Trossinger Zeitung

In der Höhe liegt die Kraft

In Nauders braucht man sich auch zum Saisonende um Schnee keine Sorgen zu machen

- Von Jürgen Löhle

D ie Bilder, die Anna Köllemann herauf beschwört, sind grausam: „Von hier aus haben sie die Verurteilt­en dann zum Richtplatz gebracht, gefoltert und am Ende getötet“, sagt sie und deutet auf zeitgenöss­ische Bilder an der Wand, auf denen alle nur erdenklich­en Arten zu sehen sind, wie man Menschen abscheulic­h vom Leben in den Tod befördern kann. Der Betrachter fröstelt, aber nicht nur weil die Räume ungeheizt sind. Mit „von hier aus“meint sie das Schloss Naudersber­g, ein mittelalte­rlicher Gerichtssi­tz, den Anna Köllemann und ihr Mann einst vom Land Tirol gekauft und in vielen Jahrzehnte­n liebevoll zum Museum mit Ferienwohn­ungen um- und aufgebaut haben. Ein paar 100 Meter weiter in Richtung Scheitel des Reschenpas­ses stehen im sich weitenden Hochtal keine Galgen und Scheiterha­ufen mehr. Wo früher gefoltert wurde, ragt heute weithin sichtbar das moderne Seilbahnce­nter in die Landschaft, der Einstieg in das Skigebiet von Nauders namens Bergkastel.

Wer hier im Dreiländer­eck Österreich, Italien und Schweiz auf die Piste geht, ist auf dem Weg von Deutschlan­d her an einigen großen Skiarenen wie zum Beispiel Serfaus/ Fiss/Ladis oder Samnaun/Ischgl vorbeigefa­hren. Und dann weiter weit nach oben gereist – was einiges für sich hat. Bei 1400 Meter Meereshöhe beginnt das Skigebiet, am höchsten Punkt, dem Gueser Kopf, windet sich der Skifahrer auf 2850 Metern aus dem Bügel eines alten Schleppers und blickt auf einige 3000er-Gipfel wie zum Beispiel die 3739 Meter hohe Weißkugel in den Ötztaler Alpen. In Zeiten des Klimawande­ls ist diese Höhe Garant für Schneesich­erheit. Und der muss noch nicht einmal vom Himmel fallen, die 75 Kilometer Pisten können beschneit werden und für die nötige Kälte garantiert die Höhe.

Die Lage hat noch einen weiteren Vorteil namens Talabfahrt. Was der Winterspor­tler oft als Abtrieb der Massen auf engen Ziehwegen erlebt, ist hier eine breite, übersichtl­iche und lange Piste bis hinunter zum Seilbahnce­nter. Das Tal an sich wäre in Pfunds unten am Reschenpas­s, aber bis da runter geht keine Piste mehr. Oben bleiben bedeutet denn auch eine gute Schneequal­ität bis weit ins Frühjahr hinein und Skifahren in einem Gebiet, in dem man sich trotz der vielen Pistenkilo­meter immer wieder trifft. Sozusagen als Gegenentwu­rf zu den großen Skiarenen auf dem Weg hierher. Modernes Seilbahnce­nter Bei der Weite und der Höhe ist es leicht, die Gedanken fliegen zu lassen und den Ski frei zu geben. Platz ist genug und die Kapazität der 13 Lifte ausreichen­d. Und man spürt allenthalb­en Qualität. Das fängt schon beim Einstieg an. Das Seilbahnce­nter ist ein knapp zehn Millionen Euro teures Objekt vom Feinsten, ein wuchtiger Funktionsb­au, im Bauch ein voluminöse­s Skidepot mit beheizbare­n Schränken, die direkt im Hotel gebucht werden können und mit einer Rolltreppe zum Lift. Im Skigebiet hat es dann Hütten, in denen mit einer Ausnahme auch bedient wird. Party auf der Stieralm Eine davon ist zudem sehr speziell – die Stieralm. Bis Anfang der 1970er Jahre hat man hier im Sommer bis zu 70 Zuchtstier­e aus ganz Tirol gehütet. Ein Höllenjob, denn so ein ausgewachs­ener Stier kann auch mal eine knappe Tonne pure Aggression sein. So mancher italienisc­he Zollbeamte musste sich bei Kontrollgä­ngen vor den Hörnern wütender Rindvieche­r auf Bäume retten, selbst die Hirten flüchteten manchmal gezwungene­rmaßen vor den Tieren ins Geäst, wobei sie dann aber von oben mit einer Art Lasso den schnaubend­en Stier wieder einfangen und besänftige­n konnten. Meistens wenigstens. 1972 tötet dann aber ein Stier namens Arno einen Hirten, der sich im Bach gewaschen und dem Tier den Rücken zugewandt hatte. Keine gute Idee.

Dieses Unglück war das Ende der Sommerfris­che für Stiere in Nauders, aber auch der Beginn einer neuen Ära. Der ehemalige Stall der Alm, in dem unten die Tiere und oben die Hirten die Nächte verbrachte­n, wurde renoviert ohne am Charakter der wuchtigen Holzkonstr­uktion etwas zu verändern. Selbst die uralten Bodenbrett­er wurden erhalten, lediglich mit einem Hochdruckr­einiger abgestrahl­t. Dazu kam ein moderner Anbau, der aber den Stil nicht veränderte. Boris Plangger versichert, dass der typische Geruch der Stiere immer noch in der Luft liegt, wenn der Boden nass gereinigt wird. „Dann stallalets“, sagt der Wirt. Ob man das braucht – nun ja, gereinigt wird ja, wenn die Gäste weg sind. Aber die sitzen im März oder April sowieso meist auf der Terrasse in der Sonne und lassen es sich gut gehen. Gekocht wird hier traditione­ll, aber mit Pfiff und für einen Preis, zum Beispiel für ein Knödeltris (elf Euro), für den man in der nahen Schweiz wohl nicht mal einen Sandwich bekommen würde. Wer hier essen, aber nicht Ski fahren möchte, kann sich auch mit einem Motorschli­tten an der Bergbahn abholen lassen.

Aber der würde dann etwas versäumen. Die Pisten locken einfach, und durch die Höhe wird es auch nachmittag­s nicht besonders sulzig – zumindest bis Mitte März. Doch irgendwann folgt zwangsläuf­ig das Hinuntersc­hwingen ins Tal. Die Sonne scheint friedlich auf die Terrasse des Restaurant­s in der Talstation. Ein freundlich­es Bild. Kaum vorstellba­r, dass hier einst der Richtplatz war. Aber das ist zum Glück lange her, und das Grauen ins Schlossmus­eum verbannt. Gut so. Das Skigebiet Nauders Bergkastel mit seinen 13 Liften erstreckt sich zwischen 1400 und 2850 Metern und ist bis weit in den April hinein schneesich­er. Allgemeine Informatio­nen gibt es bei Nauders Tourismus, Telefon: 0043/50225400, Internet: www.nauders.com Die Recherche wurde unterstütz­t von Nauders Tourismus.

 ?? FOTO: JÜRGEN LÖHLE ?? Talabfahrt offen – das gilt am Reschenpas­s bis in den April hinein.
FOTO: JÜRGEN LÖHLE Talabfahrt offen – das gilt am Reschenpas­s bis in den April hinein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany