Der Katastrophe ganz nah
15 verletzte Schüler bei Busbrand in Oberreute – Gymnasiasten im Oberdeck schlagen die Fenster ein, um sich in Sicherheit zu bringen
OBERREUTE - Es sollte ein ganz normaler Schulausflug werden: Am Mittwochnachmittag machen sich rund 100 Schüler des Gymnasiums Sonthofen auf den Weg nach Bregenz. In die Oper soll es gehen – Giovanni Ruffinis Don Pasquale steht auf dem Programm. Zwei Reisebusse haben die Lehrer für die Zehntklässler gebucht. Dass sie nie in Bregenz ankommen werden, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Auf etwa der halben Strecke auf der B 308 bei Oberreute im Allgäu fängt es plötzlich an, in einem der Busse verbrannt zu riechen. Langsam breitet sich Qualm im oberen Teil des Doppeldeckers aus. Der Fahrer hält den Bus auf der leicht abschüssigen Straße sofort an und öffnet alle Türen, die ersten Schüler verlassen den Bus. Die hintere Tür des Busses geht nicht von allein auf – der Busfahrer muss sie mit Körperkraft aufstemmen. Die Gymnasiasten im Oberdeck des Doppelstockbusses greifen nach den kleinen Metallhämmern, schlagen die Scheiben ein und springen mehr als zwei Meter in die Tiefe. Kurze Zeit später steht der Bus in Flammen. Vom hinteren Teil des Busses, dort wo der Motor sitzt, breiten sich die Flammen nach oben aus.
Karlheinz Schwärzler ist gerade auf dem Heimweg von der Arbeit, als sich sein Pieper bemerkbar macht. Sofort macht sich der Kommandant der Feuerwehr Oberreute auf dem Weg zum Unfallort. „Ich war relativ schnell vor Ort“, erzählt Schwärzler tags darauf. Um den qualmenden Bus herrscht Chaos. Überall laufen Schüler umher. Ob noch jemand im Bus ist, ist erst mal unklar. Erst als die Feuerwehr den Brand im Griff hat, gehen zwei Trupps mit Atemschutz auf die Suche im Innern des Busses. „Die Erleichterung gab es erst nach zwanzig Minuten“, sagt Schwärzler. Alle 49 Schüler sowie drei Lehrer und der Fahrer des Busses hatten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Fünf Schüler wurden mit Rauchgasvergiftungen in Kliniken gebracht. Zehn Schüler erlitten leichte Schnittverletzungen und Prellungen. Zwei der Schüler verbrachten die Nacht vorsorglich im Krankenhaus. „Es ist ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist“, sagt Feuerwehrkommandant Schwärzler. Den Grund dafür sieht er vor allem darin, dass die Insassen noch jung und beweglich gewesen seien. „Mit Senioren wäre das vielleicht anders ausgegangen.“
Der Unfall lässt unschöne Erinnerungen wach werden. Erst im Juli vergangenen Jahres verbrannten 18 ältere Menschen in einem Reisebus auf der A9, 30 Insassen wurden schwer verletzt. Von dem Bus blieb nur noch ein Gerippe übrig. Nach Angaben der Ermittler war ein Fehler des Fahrers damals für das Inferno verantwortlich. Der Bus war auf den Anhänger eines Sattelzugs aufgefahren, es kam zu Kurzschlüssen in der Elektrik, wodurch sich Kraftstoff entzündete. Innerhalb kürzester Zeit brannte der gesamte Bus lichterloh.
