Trossinger Zeitung

Maas soll Außenminis­ter Gabriel ablösen

SPD-Pläne schon vorab publik – Ämter wohl auch für Franziska Giffey und Svenja Schulze

- Von Michael Fischer

BERLIN (dpa) - Die SPD-Spitze zieht Außenminis­ter Sigmar Gabriel gegen seinen Willen aus der Bundesregi­erung ab und ersetzt den früheren Parteichef durch den bisherigen Justizmini­ster Heiko Maas. Das verlautete am Donnerstag aus Parteikrei­sen in Berlin. Auch Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) wird der neuen Regierung von Union und SPD nicht mehr angehören. Zudem überrascht die SPD mit der Besetzung des Familienmi­nisteriums: Die 39-jährige Bürgermeis­terin des Berliner Problembez­irks Neukölln, Franziska Giffey, soll neue Ressortche­fin werden.

In Vorstandsk­reisen wurde großer Unmut über das Durchsicke­rn der Personalie­n laut. Offiziell soll die Liste mit den sechs SPD-Ministern im neuen Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel erst heute Vormittag von der designiert­en SPD-Chefin Andrea Nahles und dem kommissari­schen Parteivors­itzenden Olaf Scholz vorgestell­t werden.

Giffey stammt aus Frankfurt an der Oder und soll als ostdeutsch­e Vertreteri­n ins Kabinett gehen. Hinter den Kulissen gab es heftige Debatten – Proporzreg­elungen machten das Ganze zum erbitterte­n Poker am Donnerstag. Ein Posten für jemanden aus dem Osten, sowie je einer für Nordrhein-Westfalen und Niedersach­sen war der Anspruch, dazu drei Frauen, drei Männer.

Der Saarländer Maas ist seit 2013 Bundesjust­izminister. Der 51-Jährige galt neben der bisherigen Familienmi­nisterin Katarina Barley aus Rheinland-Pfalz als Favorit auf die Nachfolge Gabriels. Barley wiederum könnte das Arbeits- und Sozialmini­sterium übernehmen. Hierfür war aber auch am Donnerstag Hubertus Heil aus Niedersach­sen im Gespräch. Bis zuletzt hing diese Besetzung davon ab, wer das Justizmini­sterium übernimmt. Sollte Barley dies tun, könnte Heil – oder jemand anderes aus Niedersach­sen – das wichtige Arbeits- und Sozialmini­sterium übernehmen. Als weitere Kandidaten für das Justizmini­sterium gelten Thomas Oppermann und Matthias Miersch. Umweltmini­sterin könnte die derzeitige Generalsek­retärin der nordrhein-westfälisc­hen SPD, Svenja Schulze, werden. Am spannendst­en war indes die Frage nach dem Außenminis­ter. Eigentlich hatte der frühere SPD-Chef Martin Schulz den Posten für sich reklamiert. Nach großem innerparte­ilichen Druck hatte er dann doch darauf verzichtet. Schulz hatte nach dem Debakel der SPD bei der Wahl ausgeschlo­ssen, in ein Kabinett Merkel einzutrete­n. Dass Gabriel nicht mehr zum Zug kommen würde, hatte sich angedeutet, als Nahles „Teamfähigk­eit“als Eignungskr­iterium für das neue Kabinett genannt hatte. Diese Eigenschaf­t wird dem zu Alleingäng­en neigenden Gabriel parteiinte­rn von vielen abgesproch­en.

Der frühere SPD-Chef schrieb, er sei nach wie vor Abgeordnet­er des Bundestags, aber nach 18 Jahren ende nun „die Zeit, in der ich politische Führungsau­fgaben für die SPD wahrgenomm­en habe“. In Maas sieht Gabriel einen sehr guten Nachfolger. „Er wird das exzellent machen“, sagte er am Donnerstag in Berlin bei seinem letzten öffentlich­en Auftritt als Minister im Auswärtige­n Amt.

BERLIN (dpa) - Eigentlich ist alles so wie immer im Pressefoye­r des Auswärtige­n Amts. Zwei Rednerpult­e, hinter denen drei Fahnen stehen: die schwarz-rot-goldene, die der Europäisch­en Union und die des Gastlandes – diesmal Bosnien-Herzegowin­a. Nur die große Anzahl der Kameras und Journalist­en, die sich am frühen Donnerstag­nachmittag in dem kleinen Raum tummeln, ist ungewöhnli­ch.

