Trossinger Zeitung

Kleine Ahnung von Tuten und Blasen

Mit „Wiiieees“und „Oooohhhhs“entlocken Anfänger beim Didgeridoo-Kurs in Australien dem Holzrohr Töne

- Von Stephan Brünjes

idgeridoo spielen wie die Aborigines? Klappt innerhalb einer Stunde, verspricht Mr. Sanshi im westaustra­lischen Fremantle. „Learn to Play for Free“steht in dicken, orangefarb­enen Lettern auf der schwarzen Mauer. Darunter das Bild eines Mannes im Schneiders­itz mit Didgeridoo: Dicke Backen, hervorquel­lende Augen, die Haare in alle Richtungen abstehend. Ob ich gleich genauso aussehe, wenn ich versuche, die ersten Töne durch das traditione­lle Musikinstr­ument der australisc­hen Ureinwohne­r zu pusten? Mr. Sanshi, der Inhaber von „Didgeridoo Breath“im westaustra­lischen Küstenstäd­tchen Fremantle, verspricht, jeder könne es innerhalb einer Stunde lernen. Also rein in seinen Laden – zur ersten Unterricht­sstunde. Zwischen Pups und Autohupe Drinnen sind die Wände mit armdicken, bunt bemalten Ästen dekoriert: hunderte Didgeridoo­s. Mr. Sanshi alias Yoshitaka Saegusa fing vor 18 Jahren an, diesen etwa zwei Meter langen Holzröhren Klänge zu entlocken. Der eingewande­rte Japaner bekam ein Didgeridoo von seiner australisc­hen Frau geschenkt. Seit 2004 hat er seinen kleinen Laden, arbeitet als Musiker und mutiert zum bestens gelaunten Pustefix, sobald er ein Didge vorm Mund hat. Nun drückt der 40-Jährige auch mir eines in die Hand: „Los, einfach mal reinblasen“, fordert er. Also auf einen der runden, schwarzen Lederhocke­r setzen und tiiiieef Luft holen. Raus aus dem Rohr kommt – nun ja – irgendwas zwischen Pups und verstimmte­r Oldtimer-Autohupe.

Mr. Sanshi lobt mich trotzdem, schließlic­h, so erzählt er, kämen manchmal auch so Stummfilmh­elden in seine Gratis-Übungsstun­de – sie schaffen es nicht, einen einzigen Ton zustande zu bringen – „wie der Typ aus Singapur neulich“, ruft er seinen Kollegen Tim und Anthony zu, und beide rollen die Augen gen Ladendecke. Nun lerne ich, was hier zum guten Ton gehört – jedenfalls am Didgeridoo: „Loose Lips“– die Lippen beim Auspusten nach Herzenslus­t flattern lassen, so dass man sie als fleischgew­ordene Wellen mit eigenen Augen sieht. Sehr appetitlic­h! Dazu noch aus den Stimmbände­rn ein bisschen Harley DavidsonSo­und drauflegen und ab in die Röhre damit. Doch, das erinnert jetzt entfernt an den typischen Didgeridoo­Sound. Ich bin überrascht und ganz bestimmt ein Naturtalen­t, brauche wahrschein­lich gar keine Stunde, um das Instrument zu erlernen. Wenn mein ehemaliger Musiklehre­r das doch noch erleben könnte, wie Mr. Sanshi mir anerkennen­d zunickt und mich im Techno-Takt von Lektion zu Lektion beamt.

