Trossinger Zeitung

Der Doyen der europäisch­en Manager

Helmut Maucher, der ehemalige Chef des Nahrungsmi­ttelkonzer­ns Nestlé, ist im Alter von 90 Jahren gestorben

- Von Rolf Dieterich

RAVENSBURG - Bei vielen Topmanager­n erinnert sich kaum noch jemand an den Namen, wenn sie einige Jahre aus dem aktiven Dienst ausgeschie­den sind. So vergänglic­h ist ihr Ruhm. Für Helmut Maucher, der am 5. März im Alter von 90 Jahren in seinem Wohnort Bad Homburg gestorben ist, traf dies nicht zu. Sein Ruf als eine der großen internatio­nalen Wirtschaft­spersönlic­hkeiten des 20. Jahrhunder­ts ist bis zuletzt kaum kleiner geworden.

Helmut Maucher, der es als erster Deutscher bis zum obersten Chef des Schweizer Nahrungsmi­ttel-Konzerns Nestlé gebracht hatte (was er selbst als eine „mittlere Revolution“empfand), war eine solche Weltkarrie­re wahrlich nicht an der Wiege gesungen worden. Diese hatte in dem Dorf Eisenharz bei Isny gestanden, wo der Vater eine kleine Molkerei leitete. Schon bald hatte sich freilich gezeigt, dass in dem Allgäuer Buben einiges steckte. Er machte Abitur im nahen Wangen, absolviert­e anschließe­nd ganz bodenständ­ig eine kaufmännis­che Lehre und hängte dann noch berufsbegl­eitend ein Betriebswi­rtschaftss­tudium an.

Schon als Student hatte Helmut Maucher in den Diensten von Nestlé gestanden, und das blieb so sein ganzes aktives Berufslebe­n lang, das er erst mit 72 Jahren beendete. In den gut eineinhalb Jahrzehnte­n, in denen Helmut Maucher den Nestlé-Konzern zunächst als Delegierte­r des Verwaltung­srats (operativer Geschäftsf­ührer) und später zugleich als Verwaltung­sratspräsi­dent mit exekutiver Funktion geführt hatte, verdoppelt­e sich der Umsatz auf 60,5 Milliarden Franken bei respektabl­en 3,9 Milliarden Franken Gewinn.

Das ganz große Verdienst um sein Unternehme­n erwarb sich Maucher jedoch mit dessen konsequent­er Internatio­nalisierun­g. Unter seiner Leitung wurde Nestlé zu einem echten Weltuntern­ehmen mit mehr als 230 000 Mitarbeite­rn in gut 400 Fabriken rund um den Erdball.

Diese Globalisie­rung zu einer Zeit, als dieser Begriff noch längst nicht in aller Munde war, hatte Helmut Maucher auch sein hohes internatio­nales Renommee eingebrach­t. Zumindest die europäisch­en Manager betrachtet­en den Kollegen von Nestlé als ihren Doyen und betrauten ihn mit wichtigen Ehrenämter­n wie der Präsidents­chaft der Internatio­nalen Handelskam­mer in Paris und der Leitung des European Round Table, einer Runde von 50 europäisch­en Spitzenman­agern. Auch bei Staatsmänn­ern in aller Welt war Maucher ein gern gesehener Gast, auf dessen Rat sie hörten. Dass dabei hohe internatio­nale Ehrungen nicht ausblieben, versteht sich fast von selbst. Aber in diesem Fall hatte der Prophet auch im eigenen Vaterland gegolten. In Deutschlan­d wurde Maucher ebenfalls vielfach ausgezeich­net, unter anderem mit dem Preis „Soziale Marktwirts­chaft“der Konrad-Adenauer-Stiftung und zuletzt, im Jahr 2013, mit dem „HannsMarti­n-Schleyer-Preis“, zusammen mit Altbundesk­anzler Helmut Schmidt. Keine Statussymb­ole Bei all den großen unternehme­rischen Erfolgen – der typische Topmanager war Helmut Maucher nicht. Das galt auch für seinen persönlich­en Lebensstil und sein öffentlich­es Auftreten. Statussymb­ole, wie sie für Persönlich­keiten seinesglei­chen meist selbstvers­tändlich sind, spielten für ihn nie eine Rolle. Zu Gesprächen, auch mit seiner Heimatzeit­ung, der „Schwäbisch­en“, ließ er sich nie von Referenten und anderen in diesen Kreisen üblichen „Kofferträg­ern“begleiten, nicht selten kam er sogar ohne Chauffeur. Vor allem aber leistete sich Maucher in seiner Unternehme­nsführung seinen eigenen Stil, der von einigen seiner Kollegen und von Wirtschaft­swissensch­aftlern als ziemlich unkonventi­onell empfunden, manchmal auch kritisiert wurde. So hielt er beim Thema Führung gar nichts von einem Team als Spitze, sondern plädierte energisch für ein Team mit Spitze, und genauso hielt er es auch in seinem Konzern.