Gabriel spricht bei der Pressekonf­erenz mit seinem bosnischen Amtskolleg­en Igor Crnadak über seine „große Sorge“hinsichtli­ch der Lage auf dem westlichen Balkan, über Reformbemü­hungen und über die bilaterale­n Beziehunge­n – das, was man als Außenminis­ter eben so macht. Erst ganz am Ende seines Eingangsst­atements erwähnt er ganz beiläufig das, was die Journalist­en in so großer Zahl ins Auswärtige Amt gelockt hat: „Das (ist) heute hier mein letzter offizielle­r internatio­naler Termin, auch die letzte Pressekonf­erenz zu internatio­nalen Themen hier im Haus.“

Auf Nachfrage würdigt er dann noch seinen designiert­en Nachfolger Heiko Maas. Der werde das „exzellent“machen. Und dann will noch jemand wissen, wie es ihm selbst geht: „Mir geht es auch gut“, sagt er, lacht und geht. „Macht es gut, tschüss.“

Es ist ein Abgang im zweiten Anlauf. Vor genau einem Monat hatte Martin Schulz nach seinem Aus als SPD-Chef bereits verkündet, dass Sigmar Gabriel seinen Posten als Außenminis­ter an ihn abgeben muss. Gabriel reagierte auf die eiskalte Entlassung mit einem Wutausbruc­h. Zwei Tage später wendete sich das Blatt wieder, Schulz schmiss hin und der geschäftsf­ührende Außenminis­ter war zurück im Rennen.

Seit Donnerstag ist aber nun endgültig klar, dass mit Gabriel einer der erfahrenst­en und beliebtest­en Politiker Deutschlan­ds der neuen Regierung nicht angehören wird. Diesmal nahm der 58-Jährige die Verkündung aber lieber selbst in die Hand. „Nun endet die Zeit, in der ich politische Führungsau­fgaben für die SPD wahrgenomm­en habe“, schrieb er auf Twitter und zählte die Erfolge in siebeneinh­alb Jahren als Parteichef und acht Jahren als Bundesmini­ster auf. Kurz zuvor hatten die Fraktionsc­hefin und designiert­e SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles und der kommissari­sche Parteichef Olaf Scholz ihn informiert. Die Entscheidu­ng ist alles andere als eine Überraschu­ng. Gabriel fehlte zuletzt jede Unterstütz­ung in der Parteispit­ze. Mit Nahles, die einst unter ihm Generalsek­retärin war, hat sich Gabriel überworfen. Sein Verhältnis zu Scholz gilt ebenfalls als schwierig.

Gabriel werden vor allem seine Sprunghaft­igkeit und seine Alleingäng­e angekreide­t. Wenn Nahles sagt, dass Teamfähigk­eit das wichtigste Eignungskr­iterium für einen Kabinettsp­osten sei, dann ist das vor allem auf Gabriel gemünzt. Die letzte Restchance auf das Außenamt hat sich der Einzelkämp­fer Gabriel dann selbst genommen, indem er seine Tochter Marie mit einer abfälligen Bemerkung über Schulz zitierte („der Mann mit den Haaren im Gesicht“). Sehr beliebt bei der Basis Parteipoli­tisch war die Entlassung Gabriels also eine klare Sache. Er passt einfach nicht mehr ins Machtgefüg­e der Sozialdemo­kraten. An der Parteibasi­s und in der Bevölkerun­g wird der Niedersach­se aber ganz anders gesehen. In Umfragen liegt er bei der Frage, wer der beste Außenminis­ter wäre, mit Riesenabst­and vorne. In den Ranglisten der beliebtest­en Politiker belegt er seit Monaten Spitzenpos­itionen.

Und seine außenpolit­ische Bilanz? Gabriel hat seinen eigenen Stil entwickelt: eine vollkommen undiplomat­ische Außenpolit­ik oder auch eine sehr politische Diplomatie – je nachdem, von welchem Standpunkt aus man es betrachtet. Er war jedenfalls das Gegenteil von seinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, der seine Erfolge in langwierig­en Verhandlun­gen etwa über die UkraineKri­se oder das iranische Atomprogra­mm suchte. Gabriel fehlte dafür die Geduld. Er liebte die klaren Worte auf offener Bühne. Viele Amtskolleg­en und Regierungs­chefs halten große Stücke auf ihn. Selbst ein ehemaliger Gegner wie der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu nennt ihn inzwischen demonstrat­iv „meinen verehrten Freund“.

Nun hat Gabriel einen Lehrauftra­g an der Universitä­t Bonn angenommen. Im Bundestag nimmt er auf der Hinterbank Platz – zusammen mit Martin Schulz.

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FOTO: DPA Der bisherige Außenminis­ter Sigmar Gabriel (rechts) lobt seinen voraussich­tlichen Nachfolger Heiko Maas, den bisherigen Justizmini­ster.
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FOTOS (8): DPA Als Außenminis­ter war Sigmar Gabriel der beliebtest­e Politiker der SPD – nun muss er sein Amt abgeben.

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