Bewährungsstrafe wegen Missbrauchs
Landgericht Konstanz verurteilt Neurologen zu Geld- und Bewährungsstrafe
KONSTANZ (nyf) - Wegen des Missbrauchs von Patientinnen hat das Landgericht Konstanz einen Arzt zu einer Strafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Der frühere Oberarzt für Neurologie, der seine Zulassung im Dezember 2016 zurückgegeben hat, habe Patientinnen in mehreren Fällen mit sexuellen Handlungen belästigt. Der 39-Jährige habe das Beratungs- und Behandlungsverhältnis zu den Frauen ausgenutzt.
KONSTANZ - Weil er Patientinnen missbraucht hat, ist ein Arzt vom Landgericht Konstanz zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Mediziner zeigte sich bei dem Prozess, der am Dienstag endete, voller Reue. „Ich schäme mich aufrichtig“: Als die Richterin diese Worte aus seinem Brief verliest, kaut der Angeklagte, ein 39-jähriger Mediziner und früherer Oberarzt einer Fachklinik in der Region Konstanz, an seinen Fingernägeln. Seine Statur ist gebeugt, der graue Anzug, in dem er zu versinken scheint, wirkt zwei Nummern zu groß. Seine Augen sind gerötet. Geständnis per Brief Den Missbrauch, den der Neurologe in seinem Brief an die Opfer einräumt, und der am Landgericht Konstanz verlesen wird, enthält viele Beteuerungen: Dass er für das Leid, das er verursacht hat, einstehe. Dass er sich für dieses Leid entschuldige. Nicht nur bei den Opfern selbst, die er durch seine Übergriffe in vertraulichen Arzt-Patientinnen-Situationen verletzt habe. Auch bei seiner Familie. Seiner Frau. Das Wort selbst zu ergreifen, dafür sieht er sich außer Stande. Seine beiden Anwälte sprechen für ihn. Schmerzensgeld ist geflossen an die sieben im Prozess verhandelten weiblichen Opfer. In Summen zwischen 5000 und 7500 Euro.
„Mir ist klar, dass kein Geld der Welt das wieder gutmachen kann“, geht es weiter im Text des Entschuldigungsschreibens. Geld und Brief sollten aber nicht so verstanden werden, dass er, der „leidenschaftliche Mediziner mit Herzblut“damit seine Schuld relativieren wolle. Er befinde sich in Psychotherapie, um das Geschehene aufzuarbeiten. Seine ärztliche Zulassung habe er im Dezember 2016 zurückgegeben. „Ich stehe nun nach 18 Jahren Medizin mit 38 Jahren vor einem neuen Leben“, liest die monotone Stimme der Richterin weiter vor. Seine Tätigkeit in der Klinik habe er hinter sich gelassen. Es bestehe also kein Grund zu befürchten, er könne sich ein weiteres Mal an einer Patientin vergreifen.
Im Gerichtssaal, der wie ein Klassenzimmer wirkt, sitzen neben den Richtern, Schöffen, Nebenklagevertretern, Verteidigern und Staatsanwältin auch die wie versteinert wirkenden Patientinnen selbst, die der Angeklagte – gemäß seines eigenen Geständnisses – im Rahmen der ärztlichen Behandlungen in intimster Weise berührt hat, unter dem Vorwand, Lymphknoten in der Leistengegend ertasten zu müssen. Noch mehr Opfer? In der Stille des Saales wirken die Worte des verlesenen Briefes umso lauter und schwerer. Die Anwälte der Patientinnen bestätigen den Erhalt des Schreibens sowie der Schmerzensgelder. Mit einer Frage der Staatsanwältin geht die Beweisaufnahme zu Ende: „Wie viele Geschädigte gibt es noch?“Mit einem kurzen, verunsicherten Blick schaut der Angeklagte auf. Einer seiner Verteidiger sagt rasch: „Auf diese Frage gibt es von uns keine Antwort.“Die Staatsanwältin runzelt die Stirn, denn: „Es hat sich noch jemand bei mir gemeldet.“
Zu den Schlussplädoyers ist die Öffentlichkeit einmal mehr ausgeschlossen. Wie schon am vorangegangenen Prozesstag. Zum Schutz der Persönlichkeit von Opfern wie Täter, weil die Details zu intim seien. Bereits 2016 war der Mediziner wegen ähnlicher Taten an drei Frauen vom Landgericht Konstanz zu einer Haftstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt worden – Staatsanwaltschaft sowie der Angeklagte selbst hatten Berufung eingelegt. Dann meldeten sich weitere Frauen, die im aktuellen Prozess ebenfalls Gegenstand des Verfahrens sind. Die Details bleiben hinter der schwarzen Tür von Sitzungssaal eins verborgen: Das letzte Wort des Angeklagten. Die Erklärungen der Opfervertreter. Die Forderung der Staatsanwältin.
Das Urteil aber verkündet der Richter wieder öffentlich: Der Arzt ist schuldig, muss aber nicht ins Gefängnis. Die verhängten 20 Monate Haft sind zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss der Mediziner eine Geldauflage von insgesamt 10 000 Euro erfüllen. Das Geld geht an zwei Frauenorganisationen. Damit bleibt das Gericht hinter der Forderung der Staatsanwältin zurück, die zweieinhalb Jahre Gefängnis beantragt hatte.
Als eine der betroffenen Patientinnen den Saal Nummer eins verlässt, sagt sie: „Ich bin erleichtert und froh, dass er nicht mehr als Arzt arbeitet.“Ob das dauerhaft so bleibt, ist ungewiss, denn: Ein von der Nebenklage gefordertes Berufsverbot hat das Gericht nicht verhängt.