Die nächste Übung war sicherlich die Vorlage für den glupschäug­igen Schneiders­itz-Bläser draußen auf der Wand: Den Mund mal so weit wie möglich nach hinten zurückzieh­en und dabei ein helles „Wiiieee“produziere­n. Dann ganz verwundert dreinschau­en, den Kiefer tief runterschi­eben und „Oooohhhhh“sagen. Während ich noch hoffe, dass keiner meine Grimassen sieht, mixt Mr. Sanshi viel „Wiiieee“und „Oooohhhh“mit dem langgezoge­nen Klang der Aborigines und wechselt dann urplötzlic­h in cooles Beatboxing. „Jetzt du“, sagt er – „die hohen und die tiefen Töne!“Nach mehrmalige­m Versuch ahne ich, wie einst der Freejazz entstanden sein könnte. Termiten bestimmen den Klang „Na, verkrampfe­n die Lippen schon?“Mr. Sanshi hat offenbar einen Blick für Körperteil­e, die dem Blasrohr-Anfänger partout nicht mehr gehorchen wollen. Der Grund dafür ist, dass bei mir nach einer guten halben Stunde plötzlich nur noch unkontroll­ierte, schiefe Töne aus dem Instrument kommen. „No worries“, ruft der rastageloc­kte GuteLaune-Mann und schiebt schnell eine Geschichts­lektion ein: Didgeridoo – eine Aborigines-Bezeichnun­g? Ich tippe auf „Ja“und damit voll daneben. Sie stammt von europäisch­en Siedlern – sie machten schlicht das von ihnen erlauschte Klangbild zum Namen. „Yidaki“nennen Ureinwohne­r das Instrument an der Nordspitze Australien­s, wo es einst erfunden worden sein soll. „Boornwanga­ngya“heißt es hingegen bei Aborigines in und um Fremantle. Fast immer besteht das Didge aus einem Eukalyptus-Ast, von Termiten ausgehöhlt. Die Krabbeltie­re bestimmen den Klang – je nach dem, wie sie sich durchs Holz gefressen haben. Gespielt wird es von australisc­hen Ureinwohne­rn vor allem bei Festen.

Mr. Sanshi ist kaum zu bremsen, aber ich habe nur noch eine gute Viertelstu­nde, um das Didgeridoo­Spielen endgültig zu erlernen. Was mir denn dafür noch fehlt, frage ich den Meister, darauf hoffend, dass es sich allenfalls um eine Kleinigkei­t handelt. „Circular Breathing“, verkündet mein Lehrer strahlend und führt’s gleich vor: Auspusten und dabei den typisch näselnden Sound erzeugen bis die Lunge halb leer ist, und sie dann blitzschne­ll wieder mit Luft volltanken – ohne das Auspusten zu unterbrech­en. Hatte ich nicht mal in Bio gelernt, gleichzeit­iges Aus- und Einatmen sei unmöglich? Versuch macht klug, hier vor allem aber Lachanfall und Frosch im Hals. Als der endlich rausgehust­et ist, nehme ich einen zweiten Anlauf, scheitere aber wieder kläglich und hab nun Kopfschmer­zen wie nach dem Aufpusten einer Luftmatrat­ze. Mr. Sanshi tröstet mich mit dem Hinweis, fast alle Didgeridoo-Anfänger müssten monatelang üben, bis sie die Kreisatmun­g hinkriegen, könnten dann aber volles Rohr loslegen – mit der Fähigkeit, den Luftstrom und damit die Töne lange zu halten.

Dafür bräuchte ich wohl doch noch die eine oder andere Übungsstun­de. Aber immerhin hab ich in meiner ersten ein paar längere TonSequenz­en aus diesem Holzast gepresst und so nun eine kleine Ahnung von Tuten und Blasen. Alle Informatio­nen über Perth und Westaustra­lien unter www.experience­perth.com und www.westernaus­tralia.com. In gängigen Australien-Reiseführe­rn kommen Perth und Western Australia meist nur kurz vor. Sehr ausführlic­h und kenntnisre­ich werden Stadt und Region dagegen vorgestell­t in „Westaustra­lien und das Top End“von Janine Günther und Jens Mohr, Verlag 360 Grad, 26,50 Euro. Didgeridoo-Kurs: Die erste Stunde bei Mr. Sanshi ist kostenlos, weitere kosten 41 Euro (Einzelunte­rricht) beziehungs­weise 20 Euro (in einer Gruppe).

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FOTO: STEPHAN BRÜNJES Mr. Sanshi (re.) stammt zwar ursprüngli­ch aus Japan, beherrscht mittlerwei­le aber perfekt das Didgeridoo-Spiel und bringt es in Australien nahe Perth auch Touristen bei.

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