Dinnerparty nimmt dramatischen Verlauf
„Geächtet“: Auftakt zur Tournee mit hochkarätiger Besetzung findet in der Stadthalle statt
TUTTLINGEN - Ayad Akhtars Stück „Geächtet“hat nach seinem Siegeszug in den USA in kürzester Zeit auch die deutschsprachigen Bühnen erobert. Karin Boyds Inszenierung für das Alte Schauspielhaus Stuttgart mit den aus dem Fernsehen bekannten Patrick Khatami und Natalie O’Hara in den Hauptrollen geht nun in Kooperation mit dem Euro Studio Landgraf und dem Tourneetheater Thespiskarren auf Tour. Nach mehrtägigen Proben in der Stadthalle hat die Truppe am Mittwoch einen Tourneeauftakt vor 400 Zuschauern in einem bunten Altersmix hingelegt. „Geächtet“ist ein ur-amerikanisches Stück – und doch betrifft seine brisante Thematik längst auch das moderne Europa: Vor der bröckelnden Fassade des „American Way of Life“thematisiert Ayad Akhtar unterschwelligen und offenen Rassismus nach den Anschlägen vom 11. September genauso wie den Identitätsverlust assimilierter Migranten. Als Sohn pakistanischer Einwanderer ist Akhtar prädestiniert, die besondere Situation amerikanischer Muslime zu beleuchten. Er tut das in einem Boulevardstück, das bei einer Dinnerparty in der noblen New Yorker Upper East Side einen dramatisch-tragischen Verlauf nimmt. Isaac, ein jüdischstämmiger Kunstkurator, Amir, ein arrivierter Anwalt mit islamischen Wurzeln und Emily, eine Amerikanerin mit christlichem Hintergrund, diskutieren beim gemeinsamen Abendessen heftig über ihre Religionen: Das weckt Assoziationen an Lessings „Ringparabel“. Doch Akhtars Protagonisten eifern nicht mehr um den wahren Glauben. Sie haben ihrer jeweiligen Religion längst abgeschworen. Stattdessen sind ihnen Karriere, Reichtum und Lifestyle zum Lebensinhalt geworden. Und all ihre Anstrengungen, die Klischees ihrer Herkunft nur ja nicht zu bedienen, treiben sie unweigerlich in neue Verhaltensmuster. Abkehr von den Wurzeln So kann Isaac (Markus Angenvorth) seine kritische Einstellung zu Israel nicht oft genug betonen. Und Amir (Patrick Khatami), Sohn pakistanischer Einwanderer, grenzt sich vehement vom Islam ab. Seinen Nachnamen hat er längst geändert, um nicht sofort als Muslim erkannt zu werden, und er setzt gerade – in einer jüdischen Rechtsanwaltskanzlei – zum Karrieresprung an. Verheiratet ist er mit Emily (Natalie O’Hara), dem Inbegriff einer schönen, klugen, begabten, ur-amerikanischen Künstlerin. Die wiederum preist das spirituelle und künstlerische Erbe der islamischen Kultur. Und dann ist da noch Isaacs Frau Jory (Jillian Anthony), Amirs afro-amerikanische Kanzleikollegin, die sich aus dem Ghetto hochgearbeitet hat. Ihre Religion heißt Ehrgeiz und Erfolg - und damit wird sie ihre Konkurrenz im Lauf des Abends noch rechts überholen. Amirs Neffe Hussein (Mark Harvey Mühlemann in jugendlicher Geradlinigkeit) gibt dagegen seinen angenommenen Namen „Abe“frustriert wieder zurück, um am Ende mit Kufi seinem Onkel entgegenzuschleudern: „Du willst etwas von diesen Leuten, das du niemals kriegen wirst.“Langsam nimmt das Stück Fahrt auf, denn all diese komplexen Hintergründe wollen eingeführt sein, bevor die finale Party steigen kann. Hier kommt ein intimes Kammerspiel in eine große Halle, doch die Truppe versteht es, den intimen Charakter zu bewahren – nicht zuletzt durch den Verzicht auf Headsets in einem akustisch nicht ganz einfachen Saal. Natalie O’Hara verkörpert eine liebesbedürftige und verletzliche Emily. Patrick Khatami entwickelt Amirs tragischen Charakter: Vom anfangs verliebten, selbstbewussten – da erfolgreichen – Ehemann wird er zum gekränkten und vor Wut Rasenden. Am Ende hat Amir alles verloren: seinen Job, seine Frau, sein Selbstverständnis. Und genau wie Emily, die ihn schweren Herzens endgültig verlässt, gehen auch die Zuschauer berührt, aber ohne Lösungsvorschlag nach Hause.