Trossinger Zeitung

Freiheit für Dutroux?

Debatte um Belgiens Verbrecher Nummer 1

- Von Michel Winde

BRÜSSEL (dpa) - Marc Dutroux. Mehr als diesen Namen braucht es nicht, um in Belgien heftige Reaktionen hervorzuru­fen. Sechs Mädchen entführte Dutroux in den 1990er-Jahren, folterte und vergewalti­gte sie. Vier tötete er.

Das Trauma sitzt tief im Nachbarlan­d. Derzeit ist die Diskussion in Belgien wieder besonders heftig. Denn Dutroux’ Anwalt Bruno Dayez hat ein Buch geschriebe­n: „Pourqoui libérer Marc Dutroux“(Deutsch: „Warum Marc Dutroux freigelass­en werden sollte“).

Der Sexualstra­ftäter sitzt seit 1996 in Haft, 2004 war er zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Lebenslang? Dayez sagt, 25 Jahre Haft seien genug. Danach habe jeder ein Recht auf ein neues Leben in der Gesellscha­ft. Dieses Recht müsse auch für Dutroux gelten. Dessen Komplizin und ExFrau kam 2012 vorzeitig frei.

Der Fall des heute 61-jährigen Dutroux hat die belgische Gesellscha­ft wie kein anderer erschütter­t. Die Grausamkei­t des Kriminelle­n, laut Gerichtsur­teil ein Psychopath, entsetzte die Menschen. Dayez’ Buch ist daher eine Provokatio­n – nicht nur für die Angehörige­n der Opfer. 22 Jahre nach der Festnahme Ein Blogger etwa veröffentl­ichte auf Facebook ein Video, in dem er das Buch verbrennt und Dayez droht. Der Mann wurde zwischenze­itlich festgenomm­en und hat sich inzwischen entschuldi­gt. Das Nachrichte­nmagazin „Le Vif/L'Express“hob den Fall Dutroux fast 22 Jahre nach der Festnahme wieder auf den Titel: „Sollte Dutroux freigelass­en werden?“Die Haltung der Angehörige­n seiner Opfer ist klar. Gino Russo veröffentl­ichte ein Video seiner Tochter Melissa, in dem sie mit anderen Kindern einen Tanz aufführt. Es sei wenige Tage vor ihrem Verschwind­en im Juni 1995 aufgenomme­n worden, schreibt er auf Facebook. Ob Dutroux freigelass­en werden sollte? Eine überflüssi­ge Debatte, findet Russo. Melissa starb in Dutroux' Kellerverl­ies. „Der Typ ist ein Psychopath“Ebenso wie Julia, die zum Zeitpunkt ihrer Entführung acht Jahre alt war. Ihr Vater Jean-Denis Lejeune sieht es wie Russo: „Der Typ ist ein Psychopath“, sagte Lejeune dem Privatsend­er RTL Info. Aus seiner Sicht hat Dutroux keine Chance, wieder in die Gesellscha­ft eingeglied­ert zu werden. „Wir sollten da nicht mehr drüber reden, wir sollten ihn nie wieder sehen.“

Dayez selbst spricht ruhig und besonnen. In dieser Debatte dürfe man sich nicht von Emotionen leiten lassen, sagte er im belgischen Fernsehen. Sein Buch sei ein Werk der Vernunft. Der Staat dürfe Kriminelle und Mörder nicht behandeln, wie diese ihre Opfer behandelt hätten. Ein Rechtsstaa­t verfahre nicht nach dem Prinzip „Auge um Auge“.

Völlig naiv sei er jedoch nicht. Er wisse, dass bei seinem Mandanten nur eine Freilassun­g unter Auflagen infrage komme. Allerdings lehnte die Brüsseler Haftprüfun­gskammer Dutroux’ Antrag, die restliche Haftstrafe im Hausarrest absitzen zu dürfen, schon 2013 ab. „Es gibt überhaupt keine Aussicht auf Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft“, sagte der Gerichtspr­äsident Luc Hennart damals.

Anwalt Dayez hat eine andere Sicht: „Ich treffe einen Mann, ich treffe weder ein Monster noch einen Zombie“, sagte er über die Besuche im Gefängnis. Doch selbst wenn die Gerichte irgendwann Dutroux’ Entlassung zustimmen würden: Die belgische Regierung könnte immer noch einschreit­en – und eine zusätzlich­e Sicherungs­verwahrung von zehn Jahren verhängen.

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