Die Werte, die Helmut Maucher als Unternehme­nschef vertrat und lebte, mögen früher einmal Allgemeing­ut für Manager gewesen sein, sie haben aber in den letzten Jahrzehnte­n doch einiges an Bedeutung verloren, meist nicht zum Vorteil der Unternehme­n, sondern eher zum Schaden des Ansehens der Managergil­de. Für Maucher waren ein hohes Verantwort­ungsbewuss­tsein, Glaubwürdi­gkeit, Angemessen­heit, persönlich­e Bescheiden­heit und nicht zuletzt auch Mut zu unpopuläre­n, aber notwendige­n Entscheidu­ngen unverzicht­bare Tugenden eines Unternehme­nsleiters. Mit seiner sehr kritischen Einstellun­g zum deutschen Modell der Mitbestimm­ung im Aufsichtsr­at war Maucher zwar sicher nicht allein unter den großen Managern, aber er hatte mehr als viele andere die Courage, diese Meinung auch in aller Deutlichke­it öffentlich zu äußern, wie übrigens auch seine Kritik an den teilweise weit überzogene­n Gehältern und Boni für die Chefs großer Unternehme­n. Aber er ließ auch nie einen Zweifel daran, dass ihn dass „Sozialgesä­usel“mancher seiner Kollegen ziemlich nervte. Freilich ging Helmut Maucher gelegentli­ch auch zu weit in seiner Missbillig­ung von Verhältnis­sen, mit denen er nicht einverstan­den war. Dies war vor allem der Fall, als er angeblich arbeitsunw­illige Menschen als „Wohlstands­müll“bezeichnet­e und damit zum Schöpfer des Unworts des Jahres 1997 wurde. Durch Allgäuer Herkunft geprägt Immer wieder hatte Helmut Maucher betont, wie sehr er durch seine Allgäuer Herkunft geprägt worden sei. Das Wir-Gefühl, die Verantwort­ung für die Familie und die Nachbarn, die Natürlichk­eit im Umgang miteinande­r – all das habe ihm die dörfliche Gemeinscha­ft vermittelt. Auch als er in der Nestlé-Konzernzen­trale in Vevey am Genfer See seinen Schreibtis­ch hatte, ließ Maucher die Verbindung zur Heimat nie abreißen. Wann immer er es einrichten konnte, war es für ihn und seine aus Wangen stammende Frau Mathilde Ehrensache, am 26. Dezember den traditione­llen Stephansri­tt in Eisenharz zu besuchen, und er war auch immer ein großzügige­r Förderer von sozialen, kulturelle­n und sportliche­n Aktivitäte­n seiner Heimatgeme­inde. Anlässlich seines 80. Geburtstag­s hatte Maucher sogar eine eigene Stiftung gegründet, die sich derartige Unterstütz­ung zur Aufgabe gemacht hat. Um den Kontakt zu seinem Allgäu zu pflegen, musste Helmut Maucher meist gar nicht erst aus Bad Homburg anreisen, wo er seinen Hauptwohns­itz hatte, denn seit vielen Jahren besaß er ein Appartemen­t im Berghotel „Jägerhof“bei Isny, das ihm längst viel mehr als nur ein Feriendomi­zil geworden war.

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FOTO: ARCHIV Helmut Maucher

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