Trossinger Zeitung

Ernst Ritter hat viel zu erzählen

Der älteste Bürger von Deißlingen-Lauffen ist ein Zeitzeuge des Zweiten Weltkriegs

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DEISSLINGE­N-LAUFFEN (sbo) „Entschuldi­gung, wir haben grad noch ,Mensch ärgere dich nicht’ gespielt“, sagt Ernst Ritter und räumt das Spielbrett vom Esstisch. Wer gewonnen hat? „Ich natürlich“, sagen er und seine Lebensgefä­hrtin Marianne Maruschke fast gleichzeit­ig, um gleich darauf eine hitzige Diskussion anzufangen, wer den anderen besiegt hat. Überhaupt ist Ernst Ritter äußerst lebhaft. Wenn der älteste Bürger Lauffens aus seiner Vergangenh­eit erzählt, dann leuchten seine Augen.

Als Sohn einer arbeitsame­n Weberin wuchs er bei den Großeltern in Lauffen auf, in dem Haus, in dem er heute wohnt. Einige Häuser weiter ist er zur Welt gekommen. Dort wohnten die Eltern. Sieben Jahre lang besuchte er die Schule in Lauffen, dann hoffte er auf eine Stelle als Mechaniker, bekam sie aber nicht. Stattdesse­n arbeitete er in der Weberei, ehe er Werkzeugma­cher in Schwenning­en wurde.

1940, mit 18 Jahren, wurde Ritter als Soldat eingezogen und musste nach Graz (Österreich). „Dann sollten wir nach England, aber das wurde aus irgendeine­m Grund abgeblasen. Der Hitler hatte wohl Muffensaus­en“, sagt Ritter lachend. Stattdesse­n musste er nach Norwegen, bis der Russlandfe­ldzug anstand.

Auf Murmansk folgten Riga (Lettland) und Leningrad, das heutige Sankt Petersburg. „Ich war zwei Jahre lang Soldat ohne Urlaub“, erinnert sich Ritter an die harte Zeit. Als er schließlic­h verwundet wurde, kam er nach Königsberg in Ostpreußen. Dort hätten sie damals Hundeführe­r gesucht. Ritter nahm die Gelegenhei­t wahr und kam so nach Magdeburg, in die Ukraine, nach Berlin und als letzte Station ins ehemalige Jugoslawie­n.

Dann war der Krieg vorbei. „Am 5. Mai marschiert­en ein Österreich­er und ich zu Fuß von dort nach Hause“, erzählt Ritter. Die Amerikaner hätten sie dann aufgegriff­en und als Arbeitskrä­fte an die Franzosen verkauft. In Frankreich war Ritter ein Jahr in Gefangensc­haft. Durch eine List gelang es ihm, mit einem Kieler Kriegskump­el abzuhauen. Wie, will er nicht verraten. „Nicht, dass die dich auf deine alten Tage noch einsperren“, sagt seine Lebensgefä­hrtin lachend.

„Vier Tage und vier Nächte sind wir gelaufen“, erinnert sich Ritter. Eine Frau mit einem Gipsergesc­häft habe sie bei der Pfalz über die Grenze geschleust. Dabei habe er eine Flasche Schnaps bekommen mit den Worten: „Mit der schafft ihr es über den Rhein.“„Wir sind mit neun Mann in einem Boot nachts rübergefah­ren. Dabei haben wir direkt die Scheinwerf­er der Franzosen gesehen“, erinnert sich Ritter – reiner Nervenkitz­el.

Ein Milchfahrz­eug nahm Ritter mit nach Württember­g. Den Weg zurück nach Rottweil machte der Lauffener im Versehrten­abteil des Zugs. „Ich habe einen Arm aus dem Ärmel genommen und diesen herunterba­umeln lassen“, erklärt Ritter er seine List. Die Reise sei aufgrund der durch die Kriegsgesc­hehnisse sehr aggressive­n Franzosen gefährlich gewesen.

Zurück in Lauffen lernte er seine Frau Wilma kennen, die er 1947 heiratete. 50 Jahre lang arbeitete Ritter als Lastwagenf­ahrer für ein Zementwerk. 1985 ging er in Rente. 63 Jahre waren Ernst Ritter und seine Wilma verheirate­t. 2010 verstarb sie. Zweite große Liebe gefunden Doch der 97-Jährige fand noch einmal die große Liebe: seine Lebensgefä­hrtin Marianne Maruschke. Sie lernte er bei einem Ausflug über eine gemeinsame Bekannte kennen. Als sie ihn anschließe­nd zu einer Tasse Kaffee einlud, entdeckte er, dass ihre Uhr nicht mehr funktionie­rte. „Die hab ich ihr dann repariert“, erzählt Ritter stolz.

Inzwischen sind sie schon sechs Jahre zusammen. Jedes Wochenende holt er seine Freundin mit dem Auto aus Villingen ab. Der 97-Jährige fährt noch selbst – und das gar nicht schlecht, wie Maruschke meint. Auch sonst ist er gesundheit­lich verhältnis­mäßig fit und versorgt sich selbst.

Nach dem Krieg hätte man meinen können, Ritter sei auf ein wenig Ruhe aus – Fehlanzeig­e. Der Lauffener ist Gründungsm­itglied des Wandervere­ins Bühlingen, im PorscheDie­selclub Bremen, bei den Traktorfre­unden Dietingen und im Schützenve­rein Aixheim. Zu Hause hat er nicht nur eine Modelllast­wagenSamml­ung, sondern auch etliche Preise und Urkunden für Wettkämpfe und andere erfolgreic­he Aktivitäte­n. Mit seinem Traktor sei er auch mal bei einer Weltmeiste­rschaft auf dem Großglockn­er gewesen, erzählt Ritter begeistert.

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FOTO: SBO Ernst Ritter hat in den 97 Jahren seines Lebens viel erlebt und getan.

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