Standort Deutschland in Gefahr?
Südwestmetall diskutiert bei Mitgliederversammlung kräftig über den Tarifabschluss
TUTTLINGEN/VS-VILLINGEN - Die Unternehmen der Metall- und Elektrobranche im Südwestmetall-Bezirk Schwarzwald-Hegau sind mit dem jüngsten Tarifabschluss mit der Gewerkschaft IG Metall in der Mehrheit unzufrieden. Das teilten sie auch dem Vorstand der Bezirksgruppe bei ihrer Mitgliederversammlung am Dienstag in der Neuen Tonhalle in Villingen auch mit. Und das so intensiv, dass das Pressegespräch am Nachmittag nur mit einer kleinen Verzögerung beginnen konnte.
„Wir haben lange über die Tarifrunde gesprochen. Die 4,3 Prozent mehr Lohn sind eine extrem schwere Last“, betonte Bezirksgruppen-Geschäftsführer Ralph Wurster. Es habe eine heiße Diskussion und Kritik gegeben: „Im ländlichen Raum ist die Akzeptanz des Tarifvertrags leider nicht so gegeben“, sagte er.
Der Bezirksgruppen-Vorsitzende und der Vorstandsvorsitzende des Tuttlinger Medizintechnik-Unternehmens Aesculap, Joachim Schulz, blickt auf den Raum Stuttgart, wo „große potente Unternehmen“angesiedelt seien, deren Betriebsräte auf einen hohen Abschluss gedrängt hätten: „Deswegen gibt es auch den Pilotabschluss für die Metall- und Elektrobranche in Baden-Württemberg“, sagte er. Doch: „Die Akzeptanz des Tarifabschlusses ist im Ballungsgebiet nicht nennenswert anders“, berichtete Gabriel Berger, Geschäftsführer für die Tarifpolitik bei Südwestmetall in Baden-Württemberg. Lange Laufzeit stimmt positiv Die Laufzeit des Tarifvertrags wird von den Unternehmen laut Wurster zwar als positiv empfunden. Dennoch komme mit der vereinbarten Einmalzahlung im kommenden Jahr eine weitere finanzielle Belastung auf die Unternehmen zu. „Der Abschluss wird sich auf die Rendite auswirken“, betonte Berger. Aktuell sei der Abschluss noch erträglich. Das sei aber anders, wenn sich die Konjunktur eintrüben würde.
Harald Marquardt, Vorstandsmitglied bei Südwestmetall und Vorsitzender der Geschäftsführung beim Rietheimer Automobilzulieferer Marquardt, sieht den Tarifabschluss sogar weitreichender: „Damit machen wir den Standort Deutschland unattraktiver. Beim nächsten Abschwung werden wir das zu spüren bekommen.“Schulz verwies darauf, dass jetzt schon viele Unternehmen im Ausland ihre Gewinne erwirtschaften würden. Diejenigen, die sich keinen Standort im Ausland leisten könnten, würden unter Druck geraten.
Die durchgesetzte Forderung der Gewerkschaft nach einer befristeten Teilzeit mit Rückkehrrecht in die alte Arbeitszeit vereinbarung wäre laut Schulz ohnehin „zeitnah gekommen“. Das würden die Unternehmen daher auch gar nicht so kritisch sehen, auch wenn sie laut Berger „ein Stückweit ins kalte Wasser springen“müssten. Marquardt betonte, dass schon in der Vergangenheit Mitarbeiter kürzer treten konnten: „Das funktioniert bei einem ordentlichen Verhältnis zur Belegschaft.“Und daran habe jeder Unternehmer ein Interesse. Das Problem sei jetzt aber schon der rechtliche Anspruch.
Auf der anderen Seite hätten die Unternehmen nun die Möglichkeit, mehr Mitarbeiter mit mehr als 35 Stunden pro Woche anzustellen. Gerhard Warncke,Südwestm et all Mitgliederrat und Geschäftsführer der Maico Elektroapparate-Fabrik GmbH in Villingen-Schwenningen, betonte, dass eine Umfrage vom Betriebsrat seines Unternehmens ergeben habe, dass die Mehrheit der Mitarbeiter die Möglichkeit zur Mehrarbeit gut fände, um etwa die finanziellen Verpflichtungen durch einen Haus- oder Wohnungskauf zu stemmen. Folgen des Brexits unklar Insgesamt sei die Branche laut Schulz auf kurze Sicht positiv gestimmt. Allerdings erwarten 78 Prozent der Unternehmer, die am Dienstag bei der Mitgliederversammlung vertreten waren, einer Umfrage zufolge für das laufende Jahr einen nur gleichbleibenden (65 Prozent) oder schwächeren Auftragseingang als noch im Vorjahr (zur Statistik siehe Kasten).
Dazu sei nicht klar, wohin sich die Branche, etwa durch die Elektromobilität, entwickeln werde. Dazu kämen die möglichen Folgen des Brexits, für den es laut Schulz keine guten Zeichen am Horizont gibt – auch wenn noch unklar sei, was am Ende dabei herauskomme: „Das können wir heute noch nicht bewerten“, meinte er.