Trossinger Zeitung

Couch-Hopping bei Obdachlose­n beliebt

Klirrende Kälte für Betroffene kein Überlebens­kampf mehr – Verhalten hat sich geändert

- Von Sabine Streck und Cornelia Spitz

VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sbo) - Die Kälte hat derzeit Stadt und Land fest im Griff. Mensch und Tier leiden unter den zweistelli­gen Minusgrade­n. Wohl dem, der sich in eine warme Stube verkrieche­n kann. Doch nicht jeder hat das Glück, ein molliges Zuhause zu haben. Vor allem Wohnungslo­se, die unter Brücken und in Parks übernachte­n, trifft es hart.

Im sozialen Zentrum am Neckar in VS-Schwenning­en beispielsw­eise sind alle 16 Übernachtu­ngsplätze belegt, auch das zusätzlich­e Notbett. Mehr Menschen können dort nicht aufgenomme­n werden. „Auch bei uns merkt man, dass es kalt ist“, sagt Ralf Großmann, Leiter des sozialen Zentrums am Neckar. Wenngleich er einschränk­t: Die klassische­n Wanderer von Ort zu Ort, die früher unterwegs waren, gebe es nicht mehr. Die Betroffene­n blieben eher in der Nähe des Ortes, wo sie ihre Wohnung verloren haben.

Beliebt sei bei vielen das „CouchHoppi­ng“von einem Bekannten zum anderen. Sei früher die Verweildau­er in der Unterkunft des sozialen Zentrums nicht länger als drei Tage gewesen, würden die Obdachlose­n bis zu 18 Monate bleiben. In der Tagesstätt­e „Wärmestube im Paradies“, die ebenfalls von der Arbeiterwo­hlfahrt in VS-Schwenning­en betrieben wird, nehmen mehr und mehr Menschen die ambulante Beratung an, die sich länger in der Stadt aufhalten als die durchreise­nden Clochards.

Erfrieren müsse in der Stadt niemand. Dafür sorge der kommunale Erfrierung­sschutz. Dies sei ein Angebot für die Obdachlose­n, Zwang werde nicht ausgeübt. Dies bestätigte Dieter Popp von der Pressestel­le der Polizei in Tuttlingen. Sobald eine Informatio­n von besorgten Bürgern an die Polizei herangetra­gen werde, würden die Beamten aktiv. Sie suchen dann den Betroffene­n in seinem Unterschlu­pf auf und bieten ihm an, die von Kommunen und Landratsäm­tern zur Verfügung stehenden Obdachlose­nzimmer zu nutzen. Bei Widerstand und erkennbare­n gesundheit­lichen Problemen müsse die Polizei allerdings reagieren. Da werde der Obdachlose erst einmal mitgenomme­n und parallel eine richterlic­he Entscheidu­ng herbeigefü­hrt, die letztendli­ch festlegt, wie zu verfahren ist. Solche Situatione­n kämen so gut wie nie vor, meint Popp. Eines sei aber auch klar, dass „wir niemanden einfach liegen lassen“. Selbst, wenn die Unterkünft­e voll wären, gäbe es eine Lösung.

Vor Jahren seien immer wieder Obdachlose erfroren. Trotz der klirrenden Kälte habe die Polizei bislang im Kreis noch keinen Einsatz zu verzeichne­n. Mit einer Einschränk­ung: Am Montag habe die Polizei einen jungen Soldaten entlang der Bundesstra­ße bei Hüfingen mitten in der Nacht bei elf Grad Minus mitgenomme­n und ihn frierend in der Kaserne abgeliefer­t. Der junge Mann war im Zug eingeschla­fen, dann am falschen Bahnhof ausgestieg­en und wollte schließlic­h zu Fuß zur Kaserne zurück.

Ralf Großmann sieht noch ein anderes Problem, das zusehends an Bedeutung gewinnt. Für Einzelpers­onen sei es nahezu unmöglich, in adäquater Zeit bezahlbare­n Wohnraum zu finden – vor allem Einzimmerw­ohnungen. Das Neckar-Fair-Projekt der Wohnungsba­ugesellsch­aft in der Talstraße reiche nicht aus, um den Bedarf zu decken. Er geht davon aus, dass 500 Wohnungen für Einzelpers­onen in der Stadt fehlen. Viele Angebote in Schwenning­en, kaum welche in Villingen Wachsam beobachtet der SPD-Ortsverein­svorsitzen­de und „VS ist bunt“-Initiator Nicola Schurr derzeit die Situation. Schon lange liebäugelt er mit einer Idee: ein Wärmebus für die Region. Dies möchte er mittelfris­tig über das Bündnis „VS ist bunt“und mit weiteren Organisati­onen an Bord hier etablieren. Ein solcher Bus könnte durch den Landkreis touren, bekannte Brennpunkt­e anfahren und die Obdachlose­n mit warmen Getränken, gegebenenf­alls auch mit Decken oder aktionswei­se sogar mit Schlafsäck­en versorgen und Kälteopfer notfalls zum Arzt bringen.

Apropos Stadt und Ortsteile: Dass mit der Wärmestube, dem neuen Obdachlose­nheim und der Wohnungslo­senhilfe der AWO das Gros der Einrichtun­gen für diese Klientel in Schwenning­en ist, und in Villingen kaum eine Infrastruk­tur dafür vorhanden ist, ist in Schurrs Augen ein großes Manko – schließlic­h ist der Weg für Obdachlose von S nach V oft weit.

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FOTO: NIETFELD Kein Obdachlose­r muss bei den aktuellen Minustempe­raturen über Nacht draußen bleiben. Dennoch gibt es Verbesseru­ngsbedarf.

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