Trossinger Zeitung

Wo Strafen lang schon nichts mehr nützen

Drogen sind sein Leben – und sein Leben sind die Drogen: Kann ein Richter daran noch irgendetwa­s ändern?

- Von Erich Nyffenegge­r

V or Gericht und auf hoher See sei der Mensch in Gottes Hand. Diese Binsenweis­heit kennen nicht nur Juristen. Was aber, wenn der Gerichtssa­al selbst zu einem schwankend­en Schiff wird mit hohem Seegang, sodass der verzweifel­te Mensch sich immer wieder an der Tischplatt­e vor seiner Anklageban­k festkrallt, um nicht fortgespül­t zu werden vom eigenen Elend? Als wäre der Tisch eine Planke, mit der er doch noch ein rettendes Ufer zu erreichen hofft?

Natürlich ist der Saal Nummer sechs im Amtsgerich­t Wangen nicht der Bauch eines Schiffes und der Angeklagte nicht wirklich in Seenot. In existenzie­llen Schwierigk­eiten allerdings schon. Ist sein äußerliche­s Wanken und Schwanken doch der weithin sichtbare Beleg, dass auch sein Innenleben, sein Seelenhaus­halt aus den Fugen geraten ist. Im Falle des 30-Jährigen sind es die Drogen, die ihn daran hindern, fest und mit beiden Beinen im Leben zu stehen oder gar irgendwo Wurzeln zu schlagen. Der bevorzugte Stoff: Heroin, obwohl der Abhängige seinem Körper nach Aktenlage so gut wie alles zugemutet hat, was den schnellen Kick verspricht.

Die Leere seines Blickes muss immer wieder neu nach dem Kopf des Richters suchen, wenn dieser das Wort an den Angeklagte­n richtet. „Haben Sie das Parfum aus dem Drogeriema­rkt geklaut?“Der Gefragte schließt die Augen zu Schlitzen, um den Frager besser ausfindig machen zu können. Dann hält er inne, neigt den wackelnden Kopf ein bisschen und sagt mit verwaschen­er Stimme: „Ja, das ist richtig. Und ich stehe dazu.“Aus dem Mist, den er gebaut hat, habe er noch nie einen Hehl gemacht. „Ich mach das nicht zum Spaß“, schiebt er hinterher. „Das ist bei uns Drogenkran­ken so.“Und der Richter murmelt etwas von „Beschaffun­gskriminal­ität“.

Der lange Leidensweg des heute 30-Jährigen nimmt seinen Ursprung bereits irgendwann in der Schulzeit, die gekennzeic­hnet ist vom Wechsel. Weil der Junge es nie lange mit einer Schule ausgehalte­n hat. Und die Schulen nie lange mit ihm. Früh spielen Drogen die Hauptrolle in dem jungen Leben. Wie früh, weiß der Angeklagte in seinem nebelhafte­n Zustand nicht mehr zu sagen. Fest steht aber, dass er mit 14 Jahren zum ersten Mal vor einem Richter steht. Damals wie heute ist es Diebstahl. Immer wieder Diebstahl, der sich durch seine Vita zieht wie ein hässlicher roter Faden, dessen Schlingen eng an die Drogensuch­t geknüpft sind.

Es dauert fast eine Viertelstu­nde, bis der Richter die Suchtmitte­lbiografie von 2001 bis heute zu Ende erzählt hat. In dieser Geschichte kommen neben dem Diebstahl auch so hässliche Vokabeln wie „Raub“, „Sexuelle Nötigung“, „Drogenhand­el“und „Beleidigun­g“vor. Neben dem geklauten Duftwasser sind noch ein paar andere Verfahren anhängig. Der Angeklagte hat über die Jahre längst den Überblick verloren. Auch Gefängniss­e und zwangsweis­e Unterbring­ungen haben bislang nichts bewirkt, sodass der Richter am Ende auch sagen wird: „Ich weiß gar nicht, was ich noch mit Ihnen machen soll.“Die Vertreteri­n der Staatsanwa­ltschaft liest mechanisch von ihrem Blatt herunter, dass sich die Anklage bestätigt habe, dass der Sachverhal­t feststehe. Sie beantragt unter Berücksich­tigung einer weiteren Tat eine Gesamtstra­fe von fünf Monaten Haft. „Zur Einwirkung auf den Angeklagte­n halte ich eine Freiheitss­trafe für unerlässli­ch“, sagt die Staatsanwä­ltin. Gerade so, als könne sie damit den Drogensüch­tigen irgendwie beeindruck­en, der aber auch regungslos geblieben wäre, hätte ihm irgendwer Kerkerhaft auf Alcatraz eröffnet. Und so nimmt er dann auch klag- und wortlos das Urteil zur Kenntnis, in dem der Richter die fünf Monate ohne Bewährung bestätigt. „Ehrlich gesagt, sehe ich wenig Hoffnung bei Ihnen“, sagt der Vorsitzend­e in seinem Schlusswor­t, das der Verurteilt­e mit wachsender Ungeduld zur Kenntnis nimmt. Mehr als bedenklich sei, dass er neben einem Drogenersa­tzprogramm trotzdem illegale Substanzen zu sich nehme. Doch obwohl er noch physisch anwesend ist, scheint der Verurteilt­e doch schon ganz weit weg zu sein, in einem fernen Nirgendwo, als er plötzlich fragt: „So, jetzt hammers aber, oder?“

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FOTO: SHUTTERSTO­CK „Ich mach’ das nicht zum Spaß. Das ist bei uns Drogenkran­ken so“, sagt der Angeklagte.

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