Der Unfallbus der Sonthofener Schüler steht am Donnerstagnachmittag noch in einer Parkbucht. Es riecht nach verbranntem Gummi, das abfließende Löschwasser ist an der Türschwelle zu Eiszapfen erstarrt. Kabel und Schläuche hängen von der Decke, die Sitze im Oberdeck sind zu einer schwarzen Kruste verkohlt. Den Sachschaden des Busses schätzt die Polizei auf 100 000 Euro. Ein Brandermittler der Lindauer Kriminalpolizei stellt am Donnerstag fest, dass das Feuer definitiv im Motorraum ausbrach. „Ein Fremdverschulden können wir ausschließen“, sagte ein Polizeisprecher. „Der Busfahrer hat sehr gut reagiert“, sagt Feuerwehrkommandant Schwärzler. Plötzlich ausgegangen Der gelernte Kfz-Mechaniker Friedrich Göhl, 55, der seit mehr als 20 Jahren ein kleines Busunternehmen in Wertach betreibt und den Bus selbst gefahren ist, kann sich den Vorfall nicht erklären. „So was hatten wir noch nie. Der Bus ist während der Fahrt ausgegangen, plötzlich war die Zündung weg“, sagt er. Dann habe es hinten angefangen zu qualmen. Dass die Schüler im Oberdeck trotz geöffneter Türen die Fenster einschlugen, sei der Panik geschuldet gewesen, die durch die Rauchentwicklung und den Ausfall der Elektronik aufkam. „Das hat schnell eine Eigendynamik entwickelt, und die Jugendlichen sind aus dem Fenster in den Schnee gesprungen“, sagt Göhl. Das Wichtigste sei, „dass alle heil rausgekommen sind – bis auf kleine Verletzungen.“
Insgesamt vier Stunden ist die Feuerwehr am Mittwochabend im Einsatz. Die Straße ist voll gesperrt. Viele der Schüler haben ihre Jacken im Bus zurückgelassen und stehen nun in der Kälte. Busfahrer Friedrich Göhl bestellt einen Ersatzbus.
Wenige hundert Meter weiter arbeiten Heinrich Kretz und seine Frau Resi in ihrem Gasthaus Adler in Oberreute. „Es war knackevoll“, erzählt der Inhaber einen Tag nach dem Unglück. Sohn Simon bedient gerade Gäste, als er einen Anruf von einem Kameraden der freiwilligen Feuerwehr bekommt. Er fragt, ob sie die verunglückten Schüler vorübergehend im Gasthaus unterbringen können.
Wenig später trudeln rund einhundert Schüler im Wirtshaus ein. Die anwesenden Gäste rücken zur Seite, Resi Kretz kocht Tee für alle. Nachbarn unterstützen das Ehepaar Kretz im Wirtshaus, Bürgermeister Gerhard Olexiuk und seine Frau sind gekommen und helfen beim Eindecken. „Ich habe eigentlich totales Chaos erwartet, aber hier war Totenstille“, erzählt Resi Kretz. Die Schüler, teils eingehüllt in Decken, sitzen still im Gastraum, Einzelne weinen. Notärzte untersuchen die Gymnasiasten. „Tee getrunken haben sie nur ein paar Schlucke“, so Kretz. Gegen 22 Uhr fährt ein Bus die Schüler zurück nach Sonthofen.
Fernab des Unglücks hat sich bereits am Mittwochabend ein Krisenteam des Gymnasiums, bestehend aus Schulleitung, Religionslehrern und Schulpsychologen, zur Lagebesprechung getroffen. „Wir haben morgens alle Klassen informiert. Die Ergriffenheit bei allen Kindern war zu spüren“, sagt Joachim Stoller, Schulleiter des Sonthofer Gymnasiums. Die betroffenen Schüler seien erst zur dritten Stunde erschienen – hatten allesamt die Gelegenheit Gespräche in Anspruch zu nehmen.
Für die Schüler geht es jetzt darum in die Normalität zurückzufinden. „Man versucht schnell wieder zu funktionieren“, sagt Dorothea Schweiger, eine der Lehrerinnen, die auch im Unfallbus mitgefahren war. Die Brezeln, die sie den Schülern für die Besprechung von Don Pasquale versprochen hatte, hat sie trotz des Unfalls gekauft. Einen Videobeitrag zum Thema finden Sie online unter schwaebische.de/busbrand.