der Zusagen auf zehn Länder. Das zeigt wieder, dass die internationale Solidarität nicht trägt. Der Irak steht vor großen Problemen. Das Land braucht geschätzt 80 bis 100 Milliarden Dollar, um die zerstörte Infrastruktur und die zerstörten Städte wieder aufzubauen. Das kann die irakische Regierung nicht alleine schultern, obwohl der Irak kein armes Land ist. Die Privatwirtschaft muss der Motor des Wiederaufbaus werden. Bislang stehen aber enorme bürokratische Hürden und die Korruption ausländischen Investitionen im Weg. Deshalb braucht es ein klares Signal von der irakischen Regierung, diese Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir helfen mit, die Eigenkräfte im Land zu mobilisieren. Bislang hielten sich die arabischen Länder sehr zurück mit Hilfen für den Irak. Sehen Sie da Bewegung? Die Konferenz in Kuwait hat gezeigt, dass sich die arabischen Staaten stärker engagieren wollen als bisher, um die Stabilität in der Region zu unterstützen. Auf der anderen Seite ziehen sich die Amerikaner zurück. Sie gehen aus der humanitären Hilfe nahezu komplett raus und konzentrieren sich auf die Risikoabsicherung und Schulung des Militärs im Irak. Das ist absolut unverständlich. Der Kampf der Iraker gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“war erfolgreich, hat aber große Teile des Landes in Schutt und Asche gelegt. Dass sich die Amerikaner nun ausgerechnet im humanitären Bereich zurücknehmen, ist eine Folge der Trump’schen Politik. Aber auch europäische Staaten wie Frankreich und Großbritannien leisten nicht das Gleiche wie Deutschland. Warum engagiert sich Deutschland mehr als andere im Irak? Wir haben ein Eigeninteresse an der Stabilisierung des Irak. Ein Ziel ist natürlich, den IS im Irak kleinzuhalten. Das hat weltweite Bedeutung. Wir haben den IS-Terror auch in Deutschland und in den USA erlebt. Das andere ist, die Zahl der Flüchtlinge aus dem Irak zu reduzieren. In den vergangenen Jahren sind 100 000 Iraker nach Deutschland gekommen, von denen wurden 90 000 als Flüchtlinge anerkannt. Mit dem Ende der Kriegshandlungen im Irak können sie in ihre Heimat zurückkehren. Das wollen wir gezielt mit einem Rückkehrerprogramm unterstützen. Die Voraussetzungen dafür schaffen wir jetzt. Deutschland will 2018 wie im Vorjahr den Irak mit insgesamt 350 Millionen Euro unterstützen – vorausgesetzt der Bundestag stimmt zu. Was wird aus diesem Geld? Der erste Schwerpunkt ist die unmittelbare Hilfe für die zurückkehrende Bevölkerung, ganz konkret in die zerstörte Stadt Mossul. Wir unterstützen dort den Wiederaufbau von Krankenhäusern, Gesundheitszentren, der Erst- und Notfallversorgung in den Flüchtlingslagern. Der zweite Punkt ist die Ausbildung von Flüchtlingskindern im Nordirak. 50 Prozent der 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge im Irak sind Kinder. Die heute Fünf- bis Sechsjährigen haben in ihrem Leben nichts anderes als den Krieg erlebt. Hier investieren wir in Schulen und Lehrerausbildung. Der dritte Punkt ist der Aufbau eines Netzes von psychosozialen Beratungseinrichtungen, um traumatisierte Frauen und Kinder vor Ort betreuen zu können. Beteiligt sich Deutschland auch direkt am Wiederaufbau? Wir haben ein Programm „Cash for Work“aufgelegt, das die geflohenen Menschen dazu motivieren soll, selbst zur Schaufel zu greifen und den Wiederaufbau ihrer Dörfer und Städte voranzutreiben. Wir finanzie- ren das Baumaterial und bezahlen ihnen zehn Dollar am Tag für die Arbeit. Über 30 000 Menschen haben wir so schon erreicht. Das ist vernünftiger, als sie nach Deutschland zu holen – günstiger ist es sowieso. Aber ganz abgesehen davon: Die meisten Leute wollen ja zurück in ihre Dörfer oder Städte. Erst wenn nach Jahren in den Flüchtlingscamps nichts vorwärts geht, sehen sie ihre Zukunft in Europa. Deshalb ist es sinnvoll, vor Ort die Bedingungen zu schaffen, dass die Menschen zurückkehren können. Sie werben bei deutschen Unternehmen um Investitionen im Irak. Wo sehen Sie da Möglichkeiten? Deutsche Unternehmen sind traditionell im Irak engagiert, insbesondere im Nordirak. Ihre Chancen liegen derzeit vor allem im Wiederaufbau der Städte und Dörfer und in der Instandsetzung der zerstörten Infrastruktur. Siemens beispielsweise hat angeboten, die am Boden liegende Energieversorgung mit mobilen, sofort einsetzbaren Kraftwerken wieder in Gang zu bringen und die Effizienz der bestehenden Kraftwerke zu steigern. Wir wollen zusammen ein Trainingszentrum für irakische Jugendliche aufbauen. Darüber werde ich bei der Sicherheitskonferenz in München erneut mit Siemens-Chef Joe Kaeser sprechen. Was hat Entwicklungspolitik, für die Sie zuständig sind, mit Sicherheitspolitik zu tun? Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik im umfassenden Sinne. Das hat schon Willy Brandt gesagt. Und das bewahrheitet sich heute immer mehr. Schauen Sie auf den Krieg in Syrien: Einer der Hauptauslöser war eine Dürre im Land, die dazu geführt hat, dass die Ernte ausfiel und über die Hälfte des Viehs verendete. Hunger, Not, Elend in den ländlichen Regionen haben zur Radikalisierung der Menschen beigetragen. Deshalb sind Entwicklungskooperationen so wichtig, um solchen Krisen, Kriegen und den damit einhergehenden Fluchtbewegungen vorzubeugen. Wir müssen in die Lösung von Konflikten investieren, bevor es zum großen Knall kommt. Ist das auch Ihr Thema bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz? Die Sicherheitskonferenz in München müsste sich längst viel stärker mit dem vernetzten Ansatz beschäftigen. Dort steht allzu sehr das Militärische im Vordergrund. Wir müssen viel schneller reagieren, um den Ausbruch von Konflikten, in deren Folge Millionen Menschen auf der Flucht sind, zu verhindern. Dazu bräuchte es aber auch eine stärkere Position der Vereinten Nationen. Sie müssten weltweit der Friedensgarant sein. Stattdessen werden sie geschwächt, weil ihnen zum Beispiel die amerikanische Regierung das Geld entzieht. Gleichzeitig verringern die USA ihre Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und erhöhen ihre Militärausgaben. Diese Entwicklung ist fatal. Sie müssen sich vergegenwärtigen: 140 Milliarden Entwicklungshilfe weltweit stehen derzeit 1600 Milliarden für Militär- und Rüstungsausgaben gegenüber – ein Verhältnis von eins zu zehn. Wenn das kein grobes Missverhältnis ist. Wie sieht das in Deutschland aus? Bei den Koalitionsverhandlungen ist uns ein echter Durchbruch gelungen. In Zukunft steigen die Entwicklungsausgaben im Verhältnis eins zu eins zu den Verteidigungsausgaben. Das sollte man auch in Europa oder weltweit zur Grundlage machen. Krisen und Kriege zu verhindern, ist mindestens ebenso wichtig wie in Verteidigung zu investieren.